Was dürfen die Motoren der Schweizer Wirtschaft?

Ulf Meyer
25. November 2020
Visualisierung © F. Hoffmann-La Roche AG

Die Wogen der Diskussion um die beiden stadtbildverändernd-riesigen Roche-Türme in Basel waren noch nicht verebbt, als Herzog & de Meuron Mitte Oktober ihre Pläne für ein drittes Hochhaus des Pharmakonzerns veröffentlichten. Die Reaktionen reichten von Entsetzen (über die Megalomanie und den befürchteten Dichtestress) bis Begeisterung (über die Milliarden-Investitionen in den Stammsitz). Viele Kritiker*innen liessen sich von der Aussicht nicht besänftigen, dass ein neuer Park entstehen soll, der – entgegen erster Versprechungen – leider nicht rundum öffentlich sein wird.

Das Vorhaben erfordert nämlich, dass Roche sich von grossen Teilen seines architektonischen Erbes sukzessive trennt: Otto Rudolf Salvisberg (1882–1940) hatte schon in den 1920er-Jahren einen eleganten, weissen «Roche-Stil» für die Gebäude der Firma kanonisiert. Seine Bauten auf dem Gelände des Pharmakonzerns sind mitunter von nationaler Bedeutung, so zum Beispiel der Bau 27, der als Ikone des Industriebaus gilt und das Bild der Schweizer Moderne wesentlich prägte. Salvisbergs berühmte Kollegen steigern seine Architektur für die Firma nun ins Groteske: Weisse Brüstungs- und dunkle Fensterbänder prägen Roche-Gebäude in aller Welt horizontal und wiedererkennbar klassisch-modern. 

Der Umgestaltung des Areals müssen praktisch alle historischen Bauten weichen. (Visualisierung © F. Hoffmann-La Roche AG)

Die kostspielige Neustrukturierung des Basler Stammsitzes wurde schon 2006 initiiert: Beim Bau des ersten Roche-Turms mit einer Höhe von 178 Metern hatten Herzog & de Meuron 2009 nach mehreren Überarbeitungen ein Schema ausgetüftelt, wie die Salvisberg’sche Tradition in ihre Architektur der treppenartig abgestuften Hochhäuser übersetzt werden kann. Im Jahr 2011 wurde das erste historisch bedeutsame Gebäude, der Bau 15 von Salvisberg, abgebrochen. Auch die Häuser von Roland Rohn (1905–1971) sind gefährdet. 

Der zweite Turm, derzeit im Bau, wird 50 Stockwerke haben und mit seiner Höhe von 205 Metern den ersten noch übertreffen. Das dann höchste Hochhaus der Schweiz hat eine geringere Grundfläche als Bau 1 und wirkt wie eine um 90 Grad gedrehte Kopie. Die Fertigstellung soll 2022 erfolgen. Turm 2 steht auf der gegenüberliegenden Seite der Grenzacher Strasse. 

Auf den Grünflächen am Flussufer soll neben dem dritten Turm ein niedriges Empfangsgebäude gebaut werden. Nach der Einweihung des neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums auf dem Nord-Areal der Firma werden die alten Laborgebäude entlang der Solitude-Promenade abgerissen. Alle Gebäude im Süd-Areal mit Ausnahme des Hochhauses 1 und des Gebäudes 21 sollen verschwinden.

Am Flussufer soll neben dem dritten Turm ein Empfangsgebäude errichtet werden. (Visualisierung © F. Hoffmann-La Roche AG)

Der neue Bau wird architektonisch den Türmen 1 und 2 in Höhe und Gestaltung nahezu gleichen – ein Coup für die Architekten! Die «monotone Fassadengestaltung und Ideenlosigkeit» der Türme wurde allerdings schon seit Beginn des Drei-Gestirns kritisiert. Zu den prominenten Kritikern zählt der ehemalige Basler Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth. Er moniert die «fehlende städtebauliche Einbettung». Der deutsche Feuilletonist Till Briegleb schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er bei den Super-Türmen den menschlichen Massstab vermisst. Für ihn stehen die massiven Baukörper in zu starkem Kontrast zur kleinteiligen Struktur Kleinbasels. 

Lukas Gruntz von Architektur Basel sammelte angesichts der Vorstellung des dritten Turms «Vox Pop» unter den Leser*innen seines Onlineportals. Die Wiederholung desselben Entwurfs wird nun teils positiv gesehen. Leser Philipp Fuchs gab etwa zu Protokoll: «Verdichtung an diesem Ort macht Sinn. Als Ensemble wirken die Tower besser. Schon zwei sind besser als einer, wie man jetzt sieht. Es kann auch noch ein vierter Turm kommen.» 

Visualisierung © F. Hoffmann-La Roche AG

Auch wenn sich der Widerstand noch einmal zu versteifen scheint und eine Petition lanciert wurde, welche die ernsthafte Prüfung von Alternativen und einen internationalen Architekturwettbewerb fordert und es mittlerweile auf circa 900 Unterschriften bringt, ist es für einen echten Diskurs über das Grossprojekt eigentlich schon lange zu spät. Die Schweiz ist weitgehend wirtschaftsfreundlich und die Zurschaustellung wirtschaftlicher Potenz in allen Lebensbereichen Quell von Bürgerstolz. Stadt und Kanton Basel sind von den Steuereinnahmen, die die Pharmaindustrie generiert, abhängig. Zuletzt waren die Unternehmen aus den Bereichen Pharmazie und Medizintechnik für rund 20 Prozent der kantonalen Steuereinnahmen verantwortlich. Der Roche-Konzern hat weltweit rund 98 000 Angestellte – mehr als halb so viele wie Basel Einwohner*innen hat. 

In Fachkreisen wird diskutiert, wie Verkehrsaufkommen und Schattenwurf durch die drei neuen Hochhäuser stadtverträglich gestaltet werden können. Und es werden Vergleiche zum Pendant des architektonisch teils ambitionierten, aber hermetisch abgeriegelten Novartis-Campus auf dem anderen Ufer des Rheins angestellt. Neben den drei Türmen werden in Zukunft vier weitere hohe Gebäude die Silhouette Basels prägen. Wenn die Verdichtung kein Lippenbekenntnis bleibt, die Bevölkerung wächst und man weiter auf einen wirtschaftlichen Wachstumskurs setzt, ist nüchtern betrachtet anzunehmen, dass bald noch mehr Hochhäuser in den Schweizer Himmel ragen werden. Wie lässt sich das mit der Bewahrung des reichen baugeschichtlichen Erbes, das von grosser gesellschaftlicher Relevanz ist, in Einklang bringen? An der Aushandlung von Prioritäten wird kein Weg vorbeiführen.

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