Zonen des Zweifels

Susanna Koeberle
10. Dezember 2019
Aaron Flint Jamison, «Opportunity Zone», 2019 (Foto: Sebastian Schaub, Kunst Halle Sankt Gallen) 

Gespenstisch leer wirken die Räume der Kunst Halle Sankt Gallen. Einzig ein merkwürdiges Surren ist zu hören, wenn der Blick suchend nach Orientierungspunkten Ausschau hält. Und der Geruch von Zedernholz sticht in die Nase. Ich schnuppere an der Schiebetüre beim Eingang. Erst dann fällt mir auf, dass diese vollkommen schräg ist – also kaum ihren ursprünglichen Zweck erfüllen kann. Und dass sie aus einzelnen Stücken verleimt ist. Das Objekt zeigt seine Machhart offen, will aber kaum die Schönheit von Handwerk präsentieren, sondern mit seinem unfertigen und provisorischen Aussehen eher verunsichern. Dem Surren auf die Spur kommen Besucher*innen, wenn sie den leeren Raum betreten. Hinten bewegen sich zwei Aufhängevorrichtungen (oder Regale?), stoppen ruckartig an einem bestimmten Punkt, bevor sie weiter fahren. Der Saaltext gibt Auskunft und schon rattern die Gedanken: Das roboterartige System ist offenbar ein in Galerien und Museen übliches Werkzeug, um Bilder aufzuhängen. Während «Applicate 2.1» die ideale Sichthöhe (Mittellinie 145 cm) der Bilder des an die Stiftung Kunstmuseum Bern vermachte Gurlitt-Erbes anzeigt, gibt «Applicate 2.2» die Höhe aller Werke der Sammlung des Kunstmuseums Bern wieder. Es dämmert mir: Es geht hier um eine Metaebene – um das Zeigen von Kunst an sich, um die Verantwortung der Kunstinstitutionen. 

Aaron Flint Jamison, «Applicate 2.1» und «Applicate 2.2», 2019 (Foto: Sebastian Schaub, Kunst Halle Sankt Gallen)

Das können Interessierte auch in dem vom Künstler zur Ausstellung herausgegebenen Pamphlet nachlesen. Dort formuliert er seine Gedanken zu Kunstinstitutionen, Kapitalfluss, Mobilität, Fragilität und Verantwortung. Diese Themenfelder fasst er unter dem Begriff «Opportunity» zusammen, wie der Titel der Schau «Opportunity Zones» antönt. Was ist eine Opportunity? Eine Gelegenheit, eine Chance. In den USA ist eine Opportunity Zone eine Besonderheit im Steuergesetz, die Anreize für Entwicklungsinvestitionen bietet. Wer nutzt diese Chance? Und kommt sie tatsächlich den «richtigen» Leuten zugute? Aaron Flint Jamison will keine Antworten auf solche spezifische Fragen zu geben, sondern vielmehr neue aufwerfen. Das Ausstellungmachen (und die Kunst) versteht er so gesehen als Chance, Sicherheiten zu erschüttern und Alternativen vorzuschlagen. Es geht in dieser Ausstellung nicht um den schönen Schein, sondern um das Aufdecken eines Schleiers, um einen Blick hinter die Kulissen. Das kann auch unangenehm sein, doch gerade solche Denkräume sind zugleich notwendiger denn je.

Aaron Flint Jamison, «Opportunity Zone», 2019, Detail (Foto: Sebastian Schaub, Kunst Halle Sankt Gallen) 

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