Zwei Entwürfe, die das Potenzial von Wissenstransfer aufzeigen

Susanna Koeberle
27. April 2022
Die Ausstellung «Al13» zeigt die Möglichkeiten auf, die der Aluminiumsandguss im Möbeldesign eröffnet. (Foto: Susanna Koeberle)

 

Das Material Aluminium hat in der Schweizer Designgeschichte Tradition. Bekannt ist etwa der legendäre «Landi-Stuhl» (1939) von Hans Coray. Dass Aluminium hierzulande schon früh in der Industrie verwendet wurde, hängt historisch damit zusammen, dass die Schweiz bereits Anfang des 20. Jahrhunderts elektrifiziert wurde. Aluminium kommt in der Natur quasi nur in chemisch gebundener Form vor und ist in der Gewinnung äusserst energieaufwendig. Während das durch Schmelzflusselektrolyse gewonnene Primäraluminium einen sehr grossen ökologischen Fussabdruck besitzt, ist recyceltes Aluminium deutlich umweltfreundlicher. Es überwiegen somit die positiven Eigenschaften des Leichtmetalls wie hohe Festigkeit bei geringem Gewicht, gute Formbarkeit, Korrosionsbeständigkeit, Leitfähigkeit für Elektrizität und Wärme, gesundheitliche Unbedenklichkeit sowie eben Wiederverwendbarkeit.

 

Recyceltes Aluminium in Barrenform. (Foto: Susanna Koeberle)

Ihr Interesse an diesem Werkstoff und seiner Geschichte vertieften die beiden Designer Moritz Schmid und Ville Kokkonen durch eine praxisorientierte Recherche. Der Architekt Heinz Caflisch von der Galerie Okro, mit dem Schmid schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, brachte die beiden Designer mit Florian Christen von der Firma Christenguss zusammen. Das in vierter Generation geführte Familienunternehmen produziert vorwiegend Komponenten für Maschinen und für das Bauwesen, bekundete jedoch Interesse an einer Zusammenarbeit mit Designschaffenden. Spannend an den Herstellungsprozessen des Spezialisten ist die Verbindung von moderner Technologie mit archaischem Handwerk und Know-how. Die Gussformen bei Christenguss werden mithilfe eines 3D-Druckers direkt im Sand produziert, was die Entwicklung der einzelnen Prototypen wesentlich vereinfacht. Schmid und Kokkonen waren nicht nur  durch das Aluminium per se fasziniert, sondern auch durch seine dem Sandguss geschuldete haptische Oberfläche. Ihre beiden Sitzmöbelentwürfe machen sowohl die Besonderheiten des Materials als auch konstruktive Merkmale der Herstellung auf unterschiedliche Weise sichtbar.

 

Die Sitzschale des Stuhls von Moritz Schmid besteht aus zwei Teilen. (Foto: Susanna Koeberle)

Die Ausstellung bei Okro zeigt anhand von Modellen, Prototypen, Gussformen und Filmen den Entstehungsprozess des Projekts, das auch aufgrund von Verzögerungen durch die Pandemie einige Zeit in Anspruch nahm. Auch die Schau selber musste zwei Mal geschoben werden. Sie führt das enorme und zum Teil brachliegende Potenzial eines Landes wie der Schweiz vor, das gerade durch viele spezialisierte KMUs geprägt ist. Die Kooperation mit Designschaffenden kann dabei genau für dieses Wissen sensibilisieren, das häufig kaum wahrgenommen wird. Insofern geht es nicht primär um die Entwürfe an sich, sondern um das Ausloten eines Austausches zwischen unterschiedlichen Kompetenzen.

Die beiden Entwürfe lassen sich durchaus sehen. Ein besonderes Merkmal ist ihre Vielseitigkeit in Materialisierung und Konstruktion. Die Sitzschale des Stuhls von Moritz Schmid besteht aus zwei Teilen. Dadurch lässt sich der untere Teil allein auch als Hocker nutzen. Auch die Beine (aus Holz oder Aluminium) lassen sich relativ einfach in die Schale stecken. Zusammengehalten werden die beiden Schalenteile durch einen grossen Drehknopf in drei möglichen Farben, der zugleich zu einem ästhetisch prägenden Element wird. Die Schraubverbindung zeigt ihre Funktion ganz offen und thematisiert damit indirekt auch den Entwurfs- und Entstehungsprozess des Stuhls. 

Der Sessel von Kokkoken ist hinsichtlich seiner Einzelteile sogar noch sparsamer. Er besteht aus einem tiefer liegenden Sitz und zwei seitlich tragenden Rahmen aus Gussaluminium, die Gestell, Armlehne und Halterung für die Sitzfläche zugleich sind. Die beiden Aluminiumrahmen sorgen sowohl für Statik wie auch – auf der Innenseite – für die Verbindung mit der Sitzfläche. Diese besteht wahlweise aus Sperrholz oder gebogenem Alublech – auch hier werden die Biegsamkeit und die gleichzeitig hohe Festigkeit des Materials genutzt. Die Oberfläche der ausgestellten Prototypen ist derzeit noch roh belassen, möglich wäre ein zusätzliches Finish. Die Ausstellung, die später eventuell nach Finnland reist, soll neugierig machen und zu mehr Offenheit anregen. Denn während die Stücke aktuell noch relativ teuer in der Herstellung sind, ist der gewonnene Wissenstransfer umso wertvoller.

 

Der Entwurf von Ville Kokkonen ist durch einen geringen Materialverbrauch charakterisiert. (Foto: Susanna Koeberle)

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