Die Öffnung am rechten Fleck

Thomas Geuder
24. Oktober 2012
Fensterflächen ohne Profilunterbrechung: Beim Jansen-Campus in Oberriet ist das neue Jansen Fassadensystem VISS SG zum Einsatz gekommen. (Foto: Enrico Cano, Italien)

Ganz genau lässt sich natürlich nicht mehr sagen, wann in grauer Vorzeit das erste Fenster in eine Mauer geschlagen wurde. Irgendwann einmal muss es einer unserer Vorfahren satt gehabt haben, im Haus nur noch durch den Rauchauslass im Dach nach oben hinaus schauen zu können. Und so muss er in einem wachen Moment (oder aus Wut) auf die Idee gekommen sein, ein Loch in die Wand zu hauen – und damit nichts Geringeres als das Fenster zu erfinden. Freilich: An ein Fenster, wie wir es heute kennen, war damals noch nicht zu denken. Denn die neugewonnene Freiheit durch Licht und Luft konnten Wind und Wetter zuweilen ziemlich madig machen. Und so verhängte man die eben geschlagenen Löcher bald wieder mit Häuten, Pergamenten oder Stoffen. Das praktische Glas in den Maueröffnungen gibt es zwar schon seit den Römern im 1. Jahrhundert, aber erst im 12. Jahrhundert mit der aufkommenden Gotik begann sich das Fensterglas in der breiten Masse durchzusetzen. So weit, so gut.

Grosszügige Öffnungen und schmale Profile ermöglichen einen weiten Blick über die Oberrieter Landschaft. (Foto: Enrico Cano, Italien)

Das Fenster heute als Teil der Fassade ist ein multifunktionales Element, das technologisch einiges zu bieten hat. Dämmwert, Verschattung oder Lichtlenkung – das Fenster wird nicht mehr nur zur Belichtung und Belüftung herangezogen, sondern ist vielmehr Teil eines Systems, das in Zeiten der Energiewende sogar Energie erzeugen kann. Abseits dieser technologischen Errungenschaften aber wünschen sich Architekten, denen auch das Aussehen eines Bauwerks wichtig erscheint, vor allem eines: klare, elegante Lösungen, bei denen Technologie und Konstruktion in den Hintergrund treten und wieder Platz für das Eigentliche machen, nämlich die Verbindung von Innen und Aussen. Was man dafür vor allem braucht, sind möglichst schmale, wenig sichtbare Stütz- und Riegel-Profile sowie grosse Fensterflächen. Trotz Doppel- oder sogar Dreifach-Verglasung gibt es hier bereits interessante Lösungen auf dem Markt. Der Profilhersteller Jansen aus Oberriet in der Schweiz aber erweitert diese um eine weitere Raffinesse: Im neuen Fassadensystem VISS SG werden die Scheiben durch ein unsichtbares Halterungssystem derart befestigt, dass von aussen keine Profile mehr zu sehen sind. Lediglich eine schmale Verbindungsfuge unterbricht die ansonsten durchgängig erscheinende Glasfläche. Ermöglicht wird dies durch eine Art T-Stift, der in die Kanten zwischen den Doppel- oder Dreifach-Gläser hineingreift und so das Fenster am innenliegenden Pfosten fixiert. Eigentlich ganz einfach, aber höchst effektiv und obendrein elegant.

Das Baugrundstück des Jansen-Campus liegt am nördlichen Ende eines Industriegebiets und grenzt an die süd-östliche Erweiterung des Dorfkerns, der durch Einfamilienhäuser geprägt ist. (Foto: Enrico Cano, Italien)

Gut zu sehen ist das beim werkseigenen Neubau in Oberriet. Der Architekt Davide Macullo aus Lugano/Schweiz hat hier in einem einzigen Gebäude einen ganzen «Jansen-Campus» errichtet, der genauso Büro- und Verwaltungsgebäude wie auch kreatives Umfeld für die Beschäftigten ist. Sein aus einer strengen Geometrie heraus entwickeltes Ensemble besteht aus vier Baukörpern, die zwar im Grundriss ähnlich, in der Gebäudekubatur aber gänzlich verschieden sind. Bei seiner Fassade liess sich der Architekt von der lebendigen Landschaft aus Giebel- und Satteldächern in Oberriet, aber auch von der beeindruckenden Kulisse der nahen Alpen inspirieren. Analog sind die Fassaden mit Streckmetall und Zinkblech verkleidet. Fast schon untypisch für ein modernes Bürogebäude arbeitet Davide Macullo weder mit vollflächigen Glasfassaden noch mit Loch­fas­sa­den. Vielmehr schafft er grosse, stockwerkübergreifende Öffnungen, die den Anspruch an einen Campus unterstreichen. Innen entsteht dadurch ein Raum für Kommunikation und Begegnung, ein kreatives Umfeld mit offenen, fliessenden Räumen. Geschlossene Wände, Überhänge und grosszügige Öffnungen schaffen Durch- und Ausblicke, die jederzeit einen intensiven, wie in einem Rahmen gefassten Bezug zur Aussenwelt ermöglichen. In Zeiten überhand­nehmender Glasfassaden, die wegen ihres problematischen Lichteinfalls für Computerarbeitsplätze und der starken solaren Erwärmungen durch weitere Technologien wieder verschattet werden müssen, setzt Davide Macullo mit seinem Entwurf ein Statement und zeigt Mut zur Wand und zur entschiedenen Öffnung an der richtigen Stelle.

Bei Dämmerung erscheinen hinter der Streckmetall-Fassade weitere Fenster, die am Tag nur als Zitat zu sehen sind. (Foto: Enrico Cano, Italien)
Mit warmen Farben und zahlreichen Entwurfsskizzen des Architekten an der Wand werden Besucher im Foyer empfangen. (Foto: Enrico Cano, Italien)
Grosszügige Bereiche wie hier im 1. Obergeschoss fördern die kreative Kommunikation unter den Mitarbeitern. (Foto: Enrico Cano, Italien)
Sämtliche Möbel sind (bis auf wenige, akzentuierende Ausnahmen) weiss, um die Helligkeit und Transparenz noch zu unterstreichen. (Foto: Pino Musi, Italien)
Mit filigranen Stahlprofilen von 60 mm Breite und Glasflächen bis 2,8 x 3,1 m konnte die Transparenz der Gebäudehülle spürbar erhöht werden. (Foto: Pino Musi, Italien)
Beim Jansen Campus sind 3-fach Isoliergläser mit 63 mm Elementstärke eingebaut. Im Fassadensystem VISS SG aber sind Elementstärken bis maximal 70 mm möglich. (Foto: Enrico Cano, Italien)
Konstruktionsschnitt Fassadensystem VISS SG mit 50 mm Pfostenbreite und 2-fach resp. 3-fach Verglasung. (Abbildung: Jansen)
Grundriss 2. OG
Grundriss 1. OG
 Grundriss EG
Lageplan
Entwurfsskizze Davide Macullo

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Jansen AG
Oberriet, CH

Projekt
Neubau Jansen-Campus
Oberriet, CH

Hersteller-Kompetenzen
Structural Glazing Fassadensystem VISS SG
Brandschutztüre Janisol 2 EI30
Brandschutzschiebetüre Janisol 2 EI30

Vertriebspartner in Deutschland:
Schüco International KG
Bielefeld, D

Architektur
Davide Macullo Architects
Lugano, CH

Bauherr
Jansen AG
Oberriet, CH

Fassaden und Schrägdächer
RHEINZINK GmbH & Co. KG
Datteln, D

Fassadenplanung
Fiorio Fassadentechnik GmbH
Zuzwil, CH

Fertigstellung
2012

Bildnachweis
Enrico Cano
Pino Musi
Jansen AG
Davide Macullo Architects

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