Ehrlichkeit

Thomas Geuder
27. März 2013
Das Haus Tazzelwurm befindet sich am Stuttgarter Nordhang mit Blick über den städtischen Kessel. (Foto: Brigida González)

Thomas Geuder: Herr Fentzloff, beim Durchschauen Ihrer Arbeiten fällt auf, dass Sie einen Fokus auf das schöne Detail und die handwerkliche Ausführung legen. Wie beobachten Sie das im Arbeitsalltag: Wird die handwerklich saubere Detaillösung heutzutage noch ausreichend gewürdigt?
Arne Fentzloff: Das kommt darauf an, um was für ein Projekt es sich handelt. Bei Bauträger-Projekten etwa ist es meist einfach nur noch ein Preiskampf. Stichwort: Akkordarbeit. Hier Qualität durchzusetzen, bedeutet für die Architekten in der Bauleitung einen enormen Aufwand mit offenem Ende. Bei privaten Aufträgen haben wir die Möglichkeit, mit Handwerkern zu arbeiten, bei denen wir wissen, dass sie eine gute Ausbildung haben und auf eine gute Umsetzung Wert legen. Mit ihnen gemeinsam etwas zu entwickeln, ist wirklich toll! In den Mechanismen der öffentlichen Auftraggeber lässt sich die Detailqualität wenigstens noch ein wenig steuern. Denn nicht das günstigste Angebot muss hier den Zuschlag bekommen, sondern jenes, bei dem der Nachweis geführt werden kann, dass es nach Abschluss des Projekts das (voraussichtlich) günstigste ist. Unter Umständen lässt sich dann ein schlechter Handwerker durch einen Handwerker mit besseren Referenzen ersetzen.

Hat es ein Stück weit auch mit der Projektgrösse zu tun, ob Raum für gutes Handwerk ist?
Es geht vor allem um die Projektkonstellation. Wenn es nur um schnelle, kostengünstige Umsetzung geht, kann keine Qualität entstehen. Werden Handwerker preislich nur gedrückt, haben sie auch kein Interesse, sich entsprechend einzusetzen. Umgekehrt aber: Sind faire Grundlagen geschaffen, kann eine gute Zusammenarbeit und ein gemeinschaftliches Denken entstehen, unabhängig von der Projektgrösse.

Das Schöne am Bauen mit dem Handwerk ist also die Gemeinschaft?
Genau. Beim Bauen mit dem Handwerk geht es uns vor allem um den Prozess der Umsetzung selbst. Und: Es geht uns um die Materialien. Vom Material führt uns der Weg dann wieder direkt zum guten Handwerker. Was übrigens die Materialien angeht: Über den Unterschied zwischen natürlich gewachsenen Materialien und z.B. Komposit-Werkstoffen haben wir eine ganz klare Meinung.

Die Fassade des Hauses Tazzelwurm ist horizontal mit Schieferplatten in unterschiedlichen Höhen verkleidet. (Foto: Brigida González)

Sie meinen die viel diskutierte Ehrlichkeit bei der Materialwahl – wie wird damit bei Architektur 109 umgegangen?
Zunächst einmal: Ein Material, dessen Eigenschaften und die daraus resultierende Verarbeitung hängen eng mit dem Entwurf zusammen, der letztendlich auf das Material abgestimmt sein muss, und in der Folge natürlich auch auf das Handwerk, das mit dem Material zusammenhängt. Bei Komposit-Werkstoffen haben wir es im Prinzip mit Täuschung und Fake zu tun. Die meist einfache und schnelle Montage wird durch ungelernte Montagetrupps erledigt, was dazu führt, dass schnelllebige Trends eher ausgespielt werden – und am Ende wird alles schneller weggeworfen und ist nur noch Sondermüll. Keine gute Entwicklung! Wenn wir einmal in Baumärkten oder auch auf Baumessen schauen, sieht man schon: Der Trend geht immer mehr zu irgendwelchen Leichtbaustoffen, die etwas vorzeigen, was sie gar nicht sind. Das sind Tapeten, keine Werkstoffe.
Es stellt sich schon die Frage, wie viel Ehrlichkeit man im Bauwerk eigentlich haben möchte. Wir entwickeln heute einen verantwortungsbewussten Städtebau und gut proportionierte Räume und reden von Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung. Grund genug, darüber nachzudenken, ob nicht ein natürlicher Baustoff die bessere Wahl ist, der in seiner Haptik, seiner Oberfläche und in seiner sinnlichen Wahrnehmung genau dem entspricht, was man von Anfang an vor Augen hatte. Also: Ich möchte keinen Holzboden planen, der nachher als Laminat eingesetzt wird, …

… oder der zwar wie ein Holzboden aussieht, aber ein Fliesenboden ist.
Ja, genau. Denn das Interessante ist doch, ein Spannungsfeld aufzubauen zwischen der Sinnlichkeit der einzelnen Oberflächen und der Haptik der Materialien. Bei der Umsetzung hinterfragen wir Sehgewohnheiten und suchen nach weiteren Nuancen in der Verarbeitung von authentischen Baumaterialien.

Die äußere Form deutet es schon an: Im Inneren besitzt das Haus zwei getrennte Wohnungen. (Foto: Brigida González)

Sie verwenden gerne Materialien, die einen sehr ursprünglichen Charakter haben. Schiefer zum Beispiel, den man in dieser Form nicht oft auf der Fassade sieht.
Schon vor 15 Jahren wollten wir unser erstes Projekt mit Schiefer machen, damals aus dem Thema „Schwarz“ heraus. Schwarzer, ölhaltiger Schiefer besitzt unterschiedliche Farbennuancen. Je nach Wetterlage reagiert er anders auf die Umwelt. Anton Stankowski hat einmal gesagt: «Was durch schwarz nicht gut ist, kann auch durch die Farbe nicht gut sein.»

Dieses Zitat steht auch in der Beschreibung zu Ihrem Haus Tazzelwurm auf German-Architects.com.
In Schwarz sind alle Farben enthalten. Je nach Sonnenschein entsteht eine gewisse Farbigkeit. Nach Regen kann auf Schiefer ein Flimmern entstehen. Und genau das ist das Spannende an einem natürlichen, gewachsenen Material. Es muss nicht immer gleich sein, sondern darf sich entsprechend verändern.

Diese Eigenschaft natürlicher Materialien ist für manchen aber auch ein Nachteil.
Ich sehe es ganz klar als Vorteil. Stichwort Alterungsprozess: Komoposit-Materialien aus Kunststoff leiden unter der UV-Strahlung und werden einfach nur blass, fahl und unschön. Natürliche Materialien aber erhalten beim Altern einen morbiden Charme. Schauen wir beispielsweise nach Italien mit seinen gewachsenen Städten: Wir empfinden genau das als authentisch und schön, was in Würde gealtert ist.

Im Erdgeschoss nimmt der Boden noch die Farbgebung der Fassade thematisch auf. (Foto: Brigida González)

Am Ende ist es vielleicht genau das, was uns an manchen Gebäuden stört: «Unehrliche» Materialien, die zudem nie schön sein werden.
Es geht zunächst um die Lesbarkeit der Fassade und das Bild, das wir in uns tragen. Zum Beispiel: Putz. Putz ist ein sehr vielfältiges Material. Es kommt jedoch darauf an, wie es eingesetzt wird. Man muss die Materialwahl immer im Bezug zum Konzept betrachten. Eine Aussendämmung entspricht immer einer nichttragenden Fassade – was dann entsprechend dargestellt werden muss. Eine verputzte Fassade wird heute immer noch als das abschliessende Bauteil einer massiven Wandkonstruktion gesehen. Beim Entwerfen wollen wir aber ehrlich bleiben und eben diesen vorgehängten Wetterschutz einer nicht tragenden Wärmedämmung so darstellen, dass dieses Nichttragen auch spürbar wird. Bei unseren Projekten suchen wir seit mehreren Jahren Lösungen mit Metallen, Holz oder wie im Fall des Hauses Tazzelwurm mit einer dynamischen Schieferdeckung. Diesen vorgehängten Wetterschutz bilden wir dann meist in horizontaler Schichtung aus, da die Horizontalität eine ganz andere Bedeutung von Tragen hat. Etwas abzutragen funktioniert normalerweise über vertikale Elemente wie Stützen. Die Horizontalität unterbrechen wir gerne durch horizontale Fensterelemente, wodurch sofort erkennbar wird, dass über diese Länge nichts tragend sein kann und es eine Unterkonstruktion geben muss. Also: Man zeigt das Nichttragen in der Ausformung der Materialität sowie der Einbindung bzw. Umsetzung am Gebäude.

Kommen wir also zu Ihrem Projekt Tazzelwurm. Was war hier Ihre Entwurfsidee für die Fassade?
Die Leitidee war «BLACK BOX_WHITE SPACE». Die Black Box, ein nach aussen sich reduziert darstellender, kräftiger Baukörper, der die wesentlichen Informationen in sich birgt und sich von innen heraus entwickelt. Die Bauherren befassen sich mit Kunst und benötigen grosse, neutrale Wandflächen – darum der White Space. Wir haben ein schmales Grundstück mit einem herrlichen Blick zur Innenstadt, und wir haben ein Gebäude, das mit ca. 9 Meter Breite entlang der Strasse «Am Tazzelwurm» verläuft. Der Baukörper sollte eine kräftige und robuste Aussage haben, mit bewusst gesetzten Öffnungen, die immer Durchblicke und Einblicke ermöglichen. Der Innenraum ist geprägt durch den zentralen Marktplatz als Mehrzweckraum für Familie und Freunde. Die Sprache des Materials ist aussen ruppig und schwarz und innen glatt und weiss – im Prinzip ein Monolith der Ruhe.

Vor allem weiße Flächen und Holz charakterisierenden den Innenraum und sind ideale Hintergründe für Mensch und Kunst. (Foto: Brigida González)

Ist also erst die Idee des weissen, glatten Innenraums entstanden, und dann erst die dunkle, ruppige Aussenfassade?
Ja, zunächst ist der Innenraum entwickelt worden in Verbindung mit der Nutzung. Wir benötigten ruhige, helle Innenräume mit viel Wandfläche für die Bilder. Und damit die Bilder auch richtig zur Geltung kommen, durften es nur wenige Materialien sein. Auf der Fassade wollten wir ein Gegenüber schaffen: Nach einigen Tests mit Metallen und Putzen, aber auch wegen der beschriebenen Materialehrlichkeit und weil aus technischen Zwängen eine Vorsatzschale notwendig wurde, haben wir uns schliesslich für Schiefer entschieden. Er hat diese raue und grobe Oberfläche und baut eine ganz eigene Stimmung auf – immer wieder gefasst durch Sichtbetonelemente, oder auch als Gegenpart zur Verglasung, die so weit wie möglich nach aussen gesetzt ist. Glaselemente und Schieferfassade quasi als robuste und grobe Haut, die den zarten, hellen Kern schützt.

Und das glatte, spiegelnde Glas verstärkt die Grobheit des Schiefers noch zusätzlich.
Es ist dieser Gegensatz. Man muss immer überlegen: Was passt zum Ort? Ein Gebäude hat auch eine Verantwortung seinem Umfeld gegenüber. Es muss von hoher städtebaulicher Qualität sein, und es muss ein Material sein, dass eine Langlebigkeit hat. Schiefer ist zunächst etwas teurer als Putz, jedoch dauerhafter und altert wunderschön.

Vom Obergeschoss aus hat man einen tierisch guten Blick über den Stuttgarter Talkessel. (Foto: Brigida González)

Eine abschliessende Frage: Das Haus steht nun seit rund einem Jahr. Gibt es Feedback zum Gebäude vom Bauherren?
Wir wollten die vorgehängte Fassade nicht als strukturierte Oberfläche mit strengem Raster gestalten, sondern aus dem dynamischen Verlegeprozess mit den in sich wechselnden Höhenlagen 50/100/150 mm, damit sie wirklich als Haut verstanden werden kann. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Schiefer hat die Bauherrenschaft mit diesem Gedanken sehr gut umgehen können. Und nicht zuletzt durch den zurückhaltenden Materialeinsatz können die Bewohner nun sehr gut darin wohnen. Wir als Architekten sollten keine Materialvielfalt auftun und uns darin verlustieren, sondern einfache, kräftige, haptische Materialien einsetzen, sodass die Bewohner den Raum nach eigenem Gusto bespielen können. Architektur und Möbel sind dann keine Konkurrenten, sondern ergänzen sich, da die Bühne des Wohnens sich für die Nutzer zurücknimmt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Je nach Lichteinfall changiert auch die Farbe der Schieferfassade zwischen Schwarz und Grau. (Foto: Brigida González)
Eckdetail: Die Schiefertafeln wurden von den Handwerkern exakt in Form gebracht. (Foto: Architektur 109)
Jedes Baumaterial erfordert seine Detaillösung: Anschluss Beton-Schieferfassade. (Foto: Architektur 109)
Handarbeit: Bei einer Schieferdeckung kann keine Maschine helfen. (Foto: Architekten 109)
Detail Fensteranschluss vertikal
Grundriss 3. Obergeschoss
Grundriss 2. Obergeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Rathscheck Schiefer und Dach-Systeme
Mayen-Katzenberg, D

Hersteller-Kompetenz
Fassadensystem

Projekt
Haus Tazzelwurm
Stuttgart, D

Architektur
ARCHITEKTUR 109
Mark Arnold + Arne Fentzloff
Stuttgart, D

Mitarbeit:
Jan Escher
Natalie Hizle-Dürr

Energie und Haustechnik
Prof. Dr.-Ing. Thomas Stark
HTWG Konstanz
Konstanz, D

Tragwerksplanung
Weischede, Herrmann + Partner
Stuttgart, D

Schieferfassade
Spörl & Nietner Bedachungs GmbH
Bad Steben, D

Bauherr
privat

Fertigstellung
2011

Fotonachweis
Brigida González
Architektur 109

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