Ganz normal

Thomas Geuder
28. August 2014
Einen (wenn auch recht milden) Winter haben die Mitarbeiter von be Baumschlager Eberle im neuen Bürogebäude «2226» in Lustenau bereits hinter sich. Bild: Eduard Hueber

Die Fragen hört man heutzutage immer wieder: Was macht ein Gebäude am Ende tatsächlich nachhaltig? Nicht wenige Planer haben darauf eine ganz konkrete Antwort: Die Haustechnik ermöglicht es, sämtliche Energieströme zu steuern und in die bedarfsgerechten Bahnen zu leiten, Energie zu erzeugen und damit letztendlich zu sparen. Im Idealfall (so die neuesten Entwicklungen) lernt ein Steuersystem sogar dazu und kennt nach einer Weile die Gewohn- und Eigenheiten seiner Nutzer. Der kann sich dann umso mehr aufs eigentliche Wohnen konzentrieren. Man ist verführt zu fragen, wie es wohl früher möglich war zu leben konnte, so ganz ohne smarte Haus-Intelligenz.

«Weniger Energie mit weniger Technik» lautet dagegen die andere Sichtweise. Denn Gebäude verbrauchen heute zwar immer weniger externe Energie, der Aufwand für diese Reduktion aber wird immer grösser. Was machbar ist, wird oft auch gemacht. Bei ihrem Büro-Neubau in Lustenau geht es den Planern von Baumschlager Eberle jedoch nicht darum, die Natur durch eine technische Umwelt ersetzen zu wollen, sondern um das Herstellen sinnvoller Zusammenhänge, die vor allem die Architektur zu leisten vermag. Für Baumschlager Eberle ist das eine selbst auferlegte Haltung, die generell viel mit Verantwortung der Architekten gegenüber der Zukunft und zukünftigen Generationen zu tun hat.

Das Haus «2226» benötigt wenig graue Energie und ist auf eine angenehme Atmosphäre für die Benutzer angelegt. Bild: Eduard Hueber

Das Gebäude mit dem Namen «2226» ist deswegen komplett ohne mechanische Heizung, Lüftung oder Kühlung geplant. Für diese Geräte fallen so schon einmal keine Investitions-, Betriebs- wie Wartungskosten an. Stattdessen ist es ganz normal, aber intelligent geplant: Die Aussenmasse umfassen 24 x 24 x 24 m, ein vor allem im energetischen Sinne ideal-harmonisches Mass, da so die Oberflächen des Volumens minimiert werden. Die Wände der Gebäudehülle bestehen aus Stein, genauer: Dämmziegel, zweischalig, jeweils 38 cm stark, miteinander verzahnt, die innere Schicht sorgt für hohe Druckfestigkeit, die äussere für die Isolierung. Die Fenster in den hochformatigen Öffnungen sind flächenbündig an der Innenseite angebracht, aus der Stärke der Hülle resultiert so die Tiefe der äußeren Fensterlaibungen. Das Format der Öffnungen 5:3 ist ein bewusst aus der Kinematographie gewähltes Massverhältnis, das für eine optimale Ausleuchtung der 12 m tiefen Räume sorgt, bei einer Raumhöhe von 3,36 m. Um eine Mittelmass zwischen Beleuchtung mit natürlichem Licht und Minimierung der Wärmeverluste zu erreichen, beträgt der Anteil der Fenster an der gesamten Gebäudehülle 24 Prozent. Die Fassaden sind mit gelöschtem Kalk versehen, die Innenwände mit geschliffener Kalkglätte, der Boden mit versiegeltem, fugenlosem Fliessmörtel, die Fenster besehen aus geölter Weisstanne – alles Werkstoffe aus der Umgebung. Einziges Zugeständnis an die Haustechnik: CO2- und Temperatur Sensoren sorgen per sich automatisch öffnenden Lüftungsflügeln für ein konstant angenehmes Raumklima sowie frische Luft im Inneren.

Im Winter öffnen sich die Lüftungsflügel, wenn der CO2-Anteil im Raum steigt. Bei sommerlicher Hitze öffnen sich die Flügel in der Nacht, um die Baumassen wieder zu kühlen. Bild: Eduard Hueber

«Statt eines Gebäudes, das auf die Haustechnik reagiert, antwortet es auf den Eintrag des Menschen. Auf seine Körperwärme, auf seine Humidität, auf seine Umwandlung von Sauerstoff in CO2», erläutert Dietmar Eberle. Es geht darum, mittels konstruktiv-energetischem Grundwissen und einfachen Materialien und Bauteilen Komfort und Energiesparen zu verbinden und so ein wartunsarmes, nachhaltiges Gebäude mit minimaler Technik zu schaffen. Deswegen möchten wir in diesem gefertigt-Bericht auch nicht auf ein spezielles Bauteil fokussieren – das würde dem Prinzip des Gebäudes widersprechen: Beim «2226» geht es um ganz «normale» Architektur, aber auf hohem planerischen Niveau. Die Wände dienen als Speichermasse, der Innenraum reagiert extrem träge auf das Aussenklima, die Kalkputzfassaden sorgen für die Diffusion nach draussen. Die Abwärme im Inneren von Menschen und Maschinen (etwa Computer und Kaffeemaschinen) soll ausreicht, die Transmissionsverluste der Außenbauteile zu kompensieren und so zu Temperaturschwankungen von wenigen Grad führen – innerhalb eben behaglicher «22 bis 26 °C». Baumschlager Eberle möchte das Haus «2226» als Prototyp und Experiment verstanden wissen, als (mögliche) Antwort auf die Frage, was Architekten für die Nachhaltigkeit leisten, und wie das Verhältnis Haus-Technik-Mensch künftig aussehen kann.

Bei dem Projekt kamen langlebige Werkstoffe mit hoher physikalischer und haptischer Qualität, also einfache Materialien zum Einsatz. Bild: Eduard Hueber
Bereits im Vorfeld wurde berechnet, dass selbst das unregulierte Gebäude ohne internen Wärmeeintrag über das Jahr gerechnet im Inneren lediglich eine Temperaturschwankung von +/- 5° C aufweist. Bild: Eduard Hueber
Lageplan Quelle: Baumschlager Eberle
Regelgeschoss obere Hälfte
Regelgeschoss untere Hälfte
Einziges Medium für den Energietransport im Gebäude ist im Prinzip die Luft, deren Zufur über Sensoren und Lüftungsflügel gesteuert wird. Bild: Eduard Hueber
Die Aussenhülle trägt durch ihre thermische Trägheit durch die massive Baukonstruktion, ihre Wärmespeicherkapazität sowie ihre Fähigkeit, Wärme abzustrahlen, wesentlich zur Behaglichkeit im Innenraum bei. Bild: Eduard Hueber



​​WAF 2013 «The Purpose of Architecture» mit Dietmar Eberle. Über das Projekt spricht er ab 45:45 min. (World Architecture Festival, Dauer: 50:38 min.)

Projekt Haus «2226», Lustenau, A
Architekt be Baumschlager Eberle, Lochau, A | Team Projektleitung: Jürgen Stoppel, Mitarbeiter: Hugo Herrera Pianno, Markus Altmann
Hersteller n.n.
Bauherr AD Vermietung OG, Lustenau, A
Generalunternehmer Rhomberg Bau GmbH, Bregenz, A
Statik Mader & Flatz Ziviltechniker GmbH, Bregenz, A
Brandschutz IBS - Institut für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung, Linz, A
Bauphysik Ingenieurbüro Kurzemann GmbH, Dornbirn, A
Lichtplanung Ingo Maurer, München, D | Symetrys, Lustenau, A
Elektroplanung Elmar Graf GmbH, Dornbirn, A
Energieoptimierung Lars Junghans, Michigan, US
BUS Steuerung Peter Stefan Widerin, Hörbranz, A
Kunst James Turrell, Flagstaff, US
Fertigstellung 2013
Fotografie Eduard Hueber

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