Leuchtende Seifenblasen

Thomas Geuder
23. September 2014
Im April 2013 wurden die «Pariser Höfe» im Stuttgarter Europaviertel unter dem Motto «Voyage, Voyage!» offiziell eröffnet. Zu den Gleisen des Stuttgarter Hauptbahnhofs orientiert sich der Bürotrakt. (Foto: Jean-Luc Valentin)

Seit gefühlten Jahrzehnten war das Gelände zwischen den Gleisen am Stuttgarter Hauptbahnhof und der Heilbronner Strasse eine innerstädtische Brache, die den Ankommenden im Zug immer wieder fragen liess, ob er gerade tatsächlich in eine Landeshauptstadt einfährt. Die Pläne zur Bebauung des neuen «Europaviertels» lagen schon seit den 1990er-Jahren vor, doch der eigentliche Baubeginn fand erst im November 2008 mit dem Spatenstich zur Stadtbibliothek (entworfen von dem Südkoreaner Eun Young Yi) statt, die als erster Bau des neues Viertels fertiggestellt ein neues Zentrum im Viertel darstellen sollte. Das drückt sich auch in den Bauhöhen im Quartier aus, denn alle Gebäude um die neue «Stadtbibliothek am Mailänder Platz» müssen laut Bebauungsplan niedriger sein. So auch die «Pariser Höfe», die sich unweit der Bibliothek am «Pariser Platz» befinden. Das Gebäude besteht im Prinzip aus zwei Teilen: aus einem Wohntrakt mit 242 Mieteinheiten auf kapp 24.000 m² und zwei Innenhöfen aus der Feder der Münchener Maier Neuberger Architekten sowie einem sieben Geschosse hohen Bürotrakt mit 7.400 m² Mietfläche, entworfen von KSP Jürgen Engel Architekten aus Frankfurt/Main. Beide reagieren durch ihre eher horizontal gegliederte Fassade architektonisch aufeinander, machen im Detail am Ende aber doch die Unterschiedlichkeit der Urheber deutlich.

Die Leuchten weisen dem Besucher den Weg, der so den Eingang letztendlich auch ohne Schilder finden würde. (Foto: Matthias Klaiber / hatec)

Die Umgebung, in der der Komplex gebaut wurde, ist für den Architekten städtebaulich keine einfache: Hier befinden sich vor allem die Büro-Areale grosser Banken, an der Rückseite prägt der Hauptbahnhof samt Gleisanlage die Atmosphäre, auf der anderen Seite führt etwas höher gelegen eine der Hauptadern in den Stuttgarter Stadtkessel. Diesem Schauplatz einen poetischen Kontrapunkt setzen wollte die Lichtplanerin Gabriele Allendorf aus München. Sie entwarf für diese Situation eine individuelle Leuchtenserie (produziert von dem Münstertaler Leuchtenhersteller Hatec), die diesem Ort mit Charme begegnet. Die Inspiration für den Leuchtenentwurf holt sie sich aus schwebenden Seifenblasen, die schillernd und leicht in unterschiedlichen Grössen, einzeln, in Gruppen und Familien, manchmal miteinander verschmolzen, ins Sonnenlicht drängen. «Da kommt ein Windhauch, nimmt die Seifenblasen mit sich auf eine Reise. Er wirbelt sie durcheinander, verdreht ihnen und mir den Kopf. Da taumeln sie und werden immer schlanker und schlanker, bis ein wunderschönes Rechteck entsteht. Ihre kugelige Form haben sie verloren, zwei Dinge jedoch haben sie bewahrt: Sie leuchten von Weitem und tanzen im Wind.» (Gabriele Allendorf)

Das Foyer des Büroflügels kann sowohl vom Innenhof als auch vom Arkadengang her betreten werden. (Foto: Matthias Klaiber / hatec)

Entstanden sind so zwei Leuchtenentwürfe für den Innen- und Aussenraum des Gebäudes, aus denen letztendlich drei Serien entstanden sind: Ebenso wie man Seifenblasen hinterher springen möchte, locken einzelne Leuchtrahmen den Besucher bereits von der Strasse aus in den zweiten, halböffentlichen Innenhof und weisen den Weg dorthin. Die schlanken Profile können vom Betrachter gedreht werden, wie die Seifenblasen vom Wind geschupst werden. Ihr Pendant «AnnA» besteht aus zwei ineinander verschränkten, langgezogenen Lichtrahmen aus beschichtetem Aluminium-U-Profilen, bestückt mit LEDs 2700 K, die nach innen strahlen. Diese «modernen Lüster in minimalistischem Design» (so der Grundgedanke von Gabriele Allendorf) sind in Reihe im Arkadengang aufgehängt und erzeugen ein – freilich ebenfalls minimalistisches, dennoch sehr schönes – Spiel aus Licht uns Schatten. Das Thema des leuchtenden Rechtecks wird auch im Foyer aufgenommen, das von «SoloS» und «LeheL» bespielt wird. Sie bestehen aus Winkeln und Bügeln, die (ebenfalls mit LEDs bestückt) direkt oder indirekt Decke und Raum beleuchten. Es entsteht ein dynamischer Verlauf, der die Bewegung, von der der Raum geprägt ist, spannend in Szene setzt – und dem Gebäude wie letztendlich dem Umfeld den nötigen Flair verleiht. «Voyage, Voyage!» hiess der Song, mit dem das Projekt im April 2013 feierlich eröffnet wurde – die französische Sängerin «Desireless» war sogar extra zu diesem Anlass angereist und hat ihr Lied dargeboten. Der Besucher darf das Motto «Voyage!» dabei durchaus auch als Grussbotschaft der Leuchten verstehen.

Dem Besucher leuchten sie den Weg: links einer der Eingänge zum Wohnungstrakt, rechts das Tor zum zweiten, halböffentlichen Innenhof. (Foto: Matthias Klaiber / hatec)
Im Foyer setzt sich das Licht-Schatten-Spiel des Aussenraums an der Decke fort. (Foto: Matthias Klaiber / hatec)
Die Inspiration zu den Leuchtenserien waren Seifenblasen, in denen sich das Licht nur an den Aussenkanten spiegelt. (Foto: Gabriele Allendorf)
Lageplan
Regelgrundriss Obergeschosse
Grundriss Erdgeschoss
Anordnung der Leuchten «SoloS» und «LeheL» in den beiden miteinander verbundenen Foyers des Bürotraktes. (Quelle: Gabriele Allendorf)
AnnA, SoloS und LeheL, die bei dem Projekt von Gabriele Allendorf entworfen wurden, sind mittlerweile mit verschiedenen Leuchtstärken und Lichtfarben erhältlich. (Quelle: hatec)
Konstruktionsmasse der Leuchten (Quelle: Gabriele Allendorf)
Im Durchgang zum Innenhof wird der Besucher vom (bewegten) Licht begleitet. (Foto: Matthias Klaiber / hatec)
Projekt
Beleuchtung «Pariser Höfe»
Stuttgart, D

Lichtplanerin
Gabriele Allendorf – light identity
München, D

Hersteller
hatec Gesellschaft für Lichttechnik mbH
Münstertal, D

Kompetenz
Leuchten AnnA, SoloS, LeheL

Architekten Bürotrakt
KSP Jürgen Engel Architekten
Frankfurt/Main, D

Architekten Wohntrakt
Maier Neuberger Architekten
München

Bauherr

Reiß & Co. Real Estate
München, D

Auszeichnung des Bleuchtungskonzeptes
Iconic Awards 2014 – Winner, Kategorie Building Technologies

nominiert für
German Design Award 2015

Fertigstellung
2013

Fotografie
Matthias Klaiber
Jean-Luc Valentin
Gabriele Allendorf
hatec Gesellschaft für Lichttechnik mbH

Projektvorschläge
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Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

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