Zurück zum Ornament?

Thomas Geuder
10. Dezember 2013
Das neue Landesarchiv NRW befindet sich in einem alten Speichergebäude am «Schwanentor», eines der vier Haupttore Duisburgs im Stadtplan von Johannes Corputius aus dem Jahr 1566. (Foto: Sebastian Wiswedel)

Frei von überflüssigem Zierrat, Schmuck und Schnörkel: So haben es uns das Bauhaus und die Moderne gelehrt. Damals war die von Walter Gropius, Le Corbusier und Co. verbreitete Architekturauffassung eine Art Befreiungsschlag vom eklektizistischen Sumpf, in dem die Architektur zur Zeit der Jahrhundertwende seit vielen Jahrzehnten steckte. Bekanntestes Opfer im Kampf um ein neues Verständnis vom Bauen war das Ornament, das – womöglich zurecht – als unnötiger Firlefanz gebrandmarkt der klaren und glatten Formsprache weichen musste. Eine Geisteshaltung, die sich bis heute in grossen Teilen bewahrt hat. Dem Ornament selbst soll das indessen recht sein, denn selektiert und gezielt eingesetzt fällt es umso stärker ins Auge. Besonders geeignet für solche «Verzierungen» ist das Ziegelmauerwerk, das mit dem heutigen, digitalen Denken in Pixeln absolut harmoniert. Wen wundert es: Mit Zielgesteinen lässt sich eine Mauer als Relief so gestalten, dass es dem Pixelraster eines digitalen Bildes nicht unähnlich ist. So verhelfen O&O Baukunst aus Berlin dem Ornament in Duisburg beim neuen Landesarchiv NRW zu neuen Wegen, indem sie dort die grossen und geschlossenen Fassadenflächen dezent per Mauerwerk aus einem Pixel-Muster überziehen, das aus der Entfernung nur erahnt, aus der Nähe betrachtet ein abwechslungsreiches Spiel aus Licht, Schatten und Form auf der Fassade erzeugt. Verantwortlich für die Steine zeichnet sich der Münsteraner Hersteller Janinhoff, dessen Ziegel in der Farbe „Rot Blau Bunt“ ein zusätzliches Changieren auf die Fassade zaubern. Konstruktiv bemerkenswert ist bei dem Bau das Dach des zentralen Turms, das wider Erwarten nicht mit Ziegeln, sondern ebenfalls mit Steinen geschlossen ist. Es handelt sich hier jedoch nicht um ein Mauerwerk (das als wasserführende Dachschicht auch nicht funktionieren würde), sondern um eine Verkleidung. Die Steine sind hier als hohle Profilsteine ausgeführt, die auf eine Stange geschoben und mit Abstandshaltern optisch passend zu den Fugen der Mauern fixiert sind. Das eigentliche Dach befindet sich darunter, von aussen nicht sichtbar. Von so viel kreativer Fassadenarbeit ist unser Freund Otto Normalarchitekturfan begeistert. Uns bleibt indessen nur noch unser Weihnachtsgeschenk an Sie, liebe Leserin und lieber Leser: Viele schöne Bilder, Pläne und Zeichnungen über diesen aussergewöhnlichen Landmark-Bauwerk. Frohe Weihnachten und guten Rutsch ins neue Jahr!

An der Ostseite wächst ein fünfgeschossiger Neubau entlang des Innenhafens, in dem Foyer, Verwaltung und zusätzliche Funktionen untergebracht sind. (Foto: Sebastian Wiswedel)
Sämtliche Öffnungen des aus den 1930er-Jahren stammenden Speichergebäudes wurden verschlossen und zusammen mit allen anderen Wandflächen hinterdämmt. (Foto: Sebastian Wiswedel)
Vertikalschnitt und Ansicht Bestandsfenster. (Quelle: O&O Baukunst)
In der Montageansicht wird klar: Auf einer Unterkonstruktion sind die Dachprofilsteine lagenweise befestigt. (Foto: O&O Baukunst)
Je nach Lichteinfall tritt das Fassadenrelief stärker oder schwächer in Erscheinung. (Foto: Janinhoff)
Im Giebelfeld lässt sich das Relief besonders gut studieren. Tipp: Schauen Sie sich das Bild in verschiedenen Grössen an (dazu Fenster kleiner ziehen). (Foto: Janinhoff)
Das Rautenmodulsystem des Turms, alle vier Ansichten. (Quelle: O&O Baukunst)
Detail Turmfassade, Rautenmodul (Quelle: O&O Baukunst)
Die Horizontalschlitze im ebenfalls mit Ziegelsteinen verkleideten Dach lassen einen Raum dahinter vermuten. (Foto: Janinhoff)
In der Montageansicht wird klar: Auf einer Unterkonstruktion sind die Dachprofilsteine lagenweise befestigt. (Foto: O&O Baukunst)
Unter der Dachverkleidung ist es erstaunlich hell – sie wirkt quasi wie eine Verschattung. (Foto: O&O Baukunst)
Auf eine Stange gezogen und mit Abstandshaltern versehen wurden die Dachprofilsteine fertig konfektioniert auf die Baustelle geliefert. (Foto: O&O Baukunst)
Im Foyer entstehen spannende Einblicke ins Landesarchiv. Louis Kahn lässt architektonisch grüssen. (Foto: O&O Baukunst)
Spektakulär ist die Kapazität des Landesarchivs: Hier sind ganze 148 Regalkilometer entstanden. (Foto: Sebastian Wiswedel)
Grundriss 1. Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Durch die Färbung der Ziegel in „Rot Blau Bunt“ (hier am Beispiel der Dachverkleidung) changiert die Fassade zusätzlich im Sonnenlicht. (Foto: Janinhoff)
Neu und Alt heben sich deutlich voneinander ab und weisen gleichzeitig auf ihre Verwandtschaft hin. (Foto: Sebastian Wiswedel)
Die Isometrie verrät, wie das Relief-Modulmuster über das gesamte Gebäude gedacht ist. (Quelle: O&O Baukunst)
Während der Bauphase war noch zu sehen, dass den neuen Turm im Grunde eine Betonwand kleidet. (Foto: O&O Baukunst)
So hat es am Duisburger Schwanentor bis vor Kurzem ausgesehen. (Foto: Sebastian Wiswedel)
Janinhoff GmbH & Co. KG
Münster-Hiltrup, D

Hersteller-Kompetenz
Ziegelstein und Dachprofilstein

Projekt
 
Landesarchiv NRW
Duisburg, D

Architektur
 
O&O Baukunst
Berlin, D

Bauherr
BLB NRW
Duisburg, D

Tragwerksplanung Turm
office for structural Design (OSD)
Frankfurt am Main, D

Tragwerksplanung Welle
LWS-Ingenieurgesellschaft
Duisburg, D

Landschaftsarchitektur
FSWLA Landschaftsarchitekten
Düsseldorf, D

Brandschutz
Ökotec
Berlin, D

Bauphysik
THOR Bauphysik GmbH
Bergisch Gladbach, D

Lichtplanung
 
ag Licht
Bonn, D

Fassadenberatung
Gödde Architekten
Neuss, D

Fertigstellung
2013

Fotografie
Sebastian Wiswedel
O&O Baukunst
Janinhoff

Projektvorschläge
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