Zusammenführen II

Thomas Geuder
26. Juni 2013
Sein Licht speist der Solarkiosk aus der tagsüber gewonnenen Energie. Die Punkte sind übrigens kein Staub auf Ihrem Bildschirm – so sternenklar und schwarz ist der Himmel über weiten Teilen Afrikas wirklich (Foto: Graft)

Thomas Geuder: Sie sind ein weltweit agierender Architekt. Da fragt man sich wahrscheinlich, wie man durch seine Arbeit auch etwas für die Menschen dort in Afrika tun kann.
Lars Krückeberg: Absolut. Bereits bei unserem Engagement in New Orleans konnten wir diese Erfahrung machen. Dort haben wir zum ersten Mal daran gearbeitet, einen grösseren Wandel in sehr komplexen Zusammenhängen möglich zu machen, indem wir einen systemischen Ansatz angewendet haben. Denn genau darum geht es eigentlich. Wir haben uns gefragt, welche Massnahmen die grösste Wirkung erzielen. Mit den Möglichkeiten und Hebeln jedenfalls, die uns als Architekten bei Graft zur Verfügung stehen, können und sollten wir arbeiten. So ist die Idee entstanden, an einem neuralgischen Punkt systemisch anzusetzen, und zwar mit einer verhältnismässig kleinen Massnahme, die jedoch ein enormes Potenzial besitzt. Ausserdem haben wir bereits an vielen Projekten von Produktdesign über städtebauliche Masterplanung bis hin zur Schnittstellendefinierung zwischen Architektur, Nachhaltigkeit, Haustechnik und Struktur gearbeitet. Die Zeit war reif, all diese Erfahrungen in ein Projekt wie den Solarkiosk zu stecken. Im Grunde handelt es sich dabei um ein smartes, modulares leichtes, bezahlbares sowie flexibles und sicheres Produktdesign. Der Solarkiosk ermöglicht zudem Infrastruktur, weil er Energie erzeugt und auch anbietet. Städtebaulich betrachtet kann der Kiosk das Gefüge eines Ortes verändern, vor allem wenn man das Konzept etwas langfristiger denkt. Denn der Kiosk hat natürlich auch das Zeug zum Wachsen, und zwar in Bezug auf seine Grösse, seine Energieleistung und auch seine Bedeutung für ein rurales Gefüge. Im Prinzip also von S bis XXL. Man könnte in Ländern wie Kenia oder Tansania Tausende solcher Kioske aufstellen, die alle zu einem Business Case führen. Damit würde man enorm viel verändern – was unser grosser Wunsch ist.


Der Solarkiosk trägt also nicht nur eine städtebauliche und eine gestalterische Komponente in sich, sondern auch einen sehr starken sozialen Charakter. In diesem Zusammenhang sprechen Sie gerne auch von der «sozialen Nachhaltigkeit». Wie würden Sie diesen Begriff genau definieren?
Zunächst einmal gibt es theoretisch extrem viele Kunden für den Solarkiosk, nämlich ca. 1,6 Milliarden Menschen, im Grunde 20 % der Weltbevölkerung, die keinen Zugang zu Elektrizität haben. Folgt man grundsätzlich der These, dass Energie und Zugang zu Information immer auch Entwicklung für eine Gesellschaft bedeuten – wie Sie eingangs erwähnten – werden diese 20 % ohne den Zugang zu Elektrizität immer weiter und schneller abgehängt. Diesen Kreislauf zu brechen, ist der wichtigste Ansatz von Solarkiosk. Die Praxis dahinter ist eine Business-Idee, die aber nur gemeinsam mit den Menschen verwirklicht werden kann. Betrachtet man die letzten Jahrzehnte, so scheint die gute Idee von Entwicklungshilfe leider grösstenteils gescheitert zu sein – so hart muss man das wohl sagen. Viele Konzepte haben nicht nachhaltig funktioniert, weil die Menschen vor Ort nicht einbezogen wurden. Hinzu kommt noch ein wichtiger, psychologischer Aspekt: Geschenkte Dinge haben zunächst einmal weniger Wert, weil man für sie nichts tun musste. Eine Idee allerdings, bei der zwei Partner auf Augenhöhe agieren und gemeinsam ein Business aufbauen, funktioniert wesentlich besser. Das ist es, was wir machen. Wir bieten den Menschen in off-grid-Regionen ein Gerät, das Energie sauberer und billiger erzeugen kann, als die nach wie vor weitverbreiteten Generatoren. Das Business hingegen gestalten die Betreiber, die sich in ihrem Umfeld auskennen, und wir stellen die Grundausstattung dafür zur Verfügung. So wird ein faires Projekt daraus, bei dem die Menschen ernst genommen werden. Das verändert grundsätzlich die Beziehungen zwischen den Partnern und führt zum Entstehen von sozialer Nachhaltigkeit. Im Gegensatz zu eindimensionaler Hilfe funktioniert der Kiosk, weil er dauerhaft bleibt und Teil einer grossen Familie wird, die untereinander vernetzt ist.

Funktionsprinzip des Systems Solarkiosk

Ein wichtiger Punkt im nächsten Schritt ist die Information. Die Prototypen in Kenia verfügen bereits über TV-Screens, sodass der Betreiber am Abend auch mal Fussball zeigen kann. Es gibt sogar Ideen, den Kiosk als Wahllokal zu nutzen, als Registrierungsstelle, für Krankenkassen oder auch für NGOs. Das Wichtigste aber ist, nur Produkte zu verkaufen, die auch langlebig sind, wie zum Beispiel Solarlampen. Und sollte ein Produkt doch mal defekt sein, ist der Solarkiosk eine Anlaufstelle, dessen Betreiber von uns ausgebildet wurde und helfen kann. Statt also nur selektiert zu intervenieren, ist man immer vor Ort und ansprechbar – unserer Meinung nach einer der wichtigsten Schritte beim Thema «soziale Nachhaltigkeit».

Der Solarkiosk ist also der klassische Marktplatz, wie wir ihn auch in Europa kennen, auf dem im Prinzip alles Nötige geregelt werden kann.
Dazu kann und wird er sich entwickeln, genau.

Ich kann mir vorstellen, dass in einem Dorf, in dem es bisher keinen städtebaulichen Mittelpunkt gab, ein solcher Marktplatz als neues Zentrum sich schnell etablieren wird.
An solchen Orten hat man natürlich ein USP, ein Alleinstellungsmerkmal, da hier zuverlässig Licht und Energie angeboten werden kann. Grundsätzlich ist der Solarkiosk aber auch in Städten denkbar, denn das Energienetz in Afrika ist noch immer vollkommen unzuverlässig.

Wie funktioniert das dann in der Praxis: Bestückt der Betreiber vor Ort den Kiosk?
Momentan laufen ganz verschiedene Pilotprojekte. Wir möchten niemanden verdrängen, denn in Afrika gibt es schon eine ausgeprägte Kioskstruktur. So versuchen wir immer, den Kioskbesitzer vor Ort zu überzeugen, mit uns längerfristig zusammenzuarbeiten, weil sich so auch ganz andere Möglichkeiten ergeben. Mit seinem neuen Kiosk ist er in der Lage, sehr gute Produkte zu verkaufen wie Licht, Strom, kühle Getränke usw. Wir haben also alles, was Strom braucht und nutzt, schon vorgedacht und auch konfektioniert. Teilweise führt der Operator aber auch seine eigenen Produkte.

Also eigentlich eine Art Franchise-Konzept?
Es ist ein Franchise-Konzept, richtig.

Der Solarkiosk ist eine kompakte Box, in der Produkte sowie Technik sicher ungebracht sind. (Foto: Georg Schaumburger)

Wie funktioniert der Solarkiosk technisch?
Im Wesentlichen besteht er aus zwei Ebenen: der Hardware und den elektrischen Komponenten. Unsere Aufgabe war es, aus beiden ein integratives System zu bilden, das robust und langlebig ist. Eine Architektur also, bei der die technischen Komponenten so integriert sind, dass sie sicher, leicht bedienbar und erweiterbar sind. Die Grösse der Box richtet sich zunächst nach der benötigten Energieleistung der Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Neben der reinen Stromerzeugung war die Frage aber auch: Was machen wir, wenn wir mehr Strom bekommen, als benötigt wird? Welche Speicherlösungen gäbe es? Wie sichert man an sonnenarmen Tagen die Versorgung? Im Prinzip also die gleichen Fragen wie in Deutschland beim Thema erneuerbare Energien. Mit der sauber erzeugten Energie müssen wir einfach intelligent umgehen! Beim Solarkiosk sind wir in Sachen Energiemanagement schon sehr weit. Er funktioniert sehr effizient, bis hin zum Speichern von Energie in Form von Kälte im «Solar Fridge». Wichtig war für uns der Gedanke der Erweiterbarkeit: Man könnte den erzeugten Strom in ein Netz einspeisen, man könnte den Kiosk verbinden mit Geothermie oder auch Windkraft. Wir wollen in Zukunft also in der Lage sein, mit dem Kiosk überall andocken zu können. Die entsprechenden Komponenten müssen natürlich jetzt schon eingeplant werden.

Welches Konstruktionsprinzip steckt im Solarkiosk?
Über das Grundmodul hinaus ist der Kiosk nach einer modularen Logik konstruiert und lässt sich sowohl in Platten oder Einzelteilen als auch komplett zusammengebaut transportieren. Wichtig für den Erfolg ist eine schnelle Massenproduktion. Wir haben wirklich viele lokalen Baumaterialien getestet, das Problem war jedoch immer eben dieser «Roll-out». Wenn man schnell vielen Menschen helfen will – worum es uns schliesslich geht – dauern manche zwar guten Herstellungsverfahren doch zu lange. Deswegen liegt unser momentanes Hauptaugenmerk auf einer Alustahl- bzw. Stahlrahmenkonstruktion, die in grossen Stückzahlen vorfabrizierbar ist und wirklich überall hin transportiert werden kann – auch dort hin, wo kein Auto mehr fährt.

Konstruktiv besteht der Solarkiosk aus einem Rahmen mit Füllungen, die möglichst stabil und sicher sein müssen. (Bild: Graft)

Welche aktuellen Schritte gibt es zurzeit beim Projekt Solarkiosk?
Zurzeit steht ein wichtiger und grosser Schritt bevor. Nachdem die Pilotprojekte jetzt feste Zahlen bringen, basteln wir an einer Software, die den Verkauf am Kiosk erleichtern soll. Es soll auch für Leute, die weder lesen noch schreiben können, möglich sein, einen solchen Kiosk zu betreiben. Wir wollen das im Grunde über Bilder per Tableoid steuern. Momentan starten wir in Tansania auch ein Modell, bei dem der Kiosk den Strom und auch Sicherheit für Telecom-Masten bietet. Ein wirklich spannendes Projekt für uns! So wie auch Afrika grundsätzlich hochspannend ist und in vielen Bereichen leider unterschätzt wird.

Man könnte den Solarkiosk am Ende also als eine Art «Grafted Corporate Architecture» bezeichnen.
Er verbindet auf interessante Weise extrem viele Faktoren miteinander. Deswegen sind wir Feuer und Flamme für dieses Projekt. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass durch das Zusammenführen vieler verschiedener Aspekte eine smarte Lösung für ein riesiges Problem entstehen kann. New Orleans hat uns gelehrt, wie man die entsprechenden Strukturen für ein solches Vorhaben schafft. Letztendlich aber war es doch noch einmal ein grosser Schritt, den Solarkiosk zu wagen. Die Idee aber fanden wir so gut, dass wir sie unbedingt verfolgen mussten! Am Ende hoffen wir natürlich, in der Welt etwas bewegt zu haben.

Und vor Kurzem gab es auch einen Preis für Ihr Engagement mit dem Projekt, wie ich gelesen habe: den Carl-Duisburg-Society Prize for Entrepreneurship.
Darüber haben wir uns natürlich gefreut! Besonders wichtig für uns ist die Sprengkraft der Idee «Solarkiosk», die übrigens bei vielen Regierungen und NGOs, aber auch der Industrie in Afrika offene Türen einrennt. Den Menschen geht es um Würde, Stolz und Identifikation, wie wir schon in New Orleans gesehen haben. Deswegen strahlt der Solarkiosk eine gewisse Haltung aus und hat Charakter. Wir sind sehr gespannt, wie sich das Projekt entwickeln wird. Im schlimmsten Falle haben wir Pilotprojekte realisiert, die das Leben der Menschen, deren Umfeld und Möglichkeiten verändert haben. So, we cant‘t loose!
 

Die vier Füsse des Solarkiosks sind in der Höhe justier- und so den Gegebenheiten anpassbar. (Foto: Graft)
Auf den Rahmen der Bodenplatte wird zunächst die komplette Rahmenkonstruktion montiert, die dann mit Wänden, Tür und Klappe gefüllt wird. (Foto: Graft)
Alt und neu: Zwischen den bestehenden Dorfhütten sticht der Solarkiosk (hier der Prototyp in Kenia) deutlich hervor. (Foto: Graft)
Jeder verfügbare Fachmann hilft mit beim Aufbau, … (Foto: Graft)
… auch die etwas Kleineren tun ihr Bestes. (Foto: Graft)
Wegen seines modularen Aufbaus lässt sich die Box leicht vervielfachen. (Bild: Graft)
Die Grösse der Box richtet sich im Prinzip nach der geplanten Energieleistung der Solarzellen. (Foto: Graft)
Der Solarkiosk scheint einen Bedarf zu bedienen – das Interesse ist jedenfalls auf Anhieb gross. (Foto: Georg Schaumburger)
In Zukunft wird der Solarkiosk (wie hier in Äthiopien) zum Mittelpunkt und Marktplatz in den Dörfern werden. (Foto: Graft)
Solarkiosk GmbH
Berlin, D

Hersteller-Kompetenz
Solarkiosk

Projekt
autonomous business unit «Solarkiosk»

Architektur/Design
Graft GmbH
Gesellschaft von Architekten
Berlin, D

Solarkiosk in Ethiopia
Solarkiosk Solutions PLC
Addis Abeba, ETH

Solarkiosk in Kenia
Solarkiosk Kenya Ltd.
Nairobi, EAK

Projektpartner
Graft GmbH
Gesellschaft von Architekten
Berlin, D

Stefan Fittkau Metallbau + Kunstschmiede Gmbh
Berlin, D

Reiner Lemoine Institut gGmbH
Berlin,D

Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW)
Berlin, D

Team
Dr. Ulrich Möller, CEO
Andreas Spieß, CEO
Graft: Lars Krückeberg, Wolfram Putz, Thomas Willemeit
Sebastian Massmann, Lead Architect
Janet Haastrup, Head of Logistics
Sasha Kolopic, Head of Marketing & PR
Caspar Wiik, Head of Engineering
Elias Oduncu, Head of Finance & Controlling
Marc Zedler, Grants Manager
Kidest Tigen-Spiess, Office Manager

Subsidiary in Addis Abeba, ETH
Merron Pillart, Managing Director

Subsidiary in Nairobi, EAK
Rachna Patel, Managing Director

Fertigstellung
in ständiger Weiterentwicklung

Fotonachweis
Graft
Georg Schaumburger
Tobias Hein

Projektvorschläge
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Vorgestelltes Projekt

Estimo Architekten AG

Villa Monte

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