Wohnen im Bürohaus
Auch vermeintlich weniger ästhetische Bestandsbauten bieten bisweilen großes architektonisches Potenzial. Das beweisen Züst Gübeli Gambetti mit dem Umbau eines Zürcher Bürogebäudes aus den 1980er-Jahren zum Wohnhaus »The Brick 80«.
Herr Züst, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Bei Umbauprojekten sind dem Bestand stets schon die Potenziale und Themen für den Entwurf eingeschrieben – es kommt darauf an, sie zu erkennen, herauszuschälen und zu schärfen. In diesem Fall besaß das vorhandene Bürogebäude zwar eine rigide Struktur, doch trotz seiner »Massigkeit« und Tiefe war es aufgrund seiner Ost-West-Ausrichtung und seiner beiden Erschließungskerne gut geeignet, Wohnungen aufzunehmen. Dabei waren die Raumhöhen von bis zu 2.80 Metern natürlich ein Plus. Wichtig war zudem, dass sich der Ort für eine Umnutzung eignet und dort eine Nachfrage für ein so außergewöhnliches Wohnhaus besteht.
Wir haben versucht, möglichst viel vom Bestand zu erhalten und zu recyceln. Unsere Eingriffe sind nur sehr punktuell. Dank unseren einfachen Maßnahmen und den eingestellten Raumboxen vom Schreiner sind die Bewohnenden selbst »Herr über den Raum«: Sie können ihn weiter unterteilen und in der Box sowie ringsherum in unterschiedliche Atmosphären eintauchen.
Das Gebäude selbst war zu Beginn noch wenig inspirierend: Es versprühte einen spröden 1980er-Jahre-Charme. Beim Entwurf ging es darum, diesen mit besonderen Nutzungen, Eigenschaften und Stimmungen anzureichern. Das haben wir erreicht, indem wir Nutzungen wie eine »Waschkapelle« im Erdgeschoss, eine nicht determinierte Eingangshalle mit Gemeinschaftsküche oder eine für alle Bewohnerinnen und Bewohner zugängliche Dachterrasse hinzufügten. Diese Gemeinschaftsräume sollen sozial wirksam sein und der Vereinzelung der Singlehaushalte entgegenwirken.
Die Räume haben zudem eine atmosphärische Aufladung erfahren: Wir haben ihre Sprödheit bewusst überzeichnet, indem wir neue Gussasphalt-Böden einbrachten, die Decken roh beließen oder Elektrokabel aus Stoff skulptural auf Putz führten. Auch die Umdeutung des Vorhandenen war für uns ein wichtiges gestalterisches Mittel: Wir haben die Fensterbretter der Bandfenster der früheren Büros zu langen Arbeitstischen umfunktioniert und ihnen so eine neue Aufgabe mit Mehrwert für die Bewohnenden zugewiesen. Kurzum, wir wollten vom Büro-Bestand inspiriert mit einfachen Mitteln haptisch wie visuell neue, sinnliche und funktionale Qualitäten erzeugen.
Leutschenbach und speziell die direkte Gebäudeumgebung befinden sich seit längerem in einem Transformationsprozess vom monofunktionalen zum gemischten Quartier. Direkte Nachbarn sind die beiden The Metropolitans-Wohntürme und der Leutschenbach-Park. Dank dieses Umfelds war das Erdgeschoss geradezu prädestiniert für eine neue Nutzung mit kleinteiligen Ateliers, in denen man wohnen, arbeiten, verkaufen oder alles gleichzeitig machen kann. Sie haben jeweils einen eigenen Zugang von außen.
Auch die Außenraumgestaltung trägt dazu bei, den öffentlichen Raum zu beleben. Die ersten Mieter haben ihn bereits mit ihrem Mobiliar in Beschlag genommen. Als Ergänzung zu den Wohn- und Ateliernutzungen sind in den beiden Stirnseiten zu den Straßen vier Gewerberäume angesiedelt. Anstelle eines abends »toten« Bürogebäudes findet so zu allen Tages- und Nachtzeiten eine Belebung des öffentlichen Raums statt – ein Mehrwert fürs Quartier.
Die Bauherrschaft wollte nur eine geringe Eingriffstiefe. Möglichst viel sollte bleiben, wie es war. Pragmatismus und Angemessenheit waren unsere Schlagworte. Es galt möglichst wenig Neues – und dies nur in Leichtbauweise – hinzuzufügen sowie »einfache« Materialien zu verwenden. Der Bestand und das Vorhandene bestimmen die Architektur, die 110 Wohnlofts und Ateliers sind deshalb individuell »as found« gestaltet.
Tatsächlich hat das Projekt eine lange Geschichte hinter sich, während der wir uns intensiv mit dem Gebäude und seiner Struktur auseinandergesetzt haben. Zum Projektstart 2019 war das Haus eine Multi-Tennant-Liegenschaft, später hat es der Bauherr den anderen Beteiligten abgekauft. Entsprechend haben wir über die Jahre unzählige Szenarien durchgespielt: von der Mischnutzung mit Wohnungen und Büros über eine Ergänzung als Seniorenresidenz oder gar die Option eines Ersatzneubaus bis hin zur schlussendlich umgesetzten Wohnnutzung mit möglichst geringer Eingriffstiefe. Dahinter standen immer dieselben Grundsatzfragen: Was leistet das Gebäude? Was braucht der Markt?
Wir haben immer für einen Erhalt des Gebäudes plädiert und uns gegen einen Ersatzneubau ausgesprochen. Das Bürogebäude stammt aus den 1980er-Jahren, ist also noch jung: Wir wollten seine Lebensdauer verlängern – mit neuen oder anderen Nutzungen. Auch wenn das Äußere vielleicht nicht dem heutigen Geschmack entspricht, haben wir Fassade und Sonnenschutz beibehalten und nur einzelne Elemente in neuen Farben gespritzt oder sie ersetzt. Die Gebäudehülle wurde also ebenfalls komplett erhalten.
Wir wollten Materialien mit speziellen Qualitäten, mit Charakter. Materialien und Details sollten im Kontrast zum spröden Charme des Gebäudes eine gewisse Anmutung oder »Weichheit« aufweisen. Darum durften es teils auch ungewöhnliche Farben und Baustoffe sein, wie etwa der schwarze Gussasphalt-Boden, der zugleich den Schall gut absorbiert. Die Ausbringung dieses Materials ist noch ein echtes Handwerk: Der Asphalt kann nicht einfach mit einem großen Schlauch hineingegossen werden. Stattdessen wird er in kleinen Kübeln antransportiert und von Hand ausgestrichen. Möglich war dies, weil wir die bestehenden Heizkörper übernehmen konnten und keine Fußbodenheizung integrieren mussten.
In den Lofts nuancieren die spiegelnden Böden, die Haptik der OSB-Spanplatten-Boxen und der Küchen mit Edelstahlabdeckung, die Linoleumabdeckungen der Fensterbretter sowie die »Stoffkabel-Spinnen« den Raumeindruck. In den Nasszellen kamen hochwertige blaugrüne Fließen und schwarze Armaturen zum Einsatz. So fügen sich viele kleine, aufeinander abgestimmte Details zu einem neuen Ganzen.
2024
Schärenmoosstrasse 80
8052 Zürich, Kanton Zürich, Schweiz
Nutzung
Wohn- und Geschäftshaus
Vergabe
Direktauftrag
Bauherrschaft
Bauherrenvertretung: Wincasa AG, Winterthur
Architektur
Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG, Zürich
Sarah Maria Lechner, Gonçalo Magalhães, Martin Wenger, Felix Simons und Lea Nussbaumer
Fachplaner
Statik: K2S Bauingenieure AG, Wallisellen
Bauphysik: Michael Wichser + Partner AG, Dübendorf
Elektroplanung und HLKS: 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur
Brandschutz: SafeT Swiss AG, Glattpark
Baumanagement: befair partners AG, Zürich
Kunst am Bau
Farbkonzept Fassade in Zusammenarbeit mit Thomas Rutherfoord, Winterthur
Ausführende Firmen
Schreinerarbeiten: Walter Bochsler AG, Urdorf
Energiestandard
Minergie-P (PV-Anlage auf Dach, 30 E-Ladestationen)
Bruttogeschossfläche
14'638 m² oberirdisch und 7630 m² unterirdisch
Gebäudevolumen
49'320 m³
Fotos
Roger Frei, Zürich