Arbeiten an der Bauwende

Paulina Minet | 18. April 2025
Foto: © Séverin Malaud

Als Mitverursacher und potenzieller Hebel für Veränderung rückt die Baubranche immer wieder ins Zentrum der Debatte um den Klimawandel. Der Gebäudesektor ist laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) für 40 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Wenngleich der Diskurs um die Bauwende Jahrzehnte zurückreicht, bleibt dieser zumeist theoretisch.

 

Herr Brandlhuber, als Gründungspartner von bplus.xyz in Berlin und Professor an der ETH Zürich beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Baubestand und den Rahmenbedingungen der Architektur. Welche Rolle nehmen Lehre und Forschung in Bezug auf die Bauwende ein?

Arno Brandlhuber: Die Notwendigkeit der Bauwende ergibt sich aus der aktuellen Realität. An Hochschulen bringen meist die Studierenden diese Themen in die Lehre ein. Dies zog die Auseinandersetzung mit Generationengerechtigkeit nach sich und führte an der ETH Zürich zu einem tiefgreifenden Wandel: Anstelle von Neubauprojekten stehen nun Prozesse der Sanierung, der Ertüchtigung und der adaptiven Wiederverwendung sowie Fragen der Energiebilanzierung im Zentrum des Curriculums.

Wieso ist die Diskrepanz zwischen Lehre und Baupraxis so ausgeprägt?

Arno Brandlhuber: Die Baupraxis gehört zu den konservativsten Bereichen aller Produktionszweige. Konservativ kann dabei sehr konträr verstanden werden. Zum einen als ein »Immer weiter so«, das mit technologischem Fortschritt kaschiert wird, zum anderen als positive Haltung des Bewahrens von Bestand. 

Das Departement Architektur der ETH Zürich richtet im September mit der Holcim Foundation for Sustainable Construction das Fellowship »Designing Incentives for Change« in Brüssel aus. Herr Meidany, Sie leiten das Fellowship-Programm der Holcim Foundation. Warum engagiert sich ein Industrieunternehmen wie Holcim für die Bauwende?

Saba Meidany: Als die Holcim Foundation gegründet wurde, war der Begriff »nachhaltiges Bauen« wenig geläufig. Holcim erkannte, dass sich die Baustoffindustrie weiterentwickeln muss, um in einer Welt endlicher Ressourcen zu bestehen. Sie gründete die Stiftung, um den Wandel der Branche mitzugestalten und zu fördern. Die Stiftung ist eine Plattform für Forschung und Austausch. Außerdem hat sie die Transformation der Holcim AG zu klimafreundlicheren Lösungen vorangetrieben.

Welchen Projekten, Akteurinnen und Akteuren werden Sie im Rahmen des Fellowships begegnen?

Saba Meidany: Entsprechend unserem Themenschwerpunkt werden wir wirtschaftliche, kulturelle und politische Anreize für Sanierung und Wiederverwendung untersuchen. Wir werden Projekte besichtigen, die diese Strategien anwenden, und Stakeholder des gesamten Prozesses wie die Democo Group, &bogdan, noAarchitecten, den europäischen Verband der Bauindustrie, das Architects’ Council of Europe, Schmidt Hammer Lassen und viele mehr kennenlernen.

Greenwashing ist auch in der Baubranche ein Thema. Wie stellt die Holcim Foundation sicher, dass sie Veränderungen bewirkt und nicht PR-Maßnahmen für die Beteiligten?

Saba Meidany: Unsere Programme und Partnerschaften beruhen auf präzisen Beurteilungskriterien und Rahmenbedingungen, denen Transparenz und langfristiges Wirken zugrunde liegen. Wir fördern Nachhaltigkeit nicht als Etikett, sondern legen Wert auf messbare Veränderungen. Projekte müssen neben ihrer Umweltverträglichkeit auch soziale Integration, wirtschaftliche Tragbarkeit und die Fähigkeit zur Skalierung nachweisen. Außerdem gewährleisten wir Unabhängigkeit – die Stiftung arbeitet als gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, den kulturellen und systemischen Wandel in der Baubranche zu fördern.

Foto: © Corentin Haubruge

Frau Schagemann, Sie sind seit 2021 Präsidentin des Architects’ Council of Europe, das 562'000 Architektinnen und Architekten vertritt, und setzen sich auf europäischer Ebene für nachhaltiges Bauen ein. Verstehen Sie sich als Lobbyistin für die Umbaukultur?

Ruth Schagemann: Ich sehe mich als Stimme für eine neue Umbaukultur – eine, die Nachhaltigkeit, Bestand und soziale Verantwortung ins Zentrum rückt.

Klimapolitische Ziele scheinen in der Bevölkerung weniger Rückhalt zu haben, wie die Ergebnisse der Bundestagswahlen in Deutschland annehmen lassen. Ist die gesellschaftliche Akzeptanz groß genug, um Veränderungen im Bausektor anzustoßen?

Ruth Schagemann: Die Wahlergebnisse spiegeln eine Verunsicherung in der Bevölkerung wider – vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der klimapolitischen Maßnahmen betreffend. Das ist ernst zu nehmen. Doch genau deshalb braucht es eine klare Kommunikation, mutige Entscheidungen und sichtbare Erfolge. Die gesellschaftliche Akzeptanz für Veränderung ist da – ist aber an Bedingungen geknüpft: Die Menschen wollen nachvollziehen können, welchen Beitrag sie leisten, was es ihnen nutzt und wie sozial gerecht der Wandel gestaltet wird.

Welche gesetzlichen Maßnahmen wären für eine effektive Bauwende erforderlich?

Ruth Schagemann: Eine echte Bauwende erfordert einen ambitionierten legislativen Rahmen, der Nachhaltigkeit, Resilienz und Qualität in den Mittelpunkt stellt. Dies würde die Festlegung von verbindlichen Klima- und Ressourcenzielen im Bauwesen, die Förderung von Bestandserhalt gegenüber Abriss, qualitätsorientierte Vergabeverfahren sowie die Weiterentwicklung der Bildung und des Berufsrechts inkludieren.

&bogdan: Umbau einer Mühl zum Kultur- und Geschäftszentrum, Anderlecht (Foto: © Luca Beel)
noArchitecten: Umbau und Aufstockung eines Warenhauses zum Museum, Kortrijk (Foto: © Filip Dujardin)

Herr Grawert, Sie sind Architekt, Partner bei bplus.xyz und Mitinitiator der europäischen Bürgerinitiative »HouseEurope!«, die per EU-Gesetzgebung Bestandserhalt und Umbau erleichtern möchte. Forderungen vonseiten der Planerinnen und Planer blieben zumeist ein Plädoyer. Warum sollte gerade eine der Architektur-Bubble entsprungene Bürgerinitiative gesamtgesellschaftlich Anklang finden?

Olaf Grawert: Unsere Initiative entstand aus der Architektur, richtet sich aber an die gesamte Gesellschaft. Die Frage, wie wir wohnen, bauen und erhalten, betrifft alle. Die vorab durchgeführte repräsentative Umfrage zeigt: Sanierungen finden breite Zustimmung in der Gesellschaft, werden aber nur dann umgesetzt, wenn sie wirtschaftlich konkurrenzfähig sind – dort müssen wir ansetzen.

Sie benötigen eine Million Unterschriften, um die Initiative einzureichen. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen ein?

Olaf Grawert: Wir machen das zum ersten Mal und sind entsprechend auf den Rat von Menschen angewiesen, die solche Kampagnen bereits erfolgreich geführt haben. Von ihnen hören wir: Unsere Chancen stehen gut. Wir haben die magische Grenze von 10'000 Stimmen im ersten Monat geknackt, vor allem aber konnten wir ein schnell wachsendes Netzwerk an Unterstützerinnen und Unterstützern in allen EU-Ländern aufbauen.

 

Die Entwicklung des Bausektors ist von heterogenen Perspektiven, Interessen sowie Akteurinnen und Akteuren geprägt. Die Frage, ob ein Paradigmenwechsel in der Architektur gelingen kann oder Utopie bleiben wird, vermag nur die Zukunft zu beantworten.

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