»Architektur geht uns alle an« – zum Tod von Kristin Feireiss-Commerell

Eduard Kögel | 25. April 2025
Foto: © Volker Renner

Mit freundlicher Bestimmtheit mischte sie sich ein und bezog klar Stellung – nicht immer zur Freude aller. Doch gerade durch ihre pointierten Positionen wurden Diskurse möglich, die Architektur- und Stadtkultur in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang stellten. Kristin Feireiss-Commerell war Journalistin, Kritikerin, Ausstellungsmacherin – und gründete 1980 gemeinsam mit Helga Retzer (†1984) in Berlin-Charlottenburg die Aedes – Galerie für Architektur und Raum. 

Ihre Perspektive von außerhalb des Architektenzirkels richtete sich stets auf die Vermittlung fachlicher Themen an die breite Öffentlichkeit, ein Anliegen, das sie ins Zentrum ihrer Arbeit stellte. Im Laufe von 45 Jahren entwickelte sich Aedes zu einer Plattform für den Diskurs über Berliner, deutsche und globale Architekturfragen. Es war Teil ihres Selbstverständnisses, Frauen zu fördern – vorausgesetzt, sie war von der Qualität ihrer Arbeit überzeugt. Am Wochenende ist Kristin nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. 

In ihrer ersten Ausstellung präsentierten die Galeristinnen den Berlin-Entwurf von Alison und Peter Smithson aus dem Jahr 1957 – ein deutliches Statement im postmodernen Fieber der IBA ’87, bei der vor allem im Neubauteil die Stilfrage heiß diskutiert wurde. Die zweite Ausstellung, »In Memoriam Kongresshalle Berlin«, widmete sich der kurz zuvor eingestürzten Halle von Hugh Stubbins, die 1957 zur Interbau entstanden war. Architektinnen und Architekten, Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt reichten für die Schau neue Ideen und Kommentare ein. Dafür entstand der erste der charakteristischen quadratischen Kataloge – mittlerweile sind über 450 erschienen.

Seit ihrer Eröffnung hat die Galerie mehr als 600 Ausstellungen gezeigt – teils monografisch, teils thematisch kuratiert. Begleitet von Veranstaltungen, schufen sie Sichtbarkeit für die architektonische und urbane Praxis. 1988 zog die Galerie in die S-Bahn-Bögen am Savignyplatz. Ein Jahr später fiel die Berliner Mauer, und 1994 eröffnete Kristin gemeinsam mit ihrem Partner Hans-Jürgen Commerell Aedes East in den Hackeschen Höfen. 2006 folgte der Umzug an den heutigen Standort am Pfefferberg, dann als Architekturforum Aedes. 

Kristins unermüdliches Engagement für die Architekturkultur wurde vielfach international gewürdigt, und sie wurde mit bedeutenden Preisen geehrt. Zugleich war Kristin selbst in zahlreichen Jurys aktiv – sowohl bei Architekturwettbewerben als auch bei renommierten Architekturpreisen. Von 2013 bis 2017 war sie zum Beispiel Jurymitglied des Pritzker-Preises. Viele Architektinnen und Architekten, die bei Aedes ausstellten, erhielten später diesen Preis: unter anderem Frank Gehry, Zaha Hadid, Rem Koolhaas, Álvaro Siza, Thom Mayne, SANAA, Wang Shu und Liu Jiakun. Einige – wie Rem Koolhaas und Zaha Hadid – waren bei ihren ersten Aedes-Ausstellungen weitgehend unbekannt. Auch Wang Shu und Liu Jiakun waren außerhalb Chinas nur einem kleinen Fachpublikum ein Begriff, bevor sie bei Aedes präsentiert wurden. Mit feinem Gespür für Qualität und Zeitgeist verstand es Kristin von Anfang an, junge und noch unentdeckte Talente zu fördern. Das blieb über all die Jahre ihr Prinzip: Sie war stets offen, zugewandt – und traute jungen Menschen etwas zu.

»Die Ausstellung soll neugierig machen, manchmal auch nachdenklich, sie soll Denkansätze erweitern helfen.«

Kristin Feireiss-Commerell 

Kristin publizierte und editierte zahlreiche Bücher und engagierte sich neben ihrer Arbeit für Aedes in vielen weiteren Architekturausstellungen; unter anderem für die Kunsthalle Hamburg, das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt und das Centre Pompidou in Paris. Als Berlin 1988 Kulturhauptstadt Europas war, kuratierte sie die Ausstellung »Berlin – Denkmal oder Denkmodell?«, die später auch an anderen Orten gezeigt wurde. Ihr Erfolg führte dazu, dass der damalige Pariser Bürgermeister Jacques Chirac sie im Folgejahr einlud, eine Architekturausstellung in der französischen Hauptstadt zu realisieren.

Von 1996 bis 2001 war Kristin Direktorin am Nederlands Architectuurinstituut in Rotterdam. Gemeinsam mit dem Team vor Ort entwickelte sie dort unter anderem die Ausstellung »Blank. Architecture, Apartheid and After«, in der erstmals nach dem Ende der Apartheid Architektur und Urbanismus in Südafrika thematisiert wurden. Bis zuletzt war sie als Kuratorin aktiv – etwa im Berliner Museum für Architekturzeichnung, wo sie die aktuelle Ausstellung »Steven Holl – Drawing as Thought« konzipierte.

Meine erste Begegnung mit Aedes hatte ich 1992, als ein studentisches Projekt, an dem ich beteiligt war, dort ausgestellt wurde. Eine engere, professionelle Zusammenarbeit begann 2001, als wir die erste Ausstellung zu zeitgenössischer Architektur junger Architektinnen und Architekten aus China vorbereiteten. Seither standen wir in regelmäßigem Austausch – nicht zuletzt bei den informellen Treffen in ihrer privaten Wohnung, wo Kristin mit großer Selbstverständlichkeit Menschen, Ideen und Netzwerke verknüpfte.

Sie war stets voller Energie, hatte ein offenes Ohr für neue Perspektiven aus anderen Weltgegenden und unterstützte gezielt Positionen, die es auch in ihren Herkunftsländern schwer hatten, Gehör zu finden. So wurde sie zu einer international hoch angesehenen Stimme – nicht nur in Fragen westlicher Baukultur, sondern auch als Brückenbauerin zwischen Kulturen.

Kristins zentrales Anliegen war es, Architektur und Stadtentwicklung als kulturelle Praxis zu begreifen – und diesen Diskurs über den engeren Fachkreis hinaus in die Gesellschaft zu tragen. Denn letztlich ist jede und jeder von den gebauten Lebensräumen betroffen. Für diese Vermittlungsarbeit braucht es unabhängige Plattformen – Schnittstellen zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit –, die sie unermüdlich einforderte und mit ihrem Lebenswerk verkörperte.

Wer mehr über die nicht minder spannende erste Hälfte ihres Lebens – vor der Gründung der Architekturgalerie Aedes – erfahren möchte, dem sei ein Interview empfohlen, das im September letzten Jahres aufgezeichnet wurde. 

Kristin wurde 82 Jahre alt, und ihre Stimme wird fehlen. Doch ihr Vermächtnis wirkt weiter – in Ausstellungen, Katalogen, Netzwerken und vor allem: in den Köpfen und Herzen derer, die sie gefördert und inspiriert hat.

 

Bereits vor ihrem überraschenden Tod hatte Kristin Feireiss-Commerell den Führungswechsel bei Aedes eingeleitet. Dafür wird die Verantwortung schrittweise an die langjährigen Mitarbeiter übergehen. Die bislang unabhängige Aedes Galerie und das ANCB MetroLab werden zu einer gemeinnützigen Einrichtung unter dem Namen Aedes Network Campus fusionieren. Um diese Institution auch ökonomisch zu unterstützen befindet sich der Förderverein Aedes Alumni & Friends (AAF e. V.) in Gründung. 

Verwandte Artikel