Entfaltung

Elias Baumgarten | 24. Januar 2025

Die Schweiz ist ein Betonland. Der mineralische Baustoff sei die »Muttermilch der Schweizer Architektur«, sagte Andreas Ruby, der Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums S AM, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Beton« vor einigen Jahren. Doch inzwischen wird weniger betoniert: Den meisten Bauherrschaften, Architektinnen und Architekten ist bewusst, dass das Material das Klima belastet und die Umwelt schädigt. Verantwortung zu übernehmen heißt aber nicht nur, bei Neubauten lieber auf Beton zu verzichten. Es kommt auch auf den richtigen Umgang mit dem Bestand an: Die Lebensspanne alter Betonbauten sollte möglichst lange ausgedehnt werden. Gerade diese Bauwerke dürfen wir nicht vorschnell abbrechen, denn in ihnen stecken große Mengen an grauer Energie und viele knappe Ressourcen.

Doch was vernünftig klingt, ist in der Praxis keine leichte Aufgabe: Nicht nur architektonisch ist die Umgestaltung der massiven Gebäude eine Herausforderung, auch politisch ist sie heikel und erfordert Überzeugungsarbeit: Viele Menschen empfinden brutalistische Bauten als kalt und seelenlos und wären sie lieber los, das zeigen Architektur-Diskussionen in den Sozialen Medien immer wieder. Und doch: Betongebäude zu erhalten, kann ein Gewinn für alle sein. Das beweist das umgestaltete Pfarreizentrum Gerliswil bei Luzern. Lussi + Partner sanierten den Bestandsbau aus den 1970er-Jahren, ergänzten einen hölzernen Saalaufbau und machten den Komplex zu einem echten Gemeinschaftszentrum, das dem ganzen Quartier offensteht.

Neu ist das Gemeindezentrum auch von oben her zugänglich. Als »promenade architectural« verbindet sein Treppenhaus den Haupteingang an der Haldenstrasse mit dem Raum vor der Kirche, die über dem Quartier thront. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Oberhalb des Gebäudes befinden sich ein kleiner Platz für Feierlichkeiten und ein parkartiger Grünraum. Eine Rampe ermöglicht den barrierefreien Zugang zur benachbarten Kirche. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Stärkung

In Bevölkerung und Kirchgemeinde stößt der Umbau auf viel positives Echo. Denn die Architekten aus Luzern haben den vertrauten und im kollektiven Gedächtnis fest verankerten Altbau des Büros K. Müller erhalten, prägende Gestaltungselemente bewahrt und Schwächen ausgebügelt – dabei hätten sie das unterhalb der Kirche in den steilen Hang gebaute Haus gemäß dem Wettbewerbsprogramm auch abreißen dürfen. Im Bestandsbau sorgten Lussi + Partner für eine überraschende Innenwelt mit reizvollen Blickbezügen: Sie durchbrachen Decken, und durch ein großes Bullaugenfenster blickt man vom Treppenhaus in die Büroräume der Kirchenverwaltung. So dringt mehr Tageslicht tief ins Gebäude. Die Räume wirken viel heller und freundlicher als früher. Liebgewonnenes blieb bei allen Änderungen erhalten: Die roten Treppengeländer passten die Architekten heutigen Sicherheitsnormen an, und Besuchende schreiten weiterhin über den schönen dunklen Plattenboden.

Höhepunkt der aktualisierten 1970er-Jahre-Innenwelt ist der zentrale Erschließungsraum: Eine skulpturale Treppenanlage schraubt sich durch den Altbau und setzt sich in der Aufstockung fort. Als wahre »promenade architectural« verläuft sie vom Haupteingang an der Haldenstrasse zum neuen Eingang beim Festplatz vor der Kirche. Dabei verbindet sie die Party- und Jugendräume, die Schulzimmer für den Religionsunterricht, die Büro- und Besprechungsräume sowie die Beratungsstelle des kirchlichen Sozialamts – das aus Gründen der Diskretion zusätzlich über einen Nebeneingang verfügt – mit dem großen Gemeindesaal und dem stimmungsvollen Andachtsraum im Aufbau. Und wer keine Treppen steigen kann, dem steht neu ein Lift zur Verfügung, durch den das Gebäude barrierefrei nutzbar wird.

Ein architektonisches Prunkstück ist die skulpturale Treppenanlage. Das prägnante rote Geländer wurde im Neubau in abstrahierter Form aufgegriffen. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Im neuen Gebäudeteil wird die zweiläufige Treppe dreiläufig weitergeführt. Ein hellerer Plattenboden zeigt den Übergang vom Alt- zum Neubau an. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Deckendurchbrüche bringen mehr Licht tief ins Gebäude. Die Innenwelt gefällt mit ihrer komplexen Geometrie und vielen überraschenden Durchblicken. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Zum Stadtbaustein ausgebaut

Mit dem Übergang in den Neubau weitet sich der Erschließungsraum und die zweiläufige Treppe wird dreiläufig fortgeführt. Auch der hellere Braunton der Fußbodenplatten signalisiert den Wechsel in den neuen Gebäudeteil. Konstruiert ist die Aufstockung als leichtgewichtiger Holzbau. Unter ihrem gefalteten Dach befindet sich neben dem teilbaren Saal für bis zu 300 Menschen mit angedockter moderner Küche auch der Raum der Stille. Dieser ersetzt eine Kapelle im Altbau, die den neu eingerichteten Klassenzimmern wich. Alle Räume profitieren von schönen Oberflächen aus duftendem Eschenholz, die eine behagliche Atmosphäre schaffen. Im Saal geben Panoramafenster einen herrlichen Blick auf die Berge um Luzern frei. Aus Gründen des Lärmschutzes weisen sie eine Kastenkonstruktion auf – so ist eine Störung der Nachbarn ausgeschlossen und sogar das Triebwerksdonnern vom nahen Militärflugplatz aufsteigender Kampfjets ist kaum zu hören. Im Andachtsraum blickt man aus einem großen Bullaugenfenster auf die benachbarte Kirche und durch ein rundes Oberlicht gen Himmel.

Außen wurde der Aufbau in ein Kupferkleid gehüllt. Das sorgt nicht nur für einen reizvollen Kontrast zum Sichtbeton des Sockelbaus, der von einem orangen Anstrich befreit wurde, sondern stellt auch eine architektonische Verbindung zum Turmdach der Neobarock-Kirche aus demselben Material her. Großartig ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Aufstockung ins Gesamtbild einfügt – fast meint man, der rotbraun schimmernde Gebäudeteil hätte eigentlich schon immer zum Gemeindezentrum gehört. Auch städtebaulich ist der Umbau ein Gewinn. Weil das vormals nur von unten her zugängliche Pfarreizentrum mit der Aufstockung einen zusätzlichen Eingang an der Oberseite bekommen hat, verbindet es jetzt die geschäftige Schulhausstrasse mit dem ruhigen Grünraum und dem neuen Festplatz vor der Kirche. 

Im teilbaren Gemeindesaal finden bis zu 300 Menschen Platz. Panoramafenster bieten eine wunderbare Aussicht, eine moderne Küche schließt seitlich an. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Im Raum der Stille sorgt Eschenholz für Behaglichkeit. Das Oberlicht und ein großes Rundfenster erzeugen eine angenehme Lichtstimmung. (Foto: © Franz Rindlisbacher)
Ein Kirchenbau als Quartierszentrum

Tagsüber öffentlich zugänglich, ist das Pfarreizentrum nicht nur zum echten Mittelpunkt der Kirchgemeinde geworden, sondern spielt nun auch für das Sozialleben im Quartier generell eine wichtige Rolle: Viele kirchliche Nutzungen, die zuvor auf verschiedene Standorte verteilt waren, finden unter einem Dach zusammen. Der große Saal, in dem ein buntes Veranstaltungsprogramm von Versammlungen bis hin zu Filmvorführungen stattfindet, kann von allen angemietet werden. Die Gemeinde Emmen nutzt dieses Angebot bereits. Und damit ist das Potenzial des Hauses noch nicht einmal ausgereizt: Das Pfarreizentrum bietet viele weitere Möglichkeiten für eine lebhafte Nutzung. Die Schulzimmer beispielsweise könnten abends von Vereinen bespielt werden, und der Raum der Stille eignet sich hervorragend für alle Aktivitäten, die Ruhe und Behaglichkeit bedürfen, wie Yogakurse oder gemeinsames Meditieren.

Situation (© Lussi + Partner)
Grundriss Untergeschoss (© Lussi + Partner)
Grundriss Erdgeschoss (© Lussi + Partner)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Lussi + Partner)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Lussi + Partner)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Lussi + Partner)
Längsschnitt (© Lussi + Partner)
Querschnitt (© Lussi + Partner)

Projektinformationen Pfarreizentrum Gerliswil
 
Standort
Emmen, Kanton Luzern, Schweiz
 
Bauherrschaft
Römisch-katholische Kirchgemeinde Emmen
 
Architektur
Lussi + Partner, Luzern
 
Fachplaner
Landschaftsarchitektur: koepflipartner GmbH, Luzern
Bauleitung: b2 Bauleitung AG, Sursee
Kostenplanung: EXA Baumanagement AG, Luzern
Bauingenieur: Emch+Berger WSB AG, Emmenbrücke
Elektroingenieur: B+S Elektro Engineering AG, Emmenbrücke
HLKS-Ingenieur: JOP Josef Ottiger + Partner AG, Rothenburg
Bauphysik: RSP Bauphysik AG, Luzern
 
Vergabe
Projektwettbewerb 2019, 1. Preis

Vorgestelltes Projekt 

Pfister Klingenfuss Architekten AG

Wohnüberbauung Scheidgasse

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