Für Mensch und Umwelt

Katharina Marchal | 11. April 2025
Bei der Fassade des Wohnhauses LysP8 handelt es sich um eine hinterlüftete Konstruktion aus Dachziegeln. (Foto: © Federico Farinatti)

Fünf Jahrzehnte lang schickte der Großverteiler Coop vom Lysbüchel-Areal in Basel aus seine Waren in die ganze Schweiz. 2013 wurde das Gelände an den Kanton und die Stiftung Habitat verkauft. Die gemeinnützige Wohnbauträgerin parzellierte das Grundstück auf und gab das Land im Baurecht an neu gegründete Genossenschaften und Baugemeinschaften ab oder baute selbst. So nutzte sie etwa das frühere Coop-Weinlager zum Sozialwohnbau um, den Entwurf dazu lieferten Esch Sintzel Architekten (neu Studio Esch Rickenbacher und Studio Sintzel).

Insgesamt sind auf dem Lysbüchel-Areal elf fünf- bis sechsstöckige Wohnhäuser entstanden. Eintönigkeit gibt es dabei nicht: Jedes Haus sieht anders aus und hat sein eigenes Gesicht. Bei den meisten handelt es sich um Genossenschaftsbauten mit günstigen Mietzinsen. Dieses auf Vielfalt ausgelegte architektonische Konzept gibt Menschen in unterschiedlichen familiären Situationen, die verschiedenen sozialen Schichten, Einkommens- und Altersgruppen angehören, ein Zuhause.

Ein Gewebe aus Treppen, Terrassen, Außensitzplätzen und Laubengängen dient nicht nur der Erschließung, sondern ist vor allem ein beliebter Treffpunkt für die Hausgemeinschaft. (Foto: © Federico Farinatti)

Den Abschluss der Transformation markiert das Wohnhaus LysP8 des Büros Loeliger Strub Architektur aus Zürich. Das Eckgebäude – bestehend aus einem Punkthaus und einem Langhaus – schließt den Blockrand, der einen begrünten Innenhof umfasst. Nachhaltigkeit wurde hier in mehrfacher Hinsicht großgeschrieben – das entspricht den Zielen der Stiftung Habitat. Spekulation wird verhindert, günstige Mieten werden gefördert. Das wird möglich durch eine spezielle Belegungsverpflichtung: Der Flächenverbrauch darf 45 Quadratmeter Energiebezugsfläche pro Person nicht übersteigen. Dementsprechend wurden die Wohnungsgrundrisse im LysP8 optimiert und Verkehrsflächen auf das Nötigste reduziert: In den 1.5-Zimmer-Wohnungen liegt das Bad einem Scharnier gleich zwischen dem Wohn- und dem Schlafraum. Zwei raumhohe Flügeltüren trennen entweder einen kleineren Nassraum ab und schaffen einen Gang zwischen den beiden Haupträumen oder formen ein großes hindernisfreies Bad. Diese Türelemente wiederholen sich in den 3.5- und 4.5-Zimmer-Familienwohnungen. 

Auch das Farb- und Materialkonzept zieht sich einheitlich durch, setzt Akzente in den Innenräumen und an den Fassaden und schafft eine lebendige Atmosphäre; so sind die Flügel- und Schranktüren abwechselnd in mattem Rot oder hellem Blau gestrichen und mit großen Griffen oder einem runden Spiegel versehen. Die gewählten Materialien sind einfach, wirken aber in den Räumen stimmig. Wände und Decken werden von rohen Holzleisten gerahmt. Dazu passt der geschliffene Anhydritboden. Auch die Deckenkonstruktion aus Holzbalken bleibt in den Erschließungsräumen sichtbar. 

Die Laubengänge auf der Hofseite werfen Schatten auf die Fassaden und verhindern so, dass sich die Wohnungen an heißen Sommertagen unangenehm aufheizen. (Foto: © Federico Farinatti)
Sozial nachhaltig

Über ein offenes Treppenhaus, das zwischen den zwei Volumen eingefügt ist, und Laubengänge sind die insgesamt 27 Mietwohnungen erschlossen. Die Laubengänge im Süden auf der Hofseite spenden Schatten und schützen so im Sommer vor Überhitzung. Vertikal- und Fallarmmarkisen verhindern bei Bedarf zusätzlich direkte Sonneneinstrahlung.

Vor allem aber lädt die großzügige Erschließung zur gemeinschaftlichen Nutzung und zum informellen Austausch ein. Eine breite Sitztreppe, die vom Eingangsgeschoss in den tieferliegenden Garten führen, kann im Sommer zur Zuschauertribüne für Openair-Kino-Vorführungen oder Ping-Pong-Turniere genutzt werden. An die Treppenpodeste auf der Straßenseite schließen Gemeinschaftsterrassen an. Im ersten und dritten Wohngeschoss weiten sich die Treppenabsätze auf der Hofseite zu öffentlichen Logen. Treppen, Sitzplätze, Terrassen und Laubengänge sind zu einer dreidimensionalen Hauspromenade verwoben. Im Erdgeschoss befindet sich außerdem eine großzügige Abstellhalle für Fahrräder. Der hofseitige Gemeinschaftsraum wird unter der Woche von der eingemieteten Stiftung Rheinleben genutzt, die sich um Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen kümmert, und steht am Wochenende den Mieterinnen und Mietern zur Verfügung.

Viele Holzoberfläche und kräftige Farben sorgen für Behaglichkeit. (Foto: © Federico Farinatti)
Durch große Flügeltüren lassen sich die Wohnungen unterschiedlich aufteilen und nutzen. Dieser architektonische Kniff verringert den Platzbedarf wesentlich. (Foto: © Federico Farinatti)
Ressourcen schonen

Besonders nachhaltig ist das Projekt in Bezug auf die Bauweise; eine der Zielsetzungen der Stiftung Habitat war, energieeffizient, ökologisch und gesund zu bauen. So wurde das Gebäude nahezu vollumfänglich aus dem nachwachsenden Naturbaustoff Holz erstellt – inklusive des Treppenhauses und des Liftschachts. Darüber hinaus stammen viele Bauteile aus Abbruchobjekten. Die gebrauchten Teile ausfindig zu machen und schließlich einzubauen, erforderte eine besondere Logistik und viel Engagement aller Beteiligten. 

Auf der Suche nach geeignetem Baumaterial haben die Architekten das Fachplanungsbüro Zirkular beigezogen, das auf kreislauffähiges Bauen und Re-use spezialisiert ist. Zu den wiederverwendeten Bauteilen gehören beispielsweise das Brettschichtholz, das einst den Pavillon der Formel-E-Rennstrecke in Zürich überspannte. Zudem wurden Restposten verwendet: Die Wände sind mit übrig gebliebenen Gipsplatten verkleidet, und auch die Wellplatten für das Dach stammen aus Restbeständen. Die Straßenfassade wurde mit unterschiedlichen Ziegeln verkleidet. Dabei engagierte sich sogar der Holzbauer, der ein Drittel von einer anderen Baustelle organisierte, wo Ziegel rückgebaut wurden. Den Großteil der Ziegel besorgten Zirkular. Des Weiteren fanden Fensterläden, Gartenplatten und Geländer eine neue Nutzung. Zur Anwendung kamen auch Einrichtungselemente, wie etwa einzelne Schränke für die Küchenzeilen. 

Vorausschauend wurde das Honorar für den Mehraufwand, den die aufwendige Materialsuche, der Transport und die Koordination für die Planung und Ausführung bedeuteten, miteinberechnet. Architekt Marc Loeliger regt das Projekt zum Nachdenken über die Zukunft seiner Disziplin an: »Wir sind als Architekten indirekt auch Bauteilvermittler«, sagt er. Auch dank der Wiederverwendung von Bauteilen fällt die Umweltbilanz des Projekts gut aus und die Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft konnten deutlich unterschritten werden. Konstruiert haben Loeliger Strub das neue Haus so, dass es in Zukunft einfach demontiert werden kann, um die Einzelteile ein weiteres Mal wiederzuverwenden.

Rundum vorbildlich

Seit März 2025 wird das Gebäude bezogen. Mieterin der ersten Stunde ist die Stiftung Rheinleben: Sie hat sich bereits die beiden Obergeschosse reserviert, wo Menschen mit psychischer Beeinträchtigung und deren Begleitpersonen ein wohnliches Zuhause finden werden. Damit ist das Projekt auch in sozialer Hinsicht vorbildlich. Insgesamt erfüllt es die Ziele der Stiftung Habitat eindrücklich, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Klimaziele einhalten möchte. Grundsätzlich sollte jeder, der neu baut, dies so klima­schonend wie möglich tun. Das bedeutet: So wenig Beton und so viel Re-Use wie möglich, zudem den Flächenverbrauch reduzieren, die Personenbelegung der Wohnungen optimieren und eine kompakte Bauweise wählen. 

Grundriss Erdgeschoss (© Loeliger Strub Architektur)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Loeliger Strub Architektur)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Loeliger Strub Architektur)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Loeliger Strub Architektur)
Grundriss 4. Obergeschoss (© Loeliger Strub Architektur)
Grundriss Attikageschoss (© Loeliger Strub Architektur)
Schnitt A (© Loeliger Strub Architektur)
Schnitt B (© Loeliger Strub Architektur)

Projektinformationen Wohnhaus LysP8
 
Standort
Basel, Kanton Basel-Stadt, Schweiz
 
Bauherrschaft
Stiftung Habitat, Basel
 
Architektur
Loeliger Strub Architektur, Zürich
Wettbewerbsteam: Tenzin Dawa Tsamdha, Zhiyu Zeng, Johannes Walterbusch und Fanni Müller
Planungsteam: Tenzin Dawa Tsamdha (Projektleitung), Fabienne Ulrich, Yeshi Wang, Lea Frauenfelder und Flurin Studer

Re-Use
Zirkular GmbH, Basel
 
Vergabe
Wettbewerb, 2020

Vorgestelltes Projekt 

Oliver Christen Architekten

Wohnhaus Burgmatt

Verwandte Artikel