»Generische, flache, kontextlose Darstellungen sind nicht zeitgemäß«

Elias Baumgarten | 2. Mai 2025
Marazzi Reinhardt – Hinterhueb, Neftenbach, 2020 (Foto: © Ladina Bischof)

 

Was macht ein gutes Architekturfoto aus, Ladina?

Ich möchte nahe beim Menschen sein: Wer meine Bilder betrachtet, soll Architektur erleben können. Darum wähle ich Blickwinkel und Augpunkt so, dass die Perspektive einer Person entsteht, die sich durch das Objekt bewegt. Daneben führt ein gutes Foto die Betrachtenden visuell. Deswegen spielt die Bildkomposition gerade in der Architekturfotografie eine große Rolle – das macht für mich die Schönheit der Disziplin aus. Wie ordne ich Linien, Flächen und Strukturen an? Wie setze ich Helligkeitskontraste ein? Was passiert an den Bildrändern? Komponiere ich das Bild aus der Mitte? Wo kann ich Spannung aufbauen? Mich reizt die Herausforderung, sorgfältig und mit Bedacht zu arbeiten, ohne dabei in einen Perfektionismus zu verfallen, der die Seele des Bildes zerstören und ihm die Echtheit rauben würde.

Du arbeitest auch als Reportagefotografin und bist für deine Porträts bekannt. Beeinflusst das deine Architekturfotografie?

Wie bei einer Reportage dokumentiere ich mit meinen Architekturfotos, was ich sehe. Meine Arbeitsweise ist sehr intuitiv. Am liebsten würde ich Architektur sogar ausschließlich mit dem 50-Millimeter-Objektiv fotografieren und so darstellen, wie wir sie mit dem Auge tatsächlich wahrnehmen. So radikal gehe ich in der Praxis natürlich nicht vor: Ich fotografiere durchaus auch die üblichen Perspektiven, die sich Architektinnen und Architekten nach wie vor wünschen. Doch daneben nehme ich mir gewisse Freiheiten für eigene Beobachtungen und Interpretationen.

Das macht deine Architekturbilder einzigartig. Doch deine Auftraggeber müssen bereit sein, sich auf Neues einzulassen.

Meine Arbeitsweise setzt voraus, dass mir die Büros sehr vertrauen. Außerdem ist eine gemeinsame Wertebasis wichtig: Ich fotografiere für Architektinnen und Architekten, die sich wie ich sehr stark am Menschen orientieren und meine humanistische Grundhaltung teilen. Büros wie Marazzi Reinhardt oder Luna Productions entwerfen Bauten, die Anker für das Gemeinschaftsleben im Dorf oder Quartier sind. Mit ihrer Architektur können sie Menschen zusammenbringen. Das gefällt mir. Denn mich interessiert der soziokulturelle Aspekt der Architektur besonders: Schon in meiner Abschlussarbeit im HF Fotografie habe ich 2016 dokumentiert, wie das modernistische Saurer-Hochhaus (1960) von Georges-Pierre Dubois in Arbon genutzt und angeeignet wird. 

Georges-Pierre Dubois – aus der Serie »Brühlstrasse 63«, Arbon, 2016 (Foto: © Ladina Bischof)
Luna Productions – Aussichtsturm Hardwald, 2023 (Foto: © Ladina Bischof)

Als Architekturfotografin beeinflusst du stark, wie Gebäude wahrgenommen und diskutiert werden. Wie gehst du mit dieser Verantwortung um?

Meine Fotografie ist sehr ehrlich: Ich setze nicht auf den Effekt von Superweitwinkel-Objektiven oder fancy Fluchten und nutze kein künstliches Licht. Meine Bilder können wenig kaschieren.

Misslungene Bauten würdest du also gar nicht erst fotografieren?

Absolut. Schlechte Architektur zu fotografieren, ist unbefriedigend.

Wie bewertest du Architektur?

Mein Vater ist Architekt, das hat unser Familienleben bestimmt und mich geprägt: Schon als kleines Mädchen war ich auf Architekturreisen dabei, mein Interesse an Architektur und Baukultur ist groß. Gleichzeitig bestimmt die Fotografie meinen Zugang: Ich beurteile Gebäude sehr visuell und gefühlsmäßig: Wie wirkt die Atmosphäre auf mich? Wie ist ein Raum über Helligkeitskontraste strukturiert? Betrachtet man Architektur aus dieser Perspektive, entdeckt man eine große Verwandtschaft zwischen der Gestaltung von Räumen und der Komposition von Bildern.

Claude Paillard – Theater St.Gallen, fotografiert für das Architektur Forum Ostschweiz, 2023 (Foto: © Ladina Bischof)

Was bedeutet es, als Fotografin selbstständig zu sein?

Der wirtschaftliche Druck steigt – das sehe ich auch in meinem Umfeld. Doch ich habe Glück: Architekturfotografie ist nach wie vor gefragt, sie macht sogar einen immer größeren Teil meiner Arbeit aus. Fotos sind ein wichtiges Medium der Architekturvermittlung, sie machen Menschen Gebäude zugänglich, die sie nicht besichtigen können. Architekturbüros wiederum setzen auf die Fotografie, um ihre gebauten Werke im Portfolio von ihren Entwürfen zu differenzieren, die sie mit Visualisierungen darstellen. 
Außerdem profitiere ich davon, dass Architektinnen und Architekten das Handwerk der Fotografie sehr wertschätzen und Freude an neuen Blickwinkeln und eigenständigen Interpretationen haben. Darum ist KI – zumindest im Moment – in der Architekturfotografie wenig bedrohlich für mich. Dasselbe gilt bei der Porträtfotografie, weil ich Persönlichkeiten darstelle und keine Idealbilder erschaffe. Das heißt jedoch nicht, dass ich technologiefeindlich bin. KI-Werkzeuge erleichtern auch meinen Arbeitsalltag sehr – doch sie sind kein Ersatz für fotografische Fähigkeiten.

Du klingst sehr positiv und optimistisch. Wo siehst du dennoch Herausforderungen?

Vor allem die immer kürzeren Zeitfenster für die Fotografie sind ein Problem. Sie gefährden die Qualität. Ich bin in diesem Punkt sehr straight und fordere die nötige Zeit ein: Als Fotografin und gelernte Lithografin möchte ich mich sowohl der Fotografie als auch der Bildbearbeitung für ein optimales Ergebnis sorgfältig widmen. Nie würde ich bei der Qualität meiner Arbeit Abstriche machen, sie liegt mir sehr am Herzen. Lieber würde ich mich im Zweifelsfall auf eine andere Disziplin konzentrieren. Darum ist es für mich sehr essenziell, mit Architektinnen und Architekten zusammenzuarbeiten, die meine Qualitätsansprüche teilen und sich bewusst für meine Arbeitsweise entschieden haben.

Tom Munz – Friedhof Oberriet, 2016 (Foto: © Ladina Bischof)
Hamburg spiegelt sich in den Fenstern der Elbphilharmonie, 2019 (Foto: © Ladina Bischof)

In welche Richtung sollte sich die Architekturfotografie entwickeln?

Visuell hat sich die Architekturfotografie lange kaum verändert. Doch gerade erleben wir einen Wandel, der nach einer neuen Bildsprache verlangen: Zum einen hat sich die Architektur enorm entwickelt. Architektinnen und Architekten nehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung stärker wahr und gestalten umwelt- und menschenfreundliche Bauten, die positiv auf ihre Umgebung wirken sollen. Damit gewinnt die inhaltliche Ebene der Architekturfotografie stark an Bedeutung. Generische, flache, kontextlose Darstellungen sind nicht zeitgemäß. Zum anderen erfordern die neuen KI-generierten Bildwelten in den gestalterischen Disziplinen eine Reaktion. In der Fotografie wird die eigene Interpretationsleistung besonders wertvoll, in der Architektur vielleicht die räumliche Vorstellungskraft und die Fähigkeit, Atmosphäre zu imaginieren. Darum sehe ich mit Freude, wenn Architekturbüros Räume am physischen Modell entwickeln und Entwürfe mit Modellfotos darstellen. 

Was inspiriert dich zu deiner Fotografie? Hast du Vorbilder?

Generell inspirieren und bestärken mich Menschen nicht nur durch ihr Tun, sondern vor allem auch durch ihr Sein, ihre Lebensgeschichte. Ich bin zum Beispiel fasziniert von Lucia Moholy – nicht nur wegen ihrer herausragenden Fotografie, sondern auch wegen ihrer Stärke, ihrer Persönlichkeit und ihrer Sprache.
Inspiration schöpfe ich oft unbewusst, wenn ich Kunstausstellungen besuche, einen Film sehe oder bei einem Spaziergang die Natur genieße.

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