Neugefasste Tradition
Viele historische Bauernhäuser in der bayerischen Hallertau mussten gebauter Belanglosigkeit weichen. Dabei hatten die Höfe Gemeinschaft gestiftet und boten viel Wohnqualität auf engem Raum. Wolfgang Rossbauer lässt den verdrängten Bautypus wieder aufleben und zeigt dessen verblüffende Aktualität.
Als Kind spielte Wolfgang Rossbauer am liebsten in einem leerstehenden Bauernhaus in seinem bayerischen Heimatdorf. Die halb eingefallene Ruine zog ihn magisch an, mit seinen Freunden erkundete er die verlassenen Zimmer und kroch in den niedrigen Keller. Inzwischen ist der Hof wieder bewohnt: Ein Handwerker und eine Krankenschwester richteten ihn liebevoll her. Alle Bauarbeiten erledigte das Paar selbst – nur unterstützt von den Expertinnen und Experten des Denkmalschutzes. Wolfgang Rossbauer unterdessen entschied sich für ein Architekturstudium. Er zog in die Schweiz, wo er ein Büro in Zürich betreibt und an der Hochschule Luzern unterrichtet. Seine kindliche Neugier ist großer Wertschätzung für die Bauernhäuser der Hallertau gewichen, einer Kulturlandschaft nördlich von München. »Die räumliche Disposition von Städtebau und Konstruktion erzeugt einen Ort, an dem fast zwingend Gemeinschaft entsteht«, schwärmt er. Tatsächlich besaßen die Häuser eine halböffentliche »Gred«, also einen witterungsgeschützten Außenbereich, wo sich Eingang und Hausbank befanden. Hier traf sich die Großfamilie: 15 bis 20 Personen bewohnten einen Hallertauer Bauernhof. Oft bestand ein solches Anwesen aus drei bis vier Häusern, die einen Hof fassten, der mit der Dorfstraße verbunden war. Gerade in Straßendörfern, die üblicherweise keinen Dorfplatz hatten, seien die Höfe das gesellschaftliche Moment schlechthin gewesen, erklärt Rossbauer.
Doch restauriert wie das Bauernhaus aus seiner Kindheit wurden trotzdem nur die wenigsten dieser wunderbaren Bauwerke. Allzu oft seien sie für Allerweltseinfamilienhäuser geopfert worden, ärgert sich der Architekturprofessor. »Das gesellige, privat-öffentlich verflochtene Leben in den Dörfern der Hallertau existiert vielleicht noch in meiner Erinnerung.«
Durch einen Nachkriegsbau ersetzt wurde auch das Hallertauer Haus von Wolfgang Rossbauers Großvater. Doch der Architekt möchte den Verlust traditioneller bayerischer Baukultur nicht hinnehmen: Er fasste den Entschluss, den vor zehn Jahren aufgegebenen Eckmayerhof in Siegenburg wiederzubeleben. Als Mittelpunkt für das neu aufkeimende Gemeinschaftsleben entwarf er eine moderne Version eines Hallertauer Bauernhauses. Wie früher leben die Bewohnerinnen und Bewohner auf kleinem Raum zusammen: Insgesamt fünf Wohnungen hat Rossbauer eingerichtet. Etwa zehn Personen sollen einziehen. Sie werden jeweils nur 30 Quadratmeter Wohnfläche beanspruchen. Das ist beachtlich wenig: Im Durchschnitt leben die Bayern heute auf 44.9 Quadratmetern, auf dem Land liegt dieser Wert sogar noch viel höher. Im Erdgeschoss des Neubaus sind zwei Studios mit eigenen Eingängen zur Gred eingebaut – sie können auch als Ateliers genutzt werden. Zusätzlich erstrecken sich drei Maisonettewohnungen über Ober- und Dachgeschoss. Bei Bedarf, also wenn zum Beispiel eine Familie gegründet wird, können die Einraumwohnungen unten mit der jeweils darüberliegenden Maisonette zu Reihenhauswohnungen verbunden werden.
Die Gred mit Hausbank, Balkone, in deren Pflanztrögen Kräuter sprießen, und der Gemeinschaftsgarten mit Gemüsebeet belohnen die Bewohner für den Verzicht auf übergroße Wohnungen. Ihre Wohnräume sind als behagliche Rückzugsorte gestaltet: Hinter den hohen Eckfenstern schließen gemütliche Sitzbänke an, von denen man das Hofleben beobachten kann. Die flachen Gewölbedecken aus Ziegel und Holzbalken im Erdgeschoss sind ein ästhetischer Genuss. Die massive hölzerne Sparrendachkonstruktion obenauf ist zu stimmungsvollen Schlafzimmern ausgebaut, und ganz oben unter dem First verbergen sich kleine Dachräume – der ideale Rückzugsort und »geheime« Spielplatz für Kinder. Großartig ist die Gestaltungsfreude Rossbauers: Immer wieder überraschen die Wohnungen mit unerwarteten Details: Wände sind plötzlich gekurvt, Abwasserschächte werden als Halbzylinder vor der Wand sichtbar. Sogar die Türdetails entwickelte der Architekt selbst: Sie sind inspiriert von Ornamenten, die der Kunstschmied Johann Eckmayer, der einst Hausherr auf dem Hof gewesen war, Ende des 19. Jahrhunderts in sein Skizzenbuch zeichnete.
Ortsbaulich wirkt das neue Haus als Scharnier zwischen öffentlichem Straßen- und halböffentlichem Hofraum: Giebelständig ausgerichtet, bildet es mit den Bestandsbauten ein U-förmiges Ensemble, das einen rechteckigen, zur Straße hin offenen Hof fasst. Wie bei historischen Vorbildern ist das Sparrendach auffallend steil geneigt. Dachüberstände gibt es nicht, dafür ist die Dachkonstruktion traufseitig um 80 Zentimeter Richtung Hof verschoben. So liegt die Gred auf der Hofseite im Trockenen. Eine helle Vorsatzdämmung aus Hanfkalk im Bereich der Fensterstürze und der Erdgeschossdecke gliedert die pastellgrünen Fassaden – auch hierzu lieferten alte Hallertauer Häuser die Inspiration.
Früher wäre es den Menschen nie in den Sinn gekommen, kostbare Materialien auf einer Deponie zu entsorgen. Auch Bauteile unnötig über weite Strecken heranzuschaffen, kam nicht infrage. Wolfgang Rossbauer machte diese Sparsamkeit zur Blaupause für sein Haus: Er baute mit Holz aus der Region und Restposten-Ziegel. Kalkputz und Farbpigmente kaufte er in der Umgebung ein, und alle Aufträge vergab er an lokale Handwerksbetriebe. Auf einen Keller verzichtete der Architekturprofessor der Umwelt zuliebe – das Gelände wurde nur etwas abgetragen. Das anfallende Aushubmaterial wurde in drei Gruppen sortiert und wiederverwendet: Grobe Bestandteile, also Bruchstein- und Ziegelreste vorheriger Bauten, wurden als Kunstprojekt ins Hühnerhaus im Garten geschafft, mit Erde überschüttet und bepflanzt. Feines mineralisches Aushubmaterial trocknete zunächst im Stadel. Mit wenig Zement vermengt wurde es anschließend als Schüttung für die erwähnten Gewölbedecken verwendet.
Was aber sollte mit dem organischen Aushub geschehen? Üblicherweise werden solche an sich guten Erden in Deutschland trotz unbedenklicher Beprobung unzählige Kilometer herumgekarrt, denn die bürokratischen Hürden machen eine sinnvolle Wiederverwendung nahezu unmöglich. Da ist der weite Weg zur Deponie oder zur Verfüllung zumindest planerisch oft der kürzeste. Doch Rossbauer schüttete sein Erdmaterial am Feldrand zu einem Wall auf und bepflanzte diesen mit einer Hecke. Wall und Hecke fördern die Biodiversität und erzeugen ein feuchteres, windgeschütztes Mikroklima, das den landwirtschaftlichen Ertrag im direkten Umgriff auf bis zu 150 Prozent steigert. Außerdem bremsen sie die Erosion und binden in den nächsten Jahren 10 bis 15 Tonnen CO2. Trotzdem: Die umweltfreundliche Wiederverwendung des organischen Aushubs sieht das Landratsamt als Verstoß gegen das Abfallrecht an und zieht deswegen nun vor Gericht. Wolfgang Rossbauer lässt sich davon nicht beirren – im Gegenteil: Er macht seine Idee zum Thema des Forschungsprojekts »Konstruieren mit Aushub«, an dem sich unter anderem die Hochschule Luzern und die TU München beteiligen. Der bayerische Landesverband des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten hat ihn für sein heimatverbundenes Ökoprojekt beim BDA-Preis Bayern 2025 mit einer Anerkennung geehrt. Und die Bayerische Architektenkammer lädt für den 28. und 29. Juni zur Hausbesichtigung ein.
Rot: Ziegel
Blau: Beton/KS
Gelb: Holz
Grün: Leichtbau/Holzdämmung
Projektinformationen Hallertauer Haus
Standort
Siegenburg, Bayern, Deutschland
Bauherrschaft
Leni & Hans Architektur GmbH, Biburg
Architektur
Wolfgang Rossbauer Architekt, Biburg und Zürich
Wolfgang Rossbauer und Stefan Bucher (Projektleiter)
Bauingenieur
Andreas Uhrmacher, Abensberg
Holzbau
Stefan Weggler, Gersthofen
Bauleitung
Hanno Jooss, Abensberg
Konzept Aushub
Markus Kargl, Hans Haberstroh und Wolfgang Rossbauer
Kunst am Bau
Stahlteile und Spiegel: Timo Nasseri, Berlin
Erdhaus/Hühnerhaus: Hubert Gigl, Biburg, Georg und Simon Mayerhofer, Ursbach und Walter Wittmann, Biburg
Vergabe
Direktauftrag aus Erbengemeinschaft Eckmayer, 2016