Vier Augen und viel Können
Ein Stück Zürcher Geschichte ist jetzt im Museum für Gestaltung auf dem Toni-Areal zu sehen. Die Ausstellung »Fotoatelier Wolgensinger – Mit vier Augen« ist facettenreich, gut gestaltet und persönlich.
Die dunkel gestrichenen Ausstellungsräume lassen die Alltagssorgen schnell vergessen – sofort taucht man ein in die Welt von Luzzi und Michael Wolgensinger. Beginnend mit der »Dunkelkammer« am Eingang, wird das Gesamtwerk des Fotografenpaars in acht thematischen Kapiteln geschildert. Die ausgewählte Mischung aus Originalen, Reproduktionen und Dokumenten bildet eine lange Zeitspanne ab, die sich von den 1930er- bis in die 1980er-Jahre erstreckt. Die Wolgensingers arbeiteten in den verschiedensten Bereichen: Sie fotografierten für die Werbung und machten Aufnahmen für Reportagen, schufen aber auch preisgekrönte Experimentalfilme. Dabei beeindrucken das ausnahmslos hohe Niveau ihrer Werke und die immer geistreiche Bildsprache besonders.
Gut zu erkennen ist das in ihrer Werbe- und Sachfotografie. Die Wolgensingers vermochten vermeintlich langweilige Gegenstände ansprechend zu inszenieren, spielten mit Komposition und Formen und wussten die Aufnahmen technisch perfekt umzusetzen. Ihre Fotografien wirken dabei nie steif oder kühl. Der Anspruch, eine gewisse Lockerheit oder gar eine Prise Humor einzubringen, ist in ihrem ganzen Schaffens erkennbar. Eine Kampagne für die SKA, die Vorgängerin der Credit Suisse, zeigt die Mitarbeiter in ungewohnten, scherzhaften Posen; eine Katze hängt bedrohlich an Beinen, die für Strümpfe einer Textilfirma werben. Die kreative Bildgestaltung, die den Zeitgeschmack traf und erfrischend wirkte, sicherte dem Ehepaar viele Kunden.
Zu den Auftraggebern zählten auch Zürcher Industriebetriebe, die sich dokumentarische Bildserien wünschten. Heute sind diese Zeitdokumente einer verschwundenen Realität, damals inszenierten sie neuartige Maschinen und die Effizienz der Betriebe. Der Bezug zum Menschen ist dabei essenziell: Die Arbeiter verstärken die Wirkung der Aufnahmen und schaffen Glaubwürdigkeit. Menschen sind auch in der Architekturfotografie der Wogelsingers zu finden, die einen wichtigen Bestandteil ihre Arbeit ausmachte. Oft sind Objekte im Umfeld der Bauten oder Nutzer in die Szenen einbezogen: Sie geben dem Gebauten einen Kontext, unterstreichen die Funktion der Architektur und brechen die klaren Linien einer ansonsten strengen Bildkomposition.
In der Ausstellung sind nicht nur die Arbeiten der Wogelsingers zu finden: Dokumente und Bilder der beiden, die sie im Atelier oder unterwegs zeigen, erzählen eine persönliche Geschichte. Luzzi und Michael besuchten die Fotofachklasse der Kunstgewerbeschule Zürich – einige Fotografien aus dieser Zeit sind ausgestellt. Hier beginnen sich ihre Biografien nicht nur miteinander, sondern auch mit jenen zahlreicher weiterer Künstler, Fotografen und Kulturschaffender zu verweben.
Das 1936 von Luzzi und Michael Wolgensinger gegründete Fotoatelier zählte rund zehn Mitarbeiter. Die Aufgaben waren klar verteilt – auch zwischen den beiden: Sie leitete das Atelier und war die Expertin für perfekte Abzüge, er war hauptsächlich mit der Kamera unterwegs. Aufnahmen des Ateliers hängen zu Beginn der Ausstellung in einem Dunkelkammer-ähnlichen Raum. Später prominent gewordene Fotografen wie Robert Frank oder Ernst Scheidegger gingen bei den Wohlgensingers in die Lehre oder arbeiteten eine Zeit lang für sie. Die kleine Zürcher Institution war außerdem Treffpunkt internationaler Persönlichkeiten aus der Literatur-, Film-, Theater-, Kunst- und Fotografieszene, die mit dem Paar befreundet waren.
Besonders verbunden mit Theaterschaffenden, fotografierten die Wolgensingers ihre Freunde während der Aufführungen des Cabaret Cornichon, einer kritischen und politischen Stimme während des Zweiten Weltkriegs, die hochkarätige Autoren wie Friedrich Dürrenmatt prägten. Das Paar wirkte auch an Fred Schneckenburgers Puppencabaret mit, wo ab 1947 ebenfalls sozialkritische und sarkastische Stücke entstanden. Luzzi schrieb einige Texte und führte zusammen mit Schneckenburger die Puppen – über die Zeit wurden es mehr als 70 Charaktere. Michael fotografierte und war Licht- und Tontechniker bei den Aufführungen. Zusammen mit seinen Fotografien sind einige der Puppen Teil der Ausstellung.
Die sehr unterschiedlichen Arbeiten der Wolgensingers wirken wie eine Einheit, vereint durch ihre persönliche Bildsprache. Ihre Fotografien, egal, ob sie Architektur, Arbeiter, Theater oder fremde Länder zeigen, erzählen von Menschen. Sie zeigen Zürcher Geschichte und die Entwicklung des Zeitgeists über rund sechs Jahrzehnte hinweg.
Die Ausstellung »Fotoatelier Wolgensinger – Mit vier Augen« im Museum für Gestaltung auf dem Toni-Areal (Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich) ist bis zum 7. September dieses Jahres geöffnet.