Nicht neutral

Jenny Keller
24. Mai 2018
Projektteam des Schweizer Pavillons - La Biennale di Venezia 2018: Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara. Bild: Christian Beutler / KEYSTONE

Alessandro Bosshard, Matthew van der Ploeg, Li Tavor und Ani Vihervaara arbeiteten schon eine Weile an der ETH als Assistentinnen und Assistenten, als sie beschlossen, ein eigenes Projekt zusammen zu verwirklichen. Die Anmeldung für den Wettbewerb eines Kindergartens liessen sie fallen, als sie merkten, dass das Programm so starr war, dass man nicht wirklich etwas entwerfen konnte. Schliesslich machten sie beim «Open Call» der Pro Helvetia für den Biennale-Beitrag mit. Mit ihrem Projekt «Svizzera 240: House Tour» setzten sie sich dann gegen 81 Bewerber durch.
 
Architektur ausstellen
Es sei hilfreich gewesen, die vorangegangenen Beiträge anzuschauen, um eine Idee zu entwickeln, wie man überhaupt Architektur ausstellen könne. Ihre Vorgänger Miroslav Šik, Hans Ulrich Obrist und Christian Kerez, aber auch Alexander Lehnerer und  Savvas Ciriacidis (Deutscher Pavillon 2014) hätten ja ganz unterschiedliche Formate gewählt, erklären sie.
 
Ihre Idee «in a nutshell»: Aus einem Fundus von tausenden von Fotos neu erstellter und noch nicht bewohnter Wohnungen wird eine Repräsentation in verschiedenen Massstäben gebaut. (Die Internet-Recherche begann übrigens auf Swiss-Architects). Architektur wird bei «Svizzera 240» also nicht mithilfe von Plänen, Bildern und Texten ausgestellt und repräsentiert, sondern ganz zeitgemäss via eine räumliche Installation transportiert. Das ist erfrischend, sinnvoll und in diesem Falle sehr gut umgesetzt. Die Besucherinnen und Besucher sollen auf eine «House Tour» mitgenommen werden, «diese seltsame Sache», wie die Kuratoren und Kuratorinnen bemerken. Die verschiedenen Massstäbe haben zum Ziel, dass die Besucher die Installation nicht als Prototyp von etwas missinterpretieren und sollen auch die Massstabslosigkeit der Bilder, die der Installation zugrunde liegen widerspiegeln. Plötzlich springen Sockelleisten und Steckdosen oder Lichtschalter (Feller ist nicht von ungefähr Sponsor des Schweizer Pavillons) ins Auge, die doch eigentlich eine ganz untergeordnete, ja dienende Funktion haben sollten. Und anders als auf den menschenleeren Architekturfotografien, braucht es im Pavillon Menschen, damit das Bild, das man sieht komplett begreifbar wird.
 
Natürlich wurde auch der Pavillon von Bruno Giacometti als Gebäude selbst untersucht – und dabei sei ihnen schlussendlich die Idee gekommen, sich auf den Wohnungsbau zu fokussieren: Der Grundriss des Schweizer Pavillons könne ganz leicht als Grundriss einer Wohnung gelesen werden, wenn man ihn massstäblich falsch interpretiere. Aber nicht nur der Grundriss, auch Bruno Giacomettis räumliche Idee sei am Wohnungsbau orientiert. Die Stimmung sei beinahe wohnlich, anders als bei seinen Nachbarn, dem Deutschen oder dem Britischen Pavillon, die als klassische öffentliche Gebäude konzipiert worden sind. Im Schweizer Pavillon gibt es ein Entrée, einen Hof, verschiedene Zimmer, denen eine Nutzung zugeschrieben wird. 

Installationsansicht von «Svizzera 240: House Tour» im Schweizerischen Pavillon an der Architekturbiennale 2018. Bild: Christian Beutler / KEYSTONE

Vielschichtig und freudvoll
Der Wohnungsbau repräsentiere die Schweiz, weil hierzulande diese Aufgabe noch immer einen hohen Stellenwert genisset: An den Hochschulen werden Wohnungen gezeichnet und viele Wettbewerbe haben dieses Thema zum Inhalt, und schliesslich sei es der beliebteste Export der Moderne. Man wollte vieles im Schweizer Beitrag vereinen: Ein interessantes architektonisches Thema, das vielschichtig ist und mehrere Felder berührt, aber auch eine begehbare Installation erstellen, die räumlich erlebbar ist.

Die Installation sei eher Frage als Antwort, betonen Alessandro Bosshard, Matthew van der Ploeg, Li Tavor und Ani Vihervaara, und es gehe ihnen nicht um Kritik an den Architekten, die vermeintlicher Weise alle dasselbe entwerfen. Sie wollen, erklären sie, mit ihrem Beitrag über die Repräsentation von Wohnungen nachdenken lassen und nicht über einzelne Objekte urteilen. Ein Besuch im Schweizer Pavillon zeigt, dass es ihnen gelungen ist, einen offenen Ideen-Raum zu konstruieren, der vielschichtig gelesen wird. (Wieso sieht alles gleich aus? Wieso bauen Architektinnen und Architekten solche Wohnungen? Wie hoch ist der ökonomische Druck? Was ist der Wert einer Oberfläche? Weshalb sehen Architekturfotografien so aus? etc.) Was nicht stimmt, ist, dass der Beitrag absolut neutral und nicht wertend lediglich eine Repräsentation darstellt: Die Kuratorinnen und Kuratoren kritisieren vielleicht nicht selbst, was sie sehen, sondern lassen es andere tun (auch im Katalog, in dem eine interdisziplinäre Autorenschaft mit den Bildern konfrontiert wurde und etwas darüber zu schreiben hatte), aber die Tatsache, dass man dieses Thema gewählt hat, ist ja Wertung selbst.

Beim Betreten des Schweizer Pavillons beschleicht einen ein etwas beklemmendes Gefühl, die sterile Welt in Weiss und Braun ist zwar detailreich, aber in ihrer Repetition auch trist. Zum Glück gibt es durch die unterschiedlichen Massstäbe immer wieder surreale Momente, die ganz im Sinne der Macherinnen und Macher sind: Ihr Beitrag soll freudvoll sein. Ist er das?
 
Ja, er eignet sich ideal als «Selfie space», wie man an den Eröffnungstagen beobachten konnte.  Einmal wie Alice im Wunderland posieren, ist lustig und Instagram-tauglich. Und das ist nicht als Kritik gemeint, wir sind im Jahre 2018 und sollen mit diesen Medien, die so neu auch nicht mehr sind, arbeiten, nicht gegen sie. Aber die Diagnose des Schweizer Wohnungsbaus – untersucht man ihn einmal ohne Pläne und Gerede der Architekten – gibt nicht viel Anlass zur Freude. Sollen wir wirklich so wohnen?

Bjarke Ingels im Wunderland. Bild: jk
Installationsansicht von «Svizzera 240: House Tour». Bild: Christian Beutler / KEYSTONE

«Svizzera 240: House Tour»
Schweizer Beitrag an der 16. Architekturbiennale von Venedig
26. Mai bis 25. November 2018

Kuratoren und Aussteller: Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg and Ani Vihervaara
Projektarchitektin: Milena Buchwalder
Auftraggeber: Pro Helvetia Chefin visuelle Künste, Marianne Burki; Projektleiter, Sandi Paucic; Projektkoordinatorin, Rachele Giudici Legittimo

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