Altbauten und Baudenkmale richtig bewerten

Katinka Corts | 7. Februar 2025
Auf dem Podium diskutierten Moderator Arnold Bartetzky (GWZO Leipzig), Silke Langenberg (ETH Zürich), Kirsten Angermann (Bauhaus-Universität Weimar), Stefan Wülfert (KSD/BFH), Tino Schlinzig (ETH Zürich) und Jürg Conzett (Conzett Bronzini Partner). (Foto: © IDB/ETH Zürich)

In der Bauwirtschaft hat sich die sogenannte Lebenszyklusbetrachtung von Bauteilen etabliert – ein Fenster hat dementsprechend genauso eine zugeordnete ungefähre Lebensdauer wie ein Dach oder eine Beschichtung. Als Richtlinien regeln internationale Standards wie die Norm DIN EN 15978 oder Zertifikate der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, kurz DGNB, und des WGBC, also des World Green Building Council, die Bedeutung der Lebenszyklusbetrachtung für das kreislauffähige Bauen. Doch was beim Entwurf und der Planung neuer Gebäude ökologische und ökonomische Vorteile bringt, fällt bei der Betrachtung von Denkmalobjekten und nicht unter Schutz stehenden Altbauten durch. Bei der Tagung »Transformationswert der gebauten Umwelt« an der ETH Zürich kritisierten Fachleute aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, dass das für Neubauten gedachte Bewertungsmodell bei der Einschätzung historischer Gebäude als Argument herbeigezogen wird. Zwar verspricht man sich von der Lebenszyklusbetrachtung meist eine längere Werterhaltung von Gebäuden durch Dauerhaftigkeit und Flexibilität, doch wenn es nach Jahrzehnten des Gebrauchs um eine Umnutzung gehe, werde immer noch häufig ein Argument gegen den Erhalt und für einen Neubau gefunden, so das Podium.

Barbara Buser von baubüro in situ berichtete über die Umnutzung der SBB-Werkstätten in Zürich. (Foto: © IDB/ETH Zürich)

Kritisiert wurde besonders, dass der Begriff »Lebenszyklus« oft als Argument verwendet wird, um sich von der Verantwortung für den Erhalt von Gebäuden und Bauteilen loszusagen. Das heißt, sobald Probleme mit einem Bauwerk auftreten, wird dieses schnell als »am Ende seines Lebenszyklus« betrachtet und aufgegeben. Außerdem ist an dieser Sichtweise auch problematisch, dass sie sich auf die technischen Aspekte und die Lebensdauer von Bauteilen fokussiert, ohne aber die Bedeutung von Pflege, Wartung und Instandhaltung zu berücksichtigen. Ein klassisches Beispiel dafür sind historische Holzfenster, die vor allem durch kontinuierliche Pflege und auch Transformation sehr alt werden. Im Gegensatz dazu wurden etwa Konstruktionen aus den 1960er-Jahren oft nicht oder zumindest viel weniger gewartet, da man sich in Zeiten des Wirtschaftsbooms der Illusion einer unbegrenzten Verfügbarkeit von Material hingab. So kritisierte Andreas Putz von der TU München in seinem Vortrag über die Instandsetzung und Veränderung vorgehängter Fassaden, dass Gutachten oft nur den Satz enthalten würden, ein Bauteil habe »seinen Lebenszyklus erreicht«, ohne das eigentliche technische Problem zu benennen. 

Eine Alternative wäre, so die Teilnehmenden des abschließenden Podiums, die Transformation vielmehr als Normalzustand zu betrachten, der nicht mit negativen Begriffen und Konzepten wie eben dem Ende des Lebenszyklus belegt wird. Die Expertinnen und Experten plädieren für eine Perspektive, die Veränderung und Anpassung als Teil der natürlichen Entwicklung von Gebäuden betrachtet. So könnte man den Bestand erfassen, sein Potenzial erkennen und ihn vollständig oder in Teilen weiter nutzen oder wiederverwenden. Mehrere gelungene Beispiele waren dazu während der Tagung zu sehen, darunter die Sanierung der SBB-Werkstätten in Zürich. Barbara Buser von baubüro in situ stellte die Arbeit vor, bei der sogar Teile von Betondecken, die im Zuge des Umbaus mit Diamantkreissägen ausgeschnitten worden waren, als Fundamente für verstärkende Hilfsstützen wiederverwendet wurden. Dieses Vorgehen, bei dem ganze Betonteilen erneut verwendet werden, bringe weit mehr CO₂-Einsparungen mit sich als das reine Recyceln von Beton, so die Architektin. 

Klar ist aber auch, dass immer noch nur ein Teil der Projekte mit Recyclingmaterial gebaut werden kann, weil Zeit und Kosten treibende Kräfte der Bauwirtschaft bleiben. Es bedarf daher einer integralen Planung, die sowohl den Erhaltungsgedanken der Denkmalpflege als auch die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft berücksichtigt. Damit können die Potenziale beider Bereiche optimal herausgearbeitet werden und lassen sich als starke Argumente der Betrachtung von Lebenszykluswerten in der Denkmalpflege gegenüberstellen.

 

Die Tagung »Transformationswert der gebauten Umwelt« fand Ende Januar an der ETH Zürich statt. Sie wurde vom Leibniz-Forschungs-Verbund Wert der Vergangenheit und der Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege der ETH Zürich gemeinsam veranstaltet. 

Vorgestelltes Projekt 

Pfister Klingenfuss Architekten AG

Ersatzneubau Eggbühlstrasse Oerlikon

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