Energie bedeutet Macht – was bedeutet erneuerbare Energie?

Autor:
sonja lüthi
Veröffentlicht am
Mai 30, 2011

In wohl kaum einem anderen Bereich sind Wirtschaft und Politik dermassen eng verflochten wie im Bereich der Energie. Denn, wie kein anderes Gut, bedeutet Energie Macht. Von Sonja Lüthi.
«Niemand kann das Sonnenlicht besitzen, niemand kann es privatisieren oder verstaatlichen», schreibt Ian McEvan in seinem Roman Solar. Und genau hier liegt eines der grössten Hindernisse für einen Umbau unserer Energieversorgung – von derzeit 80% aus nicht erneuerbarer Quelle zu 100% aus erneuerbarer Quelle. Die Widerstände gegen einen solchen Wandel, der einer tiefgreifenden Marktumstrukturierung gleich käme, sind gross. Denn in wohl kaum einem anderen Bereich sind politische und wirtschaftliche Macht so eng miteinander verknüpft wie auf dem Feld der Energie: Innerhalb der Länder der OPEC (Organisation of Petroleum Exporting Countries) aufs Engste, in der Schweiz weniger, aber auch: Mehrheitsaktionäre der grossen nationalen Energieversorger Alpiq, Axpo oder BKW sind laut Daniele Ganser, Historiker und Präsident von Peak Oil, noch immer die Kantone. «Die Energie ist der Politik zu wichtig, um sie der Wirtschaft zu überlassen».1
 
Wer hat – und wer nicht hat
«Energie im physikalischen Sinn kann weder erzeugt noch vernichtet, sondern lediglich umgewandelt werden. Die Umwandlung und der Verbrauch von Energierohstoffen sind beträchtlich mit dem Wohlstand der westlichen Welt verbunden.»2 In unserer modernen Welt scheint die Gesetzmässigkeit vorzuherrschen: Je mehr Energie pro Kopf verbraucht wird, desto höher ist der Wohlstand und vice versa. Andererseits gehören ausgerechnet diejenigen Länder – bzw. ihre Bevölkerungen – zu den ärmsten, welche reich an Energierohstoffen sind. Das Phänomen, das unter dem Begriff «Resource Curse» (Ressourcenfluch) bekannt ist, lässt sich leicht nachvollziehen: Eine Elite schöpft den Profit ab, kauft Waffen und schützt sich damit vor dem Rest der Bevölkerung. Besonders radikal tritt der Ressourcenfluch in Ländern der OPEC zutage. Denn der internationale Erdölhandel ist äusserst profitabel – zum Beispiel realisierte ExxonMobil in den ersten drei Monaten des Jahres 2011 einen Gewinn von 10 Milliarden Dollar – aber eben, nicht für alle. In Förderländern wie Angola verdient die Unterschicht 2 Dollar am Tag und macht über 80% der Bevölkerung aus. In Nigeria, wo seit 50 Jahren Erdöl gefördert wird, ist das Land der Bauern ruiniert. Vom Geld, das daraus gewonnen wird, haben die Bauern nie etwas gesehen. Das einzige Erdöl fördernde Land, das über eine funktionierende Demokratie verfügt, ist Norwegen – doch funktionierte die Demokratie schon, bevor das Erdöl entdeckt wurde.
Neben den Fakten, wo und wieviel Ressourcen verfügbar sind, bilden auch Manipulationen des Marktes durch Steuerung des Angebots und Preisverzerrungen eine Quelle des Profits – und vor allem auch der politischen Machtdemonstration. So geschehen etwa zu Ende des Kalten Krieges, als Präsident Ronald Reagan Saudiarabien davon überzeugte, den Markt mit Öl zu fluten, um die ölexportabhängige Sowjetunion in die Knie zu zwingen.3
 
Das aktuelle System
Das Erdölzeitalter mit den daran gekoppelten, enormen Wohlstandsumverteilungen begann sich um 1850 herauszubilden. Im Verlauf stieg der Konsum massiv an: 1914 erreichte dieser global erstmals die Menge von einer Million Fass à 159 Liter pro Tag, am Ende des Zweiten Weltkriegs lag der globale Tageskonsum bei 6 Millionen Fass, 1986 im Jahre der Nuklearkatastrophe bei 61 Millionen und 2006 bei 85 Millionen Fass.4 Dieser rasante Anstieg des Erdölkonsums ist mitunter Ausdruck unserer aktuellen Energiemarktmechanismen: Ein Grossanbieter verkauft ein Produkt. Je mehr er davon verkauft, desto grösser ist sein Gewinn. Das heisst: Ein Haus mit einer Ölheizung, das schlecht isoliert ist, war bisher das «ideale Modell». Mit einem Anteil von 57% stellt Erdöl in der Schweiz den grössten Anteil am Energiemix. Daneben gibt es zehn weitere Primärenergiequellen: Die beiden anderen fossilen Energieträger Erdgas (12%) und Kohle (1%) sowie Atomenergie (10%) und die sieben erneuerbaren Energiequellen Biomasse (3%), Biogas (unter 1%), Wasser (14%), Gezeiten (0%), Sonne (unter 1%), Wind (unter 1%), Erdwärme (unter 1%).5 Die Argumente, die gegen dieses auf nicht erneuerbaren Energieträgern basierende System sprechen, sind bekannt: Erdöl ist nicht ewig, die Transparenz der Förderbedingungen fehlt (man weiss zwar, woher das Rohöl stammt, nicht aber, woher etwa das Rohöl für das Benzin aus Belgien stammt), das Restrisiko auf Umweltkatastrophen, CO2-Emissionen bzw. hochradioaktiven Spaltprodukten, die während rund einer Million Jahre an sicherer Stelle gelagert werden müssen usw.
So sind sich Fachleute heute im Grunde darin einig, dass unsere Entwicklung auf mittel- oder längerfristige Sicht in Richtung 100% erneuerbarer Energie gehen und – darin sind sich sogar die Politiker verschiedenster Couleur einig – gleichzeitig die Energieeffizienz erheblich gesteigert werden muss.6 Und last but not least – zumindest bis dieser Wandel vollzogen ist – muss auch die Energiesuffizienz minimiert werden, sprich: Wir müssen sparen lernen, aktuell insbesondere bei Heizung und Mobilität.
Ist eine grundlegende Marktumstrukturierung unseres Energiesystems hin zu erneuerbaren Energieträgern aber in technologischer, wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht überhaupt realisierbar?
 
I Technologie: Rücklaufzeit beträgt über das Zehnfache
In technologischer Hinsicht gehen die Aussagen auseinander, insbesondere ausserhalb von Fachkreisen. Ein besonders hartnäckiges Gerücht betrifft das Potenzial der Sonnenenergie, gegen die häufig eine schlechte Energiebilanz aufgrund der grauen Energie sowie zu hohe Kosten ins Feld geführt werden.
Laut Auskunft von Urs Muntwyler, Leiter des Forschungslabors für Photovoltaiktechnik an der Berner Fachhochschule, beträgt die Rückzahlung bei Photovoltaikzellen tatsächlich, je nach Bauart, zwei bis maximal drei Jahre. Dies bei einer Lebensdauer von rund 25 Jahren, womit die Rücklaufzeit über ein Zehnfaches beträgt! Sicherlich entwickelt sich die Technologie rasch – doch wurde das Gerücht laut Muntwyler bereits in den 1970er-Jahren widerlegt.
Was die Kosten betrifft, so sind diese in der Regel nicht vergleichbar: Für Photovoltaik und andere erneuerbare Energien, welche direkt beim Konsumenten produziert werden, braucht es beispielsweise keine vom Staat finanzierten Hochspannungsanlagen. Dagegen gibt es für Strom aus AKW bis anhin keine Vollkostenrechnung, insbesondere nicht über den gesamten Lebenszyklus, nota bene da ein Rückbau in der Schweiz noch gar nie stattgefunden hat. Erhöhte Sicherheitsanforderungen dürften die Technologie bald zusätzlich verteuern.7
 
II Wirtschaft: Umstrukturierung bedeutet Dezentralisierung
Fest steht, dass eine solche Umstrukturierung klar einer Dezentralisierung gleich käme: Das heisst diejenigen, die bisher viel Geld gemacht haben, werden deutlich weniger bis kein Geld mehr verdienen und setzen alle Hebel in Gang, damit dies nicht eintrifft.
Aus rein theoretisch-ökonomischer Sicht sind solche Umstrukturierungen durchaus möglich, ohne dass eine Wirtschaftskrise eintrifft – vorausgesetzt, diese verlaufen nicht schockartig: «Oft wird die Anpassungsfähigkeit von Marktwirtschaften in der kurzen Frist überschätzt, in der langen Frist aber eindeutig unterschätzt», schreibt etwa der Ökonom Lukas Bretschger.8 Roland Stulz, Geschäftsführer von Novatlantis und seit den 1970er-Jahren Experte für Energie im Gebäudebereich, vergleicht den Veränderungsprozess mit der Geologie: Viele kleine Erdbeben schaffen die Entspannung ohne Schadenfolge. Allerdings haben laut Stulz die Politik und die Wirtschaft während der letzten 40 Jahre in der Regel die kleinen Erdbeben zu verhindern versucht.
Doch ob rasch oder langsam: Ein wirtschaftlicher Wandel wird sich so oder so vollziehen – einerseits wegen des Drucks durch die voraussichtlich bis 2015 vollständige Liberalisierung des Strommarktes (womit der Kunde nicht wie bis anhin nur seinen Strommix wählen können wird, sondern auch seinen Stromlieferanten), andererseits wegen der Verknappung des Erdöls und dem auf höchstem Niveau volatilen Erdölpreis. Bleibt also die Politik.
 
III Politik: Offene und verdeckte Taktik
«Keiner der Bereiche, die ich während fünfzehn Jahren im UVEK leitete, war derart von offener und verdeckter Taktik aller Beteiligten geprägt wie die Energiepolitik», stellt Altbundesrat Moritz Leuenberger in einem Artikel fest.9 Einerseits eignet sich Energie wie wenige andere Bereiche für hochemotionale Abstimmungskämpfe (Wohl jeder ist im Frühling irgendwo auf den Satz getroffen: «Welcher Partei nützt Japan?»), andererseits sind Politiker und Energiegrosskonzerne oft stärker verbandelt, als ihnen gut tun würde. Im Zuge der Nuklearkatastrophe in Japan wurden wir über den dortigen Usus informiert, Altminister zur Belohnung für ihre Dienste in die Verwaltungsräte von Firmen wie Tepco aufzunehmen. Doch auch in der Schweiz ist es laut Urs Muntwyler keine Seltenheit, dass Parlamentarier im Verwaltungsrat von grossen Stromkonzernen sitzen – was in anderen Ländern aus Gründen der Korruption verboten ist.
 
IV Politik: Verfilzung mit der Energiewirtschaft auflösen
Die Energie ist der Politik tatsächlich zu wichtig, um sie der Wirtschaft zu überlassen. Das trifft auch hier zu, wenn auch in anderem Licht. Die Politik soll die Energie auch nicht der Wirtschaft überlassen – im Gegenteil: Hauptakteur bei der Umstrukturierung unseres Energiemarktes muss die Politik sein. Doch gelingt der Wandel nur, wenn die Politik ihre Verfilzung mit der Energiewirtschaft weitest möglich auflöst. Aufgabe der Politik ist es, Transparenz zu schaffen, so dass es beispielsweise nicht mehr möglich sein wird, Projekte für Gaskraftwerke mit Verweis auf den zu hohen CO2-Ausstoss zu sistieren und stattdessen in Kohlekraftwerke in Nachbarländern zu investieren.10 Statt indirekt Kohlekraftwerke und AKW im Ausland zu fördern, muss sie diese Mittel in die Erforschung und den Ausbau von erneuerbaren Energien stecken, so dass die Förderung nicht mehr nur symbolischer Natur ist. Und schliesslich: Sollen die Massnahmen nicht in einem Wirtschaftskollaps enden, muss damit jetzt begonnen werden, doch nicht plötzlich mit unreflektierten Kurzschlussreaktionen (erst ist der CO2-Ausstoss das Übel, dann ist es die Kernkraft, aber einen realistischen Plan zur Umsetzung gibt es nicht), sondern in einem verträglichen Tempo und vor allem stetig. Ob das Szenario eines Ausstiegs aus einer Energieproduktion aus nicht erneuerbarer Quelle auf Ebene der Politik realistisch ist, muss sich zeigen.
 
Epilog
«Die Steinzeit ist schliesslich auch nicht an Mangel an Steinen zu Ende gegangen», schreibt Ian McEvan weiter in Solar. Das stimmt nur bedingt optimistisch. Das Buch endet übrigens schlecht. sl
Anmerkungen:

1 Gespräch vom 22. März 2011, dem die Autorin einen erheblichen Teil der Substanz dieses Beitrags verdankt.
2 Rudolf von Rohr, Peter Walde, Bertram Bartlogg (Hg.), Energie, Zürich 2009, S. 7.
3 Peter C. Glover, Michael J. Economides, Energy and Climate Wars, London/New York 2010, S. 8.
4 DanieleGanser: «Peak Oil: Erdöl im Spannungsfeld von Krieg und Frieden», aus: Energie, Op. cit., S. 45/46.
5 Ebd., S. 58.
6 Besonderes Einsparpotenzial liegt hier im Gebäudebereich, der mit 49% in der Schweiz den grössten Anteil am Energiebedarf ausmacht. Zurzeit beträgt die wertbezogene Veränderungsrate 1.6% im Jahr, davon sind gerade mal 0.7% energierelevant. (vgl. Bruno Keller, «Bauwerk und Energie», in Energie, Op. Cit., S. 186/191) Gemäss neuer Energiepolitik des Bundes soll die Veränderungsrate auf 2% erhöht werden.
7 Was der Bundesrat am 25. Mai 2011 denn auch als Hauptargument für einen Ausstieg aus dem Atomstrom bis ca. 2034 nannte (NZZ, 26. Mai 2011) – was weniger auf eine tiefgreifende Reflektion hinweist, als auf den krampfhaften Versuch der aktuellen Politik, volksnah zu erscheinen: Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima ist dieses eine Argument für alle verständlich.
8 Lukas Bretschger, «Energie und Wohlstand», aus: Energie, Op. cit., S. 140.
9 NZZ Folio, 4/2011.
10 Ebd.