Identität bewahrt – subtiler Umbau eines Walliser Stadels

Oliver Christen Architekten
27. October 2022
Eine betonierte Wandkrone bindet den Sockel zusammen. Das Sockelgeschoss weist weiterhin den traditionellen Rasa Pietra (Verputz) auf, während die steilen Treppen von traditionellen Elementen hergeleitet sind. (Foto: Rasmus Norlander)
Herr Christen, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Walliser Stadelbauten wurden ursprünglich zur Lagerung von Getreide genutzt. Die bauliche Typologie zeigt einen hölzernen Blockbau, welcher auf steinernen Stützeln über einem massiven Sockelbau aufliegt. Traditionell sind diese Bauten ohne vertikale Verbindungen aufeinandergeschichtet. Die Stützeln werden mit grob gerundeten Steinplatten, den sogenannten Mäuseplatten, abgedeckt. Diese verhindern, dass unerwünschte Nager in den Getreidespeicher gelangen. Ursprünglich ist der Zwischenraum hinter den Stützeln zwischen Sockel- und Blockbau ungenutzt, lässt den Durchblick zu und liegt im Schatten des Bauvolumens.

Die Besonderheit bei dieser Aufgabe lag in der Umnutzung des Bestandes zu einem Wohnhaus – unter Wahrung der Identität des Gebäudes. Die Raumorganisation verlangte nach einer zusammenhängenden Wohnnutzung, obwohl der Bestand in seiner ursprünglichen Typologie zwei vertikal voneinander getrennte Räume aufweist. Dank des Einbaus eines Zwischengeschosses konnte eine vertikale räumliche Verbindung geschaffen werden. Bespielt wird dieses mit einer Wohnküche. Diese bildet zugleich den zentralen Begegnungsort im Wohnhaus und ist der Mittelpunkt des Familienlebens. Der dunkel gestaltete, niedrige Raum fügt sich in den steinernen Sockelbau ein und ist hinter den Stützeln rundum verglast. Durch die dunkle Färbung tritt der Raum von aussen betrachtet in den Hintergrund und der Zwischenraum bewahrt seinen ursprünglichen Charakter eines im Schatten liegenden, transparenten Raumes.

Verortet im Kontext einer Stadelgruppe, präsentiert sich der Umbau in seiner ursprünglichen Dreischichtigkeit bestehend aus einem Sockel, den Mäusestützeln mit transparentem Zwischenraum und dem Blockbau. (Foto: Rasmus Norlander)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Die Inspiration liegt in der Gebäudetypologie der Stadelbauten und deren Besonderheit der Dreischichtigkeit, bestehend aus Sockel, Zwischenraum und Blockbau. Insbesondere die Wirkung des Zwischenraumes mit seiner Transparenz und der Untersicht an den dunklen, sonnengefärbten Boden des Blockbaus hat uns beim Entwurf interessiert. Im Weiteren waren traditionelle Elemente der regionalen bäuerlichen Ökonomiebauten, wie beispielsweise die Geländer oder die steilen Treppen, Referenz für Neuinterpretationen.

Im Schatten des Blockbaus und der Stützeln befindet sich das rundum verglaste Zwischengeschoss. Durch die dunkle Färbung und die Transparenz tritt es in den Hintergrund. (Foto: Rasmus Norlander)
Aus der niedrigen Wohnküche im Zwischengeschoss hat man einen unerwarteten Blick ins Dorf. Gleichzeitig strahlt der Raum aufgrund seiner Lage eine grosse Geborgenheit aus. (Foto: Rasmus Norlander)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Da wir für die Bauherrschaft bereits ein anderes Projekt realisieren durften, war die Zusammenarbeit sehr konstruktiv und basierte auf grossem Vertrauen. Ein intensiver Diskurs zur Charakteristik des historischen Bestandes, zur konstruktiven Ehrlichkeit beim Umbauen und zu gestalterischen Fragen hat das Projekt bereichert. Gleichzeitig bestand die Forderung nach einer möglichst effizienten Raumnutzung und der Umsetzung des umfangreichen Raumprogramms, was das Projekt prägte.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Zu Beginn der Projektierung war das gewünschte Raumprogramm deutlich umfangreicher. Doch in der Bearbeitung hat sich gezeigt, dass dies nur durch eine Volumenvergrösserung realisierbar wäre, was wiederum die Situation im unmittelbaren Kontext und die Eingliederung im Dorf verunklärt hätte. Die Reduktion und die Beschränkung auf einen Entwurf, der mit dem bestehenden Bauvolumen auskommt, war eine Befreiung und hat sich positiv auf das Projekt ausgewirkt.

Über eine steile, schmale Treppe gelangt man entlang der Aussenwand vom Zwischengeschoss in den Blockbau. Eine Leiter führt weiter in ein Schlaflager. (Foto: Rasmus Norlander)
Während das Zwischengeschoss niedrig ist, erstreckt sich der Raum im Blockbau bis unters Dach. Er dient als Wohnzimmer und ist komplett in Fichtenholz ausgebaut. (Foto: Rasmus Norlander)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Bisher konnten wir eine Reihe von Projekten in ähnlichem Massstab und mit vergleichbarer Komplexität realisieren. Der Umbau des Stadels reiht sich somit als ein wichtiger Baustein in unsere bisherigen Entwürfe ein. Aufgrund der langen Planungs- und Bauzeit von fast vier Jahren erhält der Stadel einen besonderen Stellenwert. Durch die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Projekt vereint dieser Umbau sozusagen eine gewisse Essenz unserer bisherigen Entwürfe und Interessen.

Das Entrée bildet den Auftakt zum Gebäude. Der hölzerne Innenausbau trifft dort auf die rohe Wand des Sockelgeschosses. (Foto: Rasmus Norlander)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Weniger als ein spezifisches Produkt sind es das handwerkliche Geschick und das Interesse am Bestand, die den Umbau auszeichnen. Den Grundstein legte der lokale Baumeister, der mit der Gebäudetypologie vertraut ist. Zumeist händisch hat er den bestehenden Sockelbau aufwendig unterfangen, die Stützeln gekonnt betoniert, um die Erdbebensicherheit zu erlangen, und am Gebäude den traditionellen Rasa Pietra (Verputz) ergänzt. Die Vollendung des Projekts erfolgte durch die sorgfältige Schreinerarbeit beim Innenausbau.

Foto: Rasmus Norlander
Situation
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Zwischengeschoss
Grundriss Obergeschoss
Längsschnitt
Bauwerk
Umbau Stadel
 
Standort
Untere Gasse 3, 3906 Saas-Fee
  
Nutzung
Wohn- und Ferienhaus
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Privat
 
Architektur
Oliver Christen Architekten, Baden
Oliver Christen und Cyril Kunz
 
Jahr der Fertigstellung
2022
 
Gebäudevolumen 
460 m3
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
Baumeister: Nestor Anthamatten, Saas-Allmagell
Zimmermann: Kämpfen Holzbau, Brig-Glis
Innenausbau, Küche, Geländer in Holz: Schnidrig Schreinerei, Visp
Fenster: Schreinerei Furrer, Visp
Bedachung und Abdichtung: Dach-Profi, Glis
Geländer in Metall: Imhof, Lax
Heizung und Sanitär: Lauber IWISA, Naters
Elektrik: Elektro Saas, Saas-Fee
Plattenarbeiten: Opla, Täsch / Zermatt
Hartsteinholzboden: Euböolithwerke, Olten
 
Fotos
Rasmus Norlander, Zürich

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