Ästhetisch, ortsverbunden und sehr beliebt: Der dritthöchste Holzturm der Schweiz wird «Bau des Jahres»

Redaktion Swiss-Architects
1. February 2023
Grafik: Swiss-Architects, basierend auf Fotos von Ladina Bischof

In unserer Rubrik «Bau der Woche» stellen wir regelmässig neue Bauwerke von Schweizer Architekturschaffenden vor. Auch Arbeiten, die ausländische Kolleg*innen in der Schweiz verwirklicht haben, finden Beachtung. Immer im Januar haben Sie die Möglichkeit, aus den im Vorjahr präsentierten Bauten Ihren Favoriten zu wählen – den «Bau des Jahres».

Die Architekt*innen der zehn beliebtesten Bauwerke dürfen diese seit 2020 zusätzlich beim Kurzvortragsabend «Eure Besten» live präsentieren. Dieser findet jährlich Mitte Oktober in Winterthur statt. Wir richten den Anlass gemeinsam mit dem Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW aus.

Die diesjährige Ausgabe wird am Abend des 12. Oktober stattfinden. Weitere Informationen folgen alsbald.

«Wir freuen uns riesig über die Auszeichnung – auch weil es ein Publikumspreis ist. Natürlich war unser Ziel schon beim Entwurf, dass der Turm mehr bieten kann als «nur» die Aussicht aufs Tal. Dass er dann aber auch in der Öffentlichkeit auf so grosse und positive Resonanz stösst, freut uns natürlich besonders!»

Nadja und Lukas Frei

Gemeinsam haben die fünf Gemeinden Opfikon, Kloten, Wallisellen, Bassersdorf und Dietlikon den eleganten Holzturm finanziert, der über die Baumwipfel des Hardwalds ragt. Seit der Eröffnung erfreut sich der ästhetische Bau immer grösserer Beliebtheit, selbst einstige Skeptiker sind inzwischen begeistert. Das SRF widmete dem Turm deswegen Ende vorigen Jahres sogar eine Radioreportage (hier zu hören ab Minute 11:20).

Der Titel «Bau des Jahres» beweist nun: Die 41 Meter hohe Konstruktion entzückt Laien und überzeugt Fachleute. Von der obersten Plattform reicht der Blick bis zu den Alpen, und man meint, die Flugzeuge, die ganz in der Nähe starten und landen, beinahe berühren zu können. Der Turm, der mit Mikropfählen wie ein Baum im Boden verankert ist, wurde mit Holz aus der unmittelbaren Umgebung gebaut, das lokale Unternehmen verarbeitet haben. Insgesamt sieben Holzarten kamen zum Einsatz: Fichte und Tanne wurden für die Tragkonstruktion verwendet, die halboffene Schalung besteht aus Föhre, und die Plattformen und Treppen sind aus Esche und Lärche gemacht. Douglasie kam für die Simse zum Einsatz, Eiche für die Möblierung der Umgebung. Die Unterkonstruktion des obersten Terrassenbodens besteht aus Akazie. Die Hölzer standen jeweils nur in begrenztem Umfang zur Verfügung, und die Architekten haben sie entsprechend ihrer Eigenschaften verbaut.

Das Holz wurde nicht behandelt und – vom Haupttragwerk abgesehen – nicht verleimt. So können defekte Bretter, etwa der Fassade oder der Treppen, später ausgetauscht werden und im Wald verrotten. – Der Kreislauf schliesst sich.

Foto: Ladina Bischof
Foto: Ladina Bischof

Je nach Standort bietet der Turm dem Betrachter ein anderes Bild. Bewegt man sich um ihn herum, entsteht die Illusion, er würde tanzen. Die Primärkonstruktion beruht auf dem gleichseitigen Dreieck als statisch ideale Grundform. Zwei Dreiecke sind jeweils zu Rauten addiert. Durch Stapelung und Drehung um 60 Grad entsteht schliesslich ein skulpturaler Körper mit vier Plattformen.

Nadja und Lukas Frei möchten, wie sie uns im Rahmen der Rubrik «Bau der Woche» verrieten, Gebäude entwerfen, die Menschen zusammenbringen und ihnen zugleich Raum für ein individuelles Architektur- und Naturerlebnis lassen. Mit dem Aussichtsturm im Hardwald ist den beiden, die 2019 beim renommierten Schweizer Nachwuchspreis Foundation Award den dritten Rang erreichten, das glänzend gelungen. Wir gratulieren allen am Projekt Beteiligten herzlichen.

Foto: Ladina Bischof
Rang zwei: Ein Gebäude zwischen Kontext und Leistungsschau

Während eine deutliche Mehrheit der Wähler*innen für den Aussichtsturm im Hardwald stimmte, tat sich dahinter Spannendes: In der Fachwelt bisher kontrovers diskutiert, avancierte das neue Wohn- und Geschäftshaus des Bündner Familienunternehmens Truffer in Vals zu einem der Publikumslieblinge. Gestaltet wurde das Bauwerk vom Pariser Team des weltbekannten japanischen Architekten Kengo Kuma.

Das Haus Balma ist um einen langgestreckten, hohen Erschliessungsraum organisiert, der an eine Felsspalte erinnern soll. Das Untergeschoss beherbergt die «Steinwelt», ein Ausstellungs- und Begegnungsraum mit Schau-Badezimmer und Hortus conclusus. Im Erdgeschoss sowie im ersten Obergeschoss sind Büros untergebracht, während sich im zweiten und dritten Obergeschoss private Wohnräume befinden. 

In besonderem Masse polarisiert seit der Fertigstellung die ungewöhnliche Fassade des Bauwerks mit Steinplatten und Lärchenbrettern, die an rostfreien Spannseilen befestigt sind. Wie uns Yuki Ikeguchi, Partnerin von Kengo Kuma in Paris, erklärte, soll mit der aufwendigen Konstruktion ein Spagat gelingen: Einerseits gliedere sich das Gebäude durch seine Hülle in die Umgebung ein, die von alten Steinhäusern mit schiefergedeckten Dächern geprägt ist. Andererseits sei es bei der Gestaltung darum gegangen, eine Kostprobe von der Leistungsfähigkeit und den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des Valser Steins zu geben, den die Firma Truffer verarbeitet. Die aufwendigen Konstruktionsdetails stellen ausserdem das Know-how der Bauherrschaft unter Beweis, die grossen Anteil an deren Entwicklung hatte.

Foto: naaro
Foto: naaro
Foto: Filippo Berardi
Foto: Filippo Berardi
Rang drei: Aus der Ferne geplant

Für Filippo Berardi und Lucia Miglio wurde unsere Leserwahl zu einem weiteren Schritt ins Rampenlicht: Im Tessin an der Accademia di Architettura ausgebildet, gründeten die beiden ihr Büro erst 2019 in Zürich. Nun gehört ihre School of Social Development, eine Bildungsstätte mit Freiwilligenwohnheim im armen Dorf Bodgaun in Nepal, zu den beliebtesten Projekten bei der «Bau des Jahres»-Wahl. Die Einrichtung entstand im Auftrag der Organisation Jay Nepal Action Volunteers.

Entwurf und Bau des Ensembles waren für die jungen Architekturschaffenden in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung: Wie sie uns berichteten, konnten sie den Bauplatz nicht im Vorfeld besichtigten. Zudem waren die finanziellen Mittel sehr beschränkt, und die Bauzeit war äusserst knapp bemessen. Auch mussten die beiden sich auf die vor Ort verfügbaren Baumaterialien beschränken und den Fähigkeiten der lokalen Handwerker und Fachleute Rechnung tragen. Baukultur spielt in Nepals armer Sindhupalchowk-Region eine andere Rolle als in der reichen Schweiz: Die Häuser des Dorfes sind mit einfachsten Mitteln im Eigenbau entstanden, und in dem abgelegenen Gebiet fehlt jegliche Art von Infrastruktur.

Den Bau der fröhlich-bunten Bildungsstätte, deren Häuser im Kreis angeordnet sind, konnten Filippo Berardi und Lucia Miglio nicht leiten. Der Weg vom Geplanten zum Gebauten war eine Reise ins Ungewisse für sie. Nur über einige Fotos blieben sie auf dem Laufenden. Erst nach der Fertigstellung und der Lockerung der Reisbeschränkungen, die wegen der Corona-Pandemie zeitweise galten, konnten sie ihr Bauwerk endlich besuchen. Ein bewegender Moment: Grundkonzeption und Designidee waren tatsächlich stark genug, um die ungeplanten baulichen Abweichungen in sich aufnehmen zu können. Filippo Berardi und Lucia Miglio ist es gelungen, aus der Ferne einen identitätsstiftenden Ort zu schaffen.

Foto: Filippo Berardi
Foto: Filippo Berardi

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