Der Galgenhügel trägt Rosen

Susanna Koeberle
5. September 2019
Von Dominik Zehnders «Schaugerüst» aus hat man einen wunderbaren Blick auf die Stadt Chur. (Foto: Ralph Feiner)

Der Name Rosenhügel führt in die Irre. Denn wo heute am Rande von Chur ein Park zum Flanieren einlädt, befand sich vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein eine Hinrichtungsstätte. Im 19. Jahrhundert wurde der Rosenhügel nach den Plänen des Bündner Botanikers Alexander Moritzi (1806–1850) zum Landschaftspark umgestaltet. Doch scheinbar konnte auch die blumige und beschönigende Namensgebung die Berührungsängste mit diesem Ort nicht zunichtemachen. Die durchaus idyllische Parkanlage wird heute leider kaum genutzt. Das Projekt «Begegnungen» sowie ein neuer Weg zur Altstadt sollen dem entgegenwirken und diesen öffentlichen Raum neu beleben. Zur Aufwertung der Grünfläche gehört auch die Restaurierung des im neugotischen Stil erbauten Pavillons, der erst kürzlich in den Rosenhügelpark verlegt wurde. Der Gabentempel des eidgenössischen Schützenfestes 1842 ist das einzige in der Schweiz erhaltene Exemplar dieser Gebäudetypologie, einer temporären Architektur, in der bei Festen die Preise vergeben wurden. Die neue Erschliessung sowie die Gestaltung der Umgebung des Pavillons gingen aus einem Wettbewerb hervor, den der Zürcher Landschaftsarchitekt Markus Urbscheid für sich entscheiden konnte. 

«Den Himmel über Chur soweit es geht geniessen» (Not Vital) können Besucher*innen, nachdem sie die 26 Stufen des Bauwerks erklommen haben. (Foto: Ralph Feiner)

Die Arbeiten von 13 zeitgenössischen Kunstschaffenden interpretieren den Ort und schaffen einen Dialog zwischen Natur und Kultur. Initiiert hat dieses Projekts der Verein Art-Public Chur, der schon seit einigen Jahren den öffentlichen Raum mit Kunstprojekten bereichert. Als Künstlerischer Leiter und Kurator von «Begegnungen» amtet der Galerist Luciano Fasciati, Ko-Kuratorin ist Misia Bernasconi, assistiert wird den beiden von Seraina Peer. Bei der Auswahl der Künstler*innen achteten die Kurator*innen besonders auf Erfahrenheit im Umgang mit kontextbezogenem Arbeiten und dem öffentlichen Raum. Denn sowohl die Geschichte dieser ambivalenten Örtlichkeit wie auch die geographische Lage am Hang bilden eine Herausforderung. Auf diese komplexe Ausgangssituation reagieren die Werke ganz unterschiedlich. 

Den Einstieg in diesen Kunst-Parcours macht eine Arbeit des Bündner Künstlers Not Vital, den seinerseits mit Chur eine persönliche Geschichte verbindet (Vital ging nämlich in Chur zur Schule). Ob dies im Titel der grossformatigen Arbeit «Den Himmel über Chur soweit es geht geniessen» mitschwingt? Na ja, den Blick in den Himmel so wie eine ungewöhnliche Aussicht auf die Hauptstadt Graubündens kann durchaus geniessen, wer die 26 Stufen des schmalen Bauwerks hinaufsteigt. Aber eben, nur, «soweit es geht». Der Nebensatz spricht Bände und ist typisch für den subtilen Humor des Bündner Ausnahmekünstlers. Die blaue Skulptur ist schon von Weitem sichtbar und könnte leicht für ein schützendes Baustellengerüst gehalten werden. Nähert man sich dieser enigmatischen Holzkonstruktion, zeigt sich ihr gelbes Inneres. Vital nennt solche Arbeiten SCARCH: Mischwesen zwischen sculpture und architecture. Zwischen Architektur und Skulptur changiert auch der Beitrag von Dominik Zehnder. «Schaugerüst» erinnert formal an das Blutgerüst, das einst am Rosenhügel stand. Betritt man als Besucher*in die Plattform aus rotem Beton, öffnet sich der Blick auf die Stadt – das «Schau» verliert seine unheimliche Kraft. Dabei entdeckt man die Inschrift «Amortem». In diesem Wort steckt viel: Amor (Liebe), morte (Tod), aber auch «am Orte». Das Werk spannt durch seine Vielschichtigkeit den Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ohne dabei an Lesbarkeit zu verlieren. 

«Der goldene Zweig» (Remo Albert Alig in Zusammenarbeit mit Marionna Fontana) ist erst bei genauem Hinschauen zu erkennen. (Foto: Ralph Feiner)

Das Aufrollen der bewegten Geschichte des Rosenhügels ist wiederholt Ausgangspunkt der ortsspezifischen Werke. So nimmt etwa die teergetränkte Fahne von Florian Bach («Oase») am äusseren Rand des Parks eher auf Krieg, Macht und Gewalt Bezug, während der hoch oben an einem Baum baumelnde Mistelzweig aus Messing und Glas («Der goldene Zweig» von Remo Albert Alig in Zusammenarbeit mit Marionna Fontana) ein weites Referenznetz von Botanik über Alchemie bis zu Mythologie knüpft. Ein mit fluogrüner Flüssigkeit gefüllter Schlauch oder ein graues Kabelschutzrohr entpuppen sich dabei ebenfalls als Kunstwerke: Ersteres stammt von Roman Signer, das Rohr, das sich dem Rand des Parks entlang windet, ist eine Arbeit von Peter Conradin Zumthor («Traffic»). Im oberen Teil der Anlage kommen beide Enden zusammen und wenn Neugierige an einer Leine ziehen, erklingt zeitlich verzögert eine im Rohr versteckte Lastwagenhupe. Ganz in Signerscher Manier passiert auch beim Schlauch («Grüne Linie») etwas. In regelmässigen Abständen wird die Flüssigkeit von einer Pumpe angesogen und schlängelt sich durch den Schlauch zur weiter unten gelegenen Brunnenstube (einem in neugotischen Stil erbauten Häuschen). Beim Beobachten dieses Geschehens wähnt sich die Besucherin beinahe in einem Harry Potter-Film. Bei aller Unheimlichkeit hat der Kunst-Spaziergang durch den Park dennoch etwas Lustvoll-Leichtes. Dabei wird zugleich die Geschichte des Ortes erinnert. Diese wird spielerisch fortgeschrieben und dabei – oh Wunder – verwandelt. Was will man mehr von Kunst.

Zwischen unheimlich und vergnüglich: «Grüne Linie» von Roman Signer (Foto: Ralph Feiner)
«Entspannte Frau statt Toter Mann» von Isabelle Krieg: eine humorvolle Reinterpretation des Rosenkranzes (Foto: Ralph Feiner)

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