Spannende Perspektiven

Cyrill Schmidiger
26. September 2019
Robyn Beeche (1945–2015), «Vidal Sassoon: Bauhaus. Make-up by Phyllis Cohen», 1986, Fotografie [Reproduktion] (© Robyn Beeche Foundation, Australien)

Es ist eine fulminante Schau mit zahlreichen Exponaten: Architekturmodelle, Bilder und Filme, aber auch Lichtinstallationen, Reprints von Magazinen und Strickereien demonstrieren das breite künstlerische Programm des Bauhauses, das von 1919 bis 1933 existierte und noch immer fasziniert. Dominierten lange heroisierende Darstellungen die Rezeption der Schule, so dekonstruierte die Forschung diese nach und nach. Den Anfang markierten die späten 1960er-Jahre, als die Schaffensperiode von Bauhaus-Gründer Walter Gropius endete und die Geschichtsschreibung die vielseitigen Facetten der Institution immer adäquater erfasste. Dieses Panorama illustriert die Ausstellung exemplarisch. Gleichzeitig liest sie das Bauhaus als globalen Resonanzraum und Teil einer Moderne, die aus der Begegnung und dem Austausch von verschiedensten Kulturen gestalterische Impulse erhielt.

Takehiko Mizutani (1903–1969), «Studie zum Simultankontrast aus dem Unterricht von Josef Albers», 1927, Deckfarbe auf Karton, 76,5 x 55,5 Zentimeter (Foto: Markus Hawlik © Bauhaus-Archiv Berlin)
Internationale Verflechtung…

Dementsprechend ist die Schau organisiert: Objekte aus dem Bauhaus finden sich neben Arbeiten, die nach 1933 entstanden sind. Einige stammen von Absolvent*innen der deutschen Schule, andere von Dozent*innen oder Student*innen, die an ihrer Universität die avantgardistische Philosophie des Bauhauses aufnahmen. In vier thematischen Bereichen präsentieren die Kurator*innen Werke, die den experimentellen und hybriden Charakter der Moderne veranschaulichen. Beginnend mit «Corresponding With» wird das Bauhaus-Manifest mit Kunstschulen in Indien und Japan konfrontiert. Dabei scheinen nicht nur reformpädagogische Parallelphänomene auf, sondern auch konkrete Kontakte: 1919 eröffnete der Dichter Rabindranath Tagore rund 150 Kilometer nördlich von Kalkutta die moderne Gestaltungsschule Kala Bhavan. Programmatisch integrierte sie den Reichtum indischer Kunstproduktion und Aspekte von Arts and Crafts. Und im Dezember 1922 folgte dann, angeregt von Stella Kramrisch, die dort unterrichtete und mit Johannes Itten korrespondierte, sogar die erste Bauhaus-Schau ausserhalb Deutschlands.

Mohamed Melehi (*1936), ohne Titel, Siebdruck, 45 x 69 Zentimeter (Courtesy of the artist, collection of l'Atelier Pauline de Mazières © 2019, ProLitteris, Zürich)
…und regionale Strategien

Das Handwerk spielt auch in «Learning From» eine zentrale Rolle. Das Kapitel untersucht aussereuropäische Techniken, die schon am Bauhaus abstrakte Formen stimulierten. Ebenfalls dokumentiert es, dass lokale Kultursprachen und Produktionsmethoden mitunter Gegenkonzepte zur europäischen Moderne sein konnten und eine postkoloniale Botschaft vermittelten. Etwa in Brasilien: Lina Bo Bardi rekurrierte am Instituto de Arte Contemporânea in São Paolo zwar auf die deutsche Schule, doch sensibilisierte gleichzeitig für indigene Kunst.

Emanzipation

Architektur findet sich im dritten Teil mit dem Titel «Moving Away». Holzmodelle und Zeichnungen für den Entwurf der Hua Tung-Universität in Shanghai, die Gropius’ TAC ab 1946 gemeinsam mit Ieoh Ming Pei erarbeitete, veranschaulichen, wie das Projekt traditionelle Elemente chinesischer Gärten aufnimmt – so liegt im Zentrum des Areals ein Teich, und die rechteckigen Höfe sind offen. Auch die Universität in Ile-Ife, die von 1960 bis 1985 in mehreren Etappen entstand, demonstriert die Adaption moderner Architektur für einen spezifischen Kontext: Arieh Sharon, der am Bauhaus studierte, passte die brutalistische Formensprache an die nigerianische Yoruba-Kultur an und entwarf offene Strukturen mit fliessenden Räumen, die dem tropischen Klima gerecht werden. Zvi Efrat dokumentierte in «Scenes from the Most Beautiful Campus in Africa» (2019) die Planung und Gestaltung des heute Obafemi Awolowo University genannten Bauwerks. Dabei zeigt ihr Film auch die gesellschaftspolitische Dimension: Die Hochschule wurde in einem Akt des Widerstands gegen die britische Kolonialpolitik realisiert und war nach Nigerias Unabhängigkeit die erste Architekturfakultät.

Paul Klee (1879–1940), «Monument im Fruchtland», 1929, 41, Aquarell und Bleistift auf Papier auf Karton, 45,7 x 30,8 Zentimeter (© Zentrum Paul Klee, Bern)
A Never Ending Story

Der Geist des Bauhauses lebt – nicht nur politisch und sozial, sondern auch gestalterisch. So schliesst die Ausstellung passend mit dem Kapitel «Still Undead», das künstlerische Experimente mit Licht, Sound und neue Technologien präsentiert und den Bogen bis in die Gegenwart spannt. «Bauhaus imaginista» verklärt die Schule nicht, sondern diskutiert sie mitsamt der europäischen Moderne kritisch – sei es die patriarchale Kulturpraxis oder der universalistische Anspruch. Da das Bauhaus in seinen 14 Jahren kosmopolitisch orientiert war und Student*innen und Dozent*innen rund um den Globus anlockte, war es international verflochten. Durch Emigrationen nach Israel und Mexiko, aber auch in die Türkei, die Sowjetunion oder die Vereinigten Staaten kamen gestalterische Ideen in neue Kontexte, sodass das Erbe des Bauhauses fortgeschrieben und transformiert wurde – und bis heute relevant blieb.

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