Überzeugungstäter

Elias Baumgarten
25. April 2019
Das Buch «livin' architecture. architektur leben» fasst 20 Jahre Arbeit des österreichischen Büros querkraft zusammen. Bild: Elias Baumgarten

Würden Sie einen Auftrag ausschlagen, käme er von der falschen Bauherrschaft oder zeichnete sich ab, dass er dem Gemeinwohl abträglich ist? Würden Sie, etwa an einem Wettbewerb, Vorgaben missachten, die Sie widersinnig finden, und damit riskieren durchs Raster zu fallen? Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp sagen von sich, sie seien dazu bereit. 1998 gründeten sie gemeinsam mit Michael Zinner, der 2004 ausschied, ein Büro mit dem programmatischen Namen «querkraft» in Wien. Nun, zwei Dekaden und 70 verwirklichte Projekte später, haben Franziska Leeb und Gabriele Lenz ein Buch über die Arbeit des Trios herausgegeben. Sein Titel: «livin' architecture. architektur leben». Wie viel von den starken Aussagen lässt sich in den darin präsentierten Bauten wiederfinden?

Blick ins Buch. Bilder: Elias Baumgarten

Erschienen ist die aufwendige Publikation beim Basler Verlagshaus Birkhäuser. Einband und Schutzumschlag kommen mit Hoch- beziehungsweise Tiefprägung edel daher. Das mit grossformatigen Fotos – viele davon doppelseitig – sehr ansprechend gestaltete Buch gliedert sich in vier Teile. In diesen werden 22 ausgewählte Bauten und Projekte in chronologischer Reihenfolge präsentiert. Darunter sind viele bemerkenswerte Wohnüberbauungen, aber auch inspirierende Museen und einige kraftvolle Einfamilienhäuser. Neben Fotos gibt es Baupläne und Zeichnungen zu sehen. Dazu erwarten die Leser*innen je kurze Beschreibungstexte. 

Zwischen die Blöcke eingeschoben sind vier «querkraft stories», die durch ein etwas kleineres Format und dünnes, gräuliches Papier akzentuiert sind. Sie erzählen unterhaltsame Anekdoten aus dem Büroalltag. So zeigen sie, wie das gesamte Team als starkes Kollektiv mit flachsten Hierarchien zusammenarbeitet. 

Damit das Buch über eine reine Auslegeordnung hinauskommt, findet sich am Anfang zudem ein einordnender Essay von Franziska Leeb und am Schluss ein ausführliches Interview mit den Architekten. In ersterem lernt man zum Beispiel, dass eine Beziehung zwischen der Architektur querkrafts und den Manifesten und Entwürfen der österreichischen Avantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre besteht. Alle Texte sind in deutscher und in englischer Sprache abgedruckt. Spannend zu sehen ist die Entwicklung, welche die Architektur des Trios von den oftmals kleinen Projekten der Anfangszeit zu den Grossbauten und Entwürfen der letzten Jahre genommen hat. 

Die Publikation ist aufwendig gestaltet. Einband und Schutzumschlag zieren eine Hoch- beziehungsweise eine Tiefprägung. Bilder: Elias Baumgarten
Vom Kampf und Weichwerden

Wie eingangs erwähnt, sehen sich Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp gerne als Querdenker, die etwas verändern wollen und den Mund auftun. Was damit konkret gemeint ist, zeigen etwa die vorgestellten Wohnhäuser in der Wiener Leebgasse (2004) und an der Universumstraße (2010). Zu ihrer Entstehungszeit war es in der Donaustadt nicht gestattet, Balkone strassenseitig über der Baufluchtlinie zu errichten. Daraufhin deklarierte das Trio seine über das Trottoir auskragenden Elemente als «architektonische Zierglieder» – entsprechend den erlaubten Ausladungen der Hauptgesimse gründerzeitlicher Bauten. Um sie begehbar zu machen, wurden Geländer angefügt. Dieser Trick funktionierte. Die Projekte wurden genehmigt. Und in 2014 kippte die Stadt Wien die Regel schliesslich – auch aufgrund der Beharrlichkeit von Büros wie querkraft.

Dunkl, Erhartt und Sapp nehmen jährlich im Durchschnitt an 15 Wettbewerben teil. Ihre Erfolgsquote liegt bei 1:8. Dabei die Vorgaben aus Überzeugung zu ignorieren, gehört fest zu ihrem Repertoire. So reichen sie immer wieder Entwürfe für grosse Wohnüberbauungen ein, die keine Tiefgarage beinhalten – obschon dies zumeist explizit gefordert wird. Mitliefern sie dann jedoch stets Vorschläge für alternative Mobilität. Das Konkurrenzverfahren um die Gestaltung der gemeinnützigen Wohnanlage OLE in der Wiener Oleandergasse konnten sie so gewinnen. In 2018 wurde sie fertig.

Zu Beginn ihrer Karriere gestalteten Dunkl, Erhartt und Sapp etliche Einfamilienhäuser. Heute spielt diese Aufgabe nur noch eine marginale Rolle für sie. Natürlich hat das ökonomische Gründe – die Architekten haben unterdessen die Möglichkeit, viel grössere und lohnendere Vorhaben umzusetzen –, doch auch ideelle. Die Aufgabe sei typologisch problematisch, sagt Peter Sapp im Interview mit den Herausgeberinnen und Jan Tabor, das im Buch abgedruckt ist. Und Kollege Erhartt fügt energisch an: «Prinzipiell übernehmen wir keine Bauaufgabe, die wir nicht für sinnvoll halten.» Derart streng sind die Massstäbe aber, wie Jakob Dunkl zügig einschränkt, am Ende des Tages nicht. Schliesslich baue man – wenn es sich ergebe – auch für grosse Konzerne wie adidas, wie er sympathisch selbstkritisch fortfährt.

Vielleicht passt es da ins Bild, dass sich die Architekten mit ihrem Büro ausgerechnet in Räumlichkeit der Wiener Börse – einem Symbolbau des Kapitalismus – eingemietet haben, obschon sie sich zunächst weigerten, diese überhaupt zu besichtigen. Nachdem sie das Gebäude doch besucht und ihre Mitarbeiter*innen sich für das Objekt ausgesprochen hatten, liessen sie sich umstimmen. Geduldig handelten sie einen fairen Mietzins aus und passten die Räumlichkeiten ihren Vorstellungen und Bedürfnissen an. Entstanden ist ein offenes, werkstattartiges Büro. Die drei Chefs teilen sich dort einen Schreibtisch.

Mitunter werden im Buch sehr plakative und auch überspitzte Aussagen getätigt. Doch es ermutigt, für architektonische, ökologische, ökonomische, soziale und politische Überzeugungen einzutreten – ohne dabei alles in allem über Gebühr idealistisch oder gar naiv zu tönen.

livin' architecture. architektur leben

livin' architecture. architektur leben
Franziska Leeb, Gabriele Lenz (Hrsg.)

218 x 274 mm
288 Pages
ISBN 9783035618792
Birkhäuser
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