Ein Wochenende im Zeichen der Kunst

Susanna Koeberle
11. September 2020
Das Zurich Art Weekend soll die Kunststadt Zürich in den Fokus rücken (Foto: Zurich Art Weekend 2019, Ronald Pizzoferrato)

Susanna Koeberle: Wir kam es zur Gründung des ZAW? 

Charlotte von Stotzingen: Die Kernidee des ZAW ist, die ganze Kunstszene von Zürich zusammenzubringen, nicht nur die Galerien, sondern auch die Institutionen und Offspaces. Wir wollen das ganze Spektrum und die hohe Qualität dieser Szene einem internationalen und lokalen Publikum nahe bringen. Die Dynamik, welche die Art Basel jeweils im Juni mit sich bringt, war natürlich schon vorher in Zürich zu spüren. Unsere Absicht ist, die hohe Qualität der Ausstellungen durch ein kuratiertes Programm zu ergänzen. Wir möchten durch verschiedene Formate möglichst vielen Leuten die Gelegenheit geben, in die Kunst einzutauchen und sich davon inspirieren zu lassen. Wichtig war uns auch von Anfang an, die Kunst für andere Felder zu öffnen. Deswegen haben wir früh den Kontakt zur ETH gesucht. Wir sind überzeugt, dass Kunst für die Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt und wollen mit dem ZAW mehr Austausch generieren.

Auch auf internationaler Ebene?

Ja, die Internationalisierung ist uns sehr wichtig. Um sie noch stärker zu fördern, haben wir 2019 einen kulturellen Austausch mit dem Gallery Weekend Beijing initiiert. Dieser fand auf drei Ebenen statt: Ausstellungen, Konferenzen und Reisen in beide Städte.

Und was konnte dieses Jahr schliesslich stattfinden?

Es waren eigentlich mehrere Ausstellungen und Kunstprojekte im öffentlichen Raum vorgesehen. Das haben wir ersetzt. Wir mussten unser Programm wegen der aktuellen Situation komplett umstellen. Das Gallery Weekend Beijing (GWB) konnte dieses Jahr im März als eines der ersten internationalen Kunstevents nicht stattfinden. Wir dachten damals nicht, dass das Gleiche auch bei uns passieren könnte. Die Edition des Weekends in Beijing fand Ende Mai dann doch noch statt. Wir haben gemeinsam online Gespräche aufgegleist und werden bald eine 1-Minuten-Video-Serie in den sozialen Medien lancieren. Diese soll dem ursprünglichen Ziel des Austausches dienen, nämlich das gegenseitige Verständnis für die zeitgenössische Kunst und die unterschiedlichen Kulturen zu fördern. Diese Videos werde das ganze Jahr über unter dem Titel «Knowledge Swap» auf beiden Plattformen (ZAW/GWB) zu sehen sein.

Kunst und Wissenschaft vernetzen (Foto: Zurich Art Weekend 2019, Julien Gremaud)

Das ZAW war im Juni schon aktiv, richtig?

Ja, das war die «Opening Up»-Initiative. Sie entstand kurzfristig, als es Anfang Juni hiess, dass die Museen und Galerien wieder öffnen dürfen. Um diese Eröffnung zu unterstützen, haben wir an den ursprünglichen Daten des ZWA ein on-site und online Programm zusammengestellt. Dabei ist es uns immer wichtig, dass die online Formate keine fade Kopie der analogen Events sind, sondern eigenständig kuratiert werden. Sie sollen die physischen Erlebnisse ergänzen. Wir haben etwa online Künstlerstudiobesuche organisiert. Das könnte man an einem Wochenende physisch niemals bewältigen, vor allem, weil diese Studios überall in der Schweiz verteilt sind. Solche Formate erlauben dem Publikum eine ganz neue Erfahrung. Dabei hat sich auch gezeigt, was man in kurzer Zeit auf die Beine stellen kann.

Warum der Name «Opening Up»?

Während des Lockdowns haben wir beobachtet, dass sich Beziehungen verändert haben. Plötzlich hatte man intime Einblicke in die Haushalte und Ateliers von Künstler*innen und Kurator*innen. Das brachte eine neue Authentizität mit sich. Es ging also nicht nur um die neue Öffnung der Räume, sondern auch um diese neuen Erfahrungen.

In der Kunstszene sprach man ja schon vor Corona von der Notwendigkeit neuer Modelle. Hat die neue Situation ein Umdenken gefördert?

Ja, denn die Kunstwelt musste wirklich lernen, ganz neu zu arbeiten. Alle bestehenden Strukturen mussten und müssen sich in Zukunft neu erfinden. Das war auch für uns so. Wir mussten uns fragen, warum wir wichtig sind und was die Essenz unserer Organisation ist. Die Kunstwelt ist in vielem relativ konservativ. Doch plötzlich waren alle gezwungen, sehr schnell einen Riesenschritt ins Digitale zu machen. Und auch das Kunstpublikum hat gelernt, die digitalen Möglichkeiten neu zu nutzen. Diese Veränderung führte auch schnell zu einem Überangebot, sodass eine Perfektionierung notwendig wurde. Viele digitalen Tools wie etwa Websites waren schlichtweg nicht für diese neuen Nutzungen gedacht. 

Installationsansicht aus «Made in Zürich» bei Grieder Contemporary (Foto © Grieder Contemporary)

Der Fokus dieser Ausgabe ist aber nichtsdestotrotz das Analoge. 

Die physische Begegnung mit Kunst und ihrer Energie ist nicht ersetzbar. Wir hungerten ja auch alle danach, wieder Menschen zu treffen und zu spüren, auch das Soziale gehört eben zur Kunst. Das Digitale kann eine sinnvolle Ergänzung dazu sein. Wir haben in dieser Zeit auch gemerkt, was für einen verrückten Rhythmus wir vorher hatten. Nicht nur das einzelne Individuum betreffend, sondern auch, was das alles für den ganzen Planeten bedeutet. Das spricht dafür, eine überschaubare menschliche Grösse für Anlässe zu finden, das war uns für das ZAW von Beginn an ein Anliegen. Überhaupt zurück zum Menschen zu finden – eine Dimension, die wir vergessen haben, weil wir häufig wie Maschinen funktionierten. 

Wie nehmen Sie Zürichs Kunstszene wahr? 

Eine Stärke dieser Stadt ist die unglaublich hohe Qualität der Kulturangebote auf so kleinem Raum. Die Kunstinstitutionen in Zürich sind zwar nicht gross, dafür sind sie verglichen mit den wichtigen internationalen Häusern sehr avantgardistisch. Zürich ist wirtschaftlich sicher die wichtigste Stadt in der Schweiz, das sieht man auch daran, dass weltweit wichtige Galerien hier domiziliert sind. Es gibt auch eine neue Generation von Galerien, die eine Leaderfunktion haben.

Aber in Zürich mussten dennoch auch viele Galerien schliessen.

Das hängt auch damit zusammen, dass das traditionelle Galerienmodell schon seit Jahren nicht mehr funktioniert. Auch das Publikum hat sich verändert ­– die Sammler*innen denken, handeln und kaufen nicht mehr wie früher. Die Galerien müssen sich darum komplett neu orientieren. Eine von Zürichs Stärken ist die hohe Dichte an Offspaces, sie tragen zur Diversität des Ökosystems dieser Stadt bei. Die grossen Galerien könnten ohne die Arbeit der Offspaces nicht überleben. Als ich nach Zürich kam, war ich sehr erstaunt über diese alternative Seite der Stadt.

Mira Schor, «Here/Then, There/Now», 2011 (© Mira Schor, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und von Fabian Lang, Zürich)

Viele Offspaces beteiligen sich am ZAW. Ist dieses Vernetzen zwischen unterschiedlichen Modellen auch ein Ziel des ZAW?

Absolut, denn wir glauben, dass die einen ohne die anderen nicht existieren können. Zu diesem Kosmos gehören auch die Schulen, die wir ebenfalls schon zu Beginn mit einbezogen haben. Wir haben in den letzten Jahren daran gearbeitet, mehr Vernetzung zu kreieren und möchten das in Zukunft sogar noch verstärken.

Wie ist das ZAW ausserhalb dieses einen Wochenendes sichtbar? Gibt es Pläne für andere Events?

Ja, das ist uns wichtig, denn die Kunstszene existiert ja das ganze Jahr über. Wir möchten mehr Interaktion zwischen ihr und anderen Bereichen kreieren. Wir haben unterschiedliche Typologien von «Art Walks» entwickelt, welche das ganze Jahr über angeboten werden. Uns beschäftigt die Idee der Demokratisierung von Kunst sehr stark. Das «Art for Lunch»-Format, das wir nun lancieren, dauert 45 Minuten und gibt einen Einblick hinter die Kulissen der Kunstwelt. Es ist quasi eine andere Form der Ernährung. 

Ein Blick in die Zukunft: Was erhoffen Sie sich und was ist Ihre grösste Sorge?

Das Publikum von morgen ist die digitale Generation. Deswegen hoffe ich, dass die Qualität des Webs steigt. Denn das Netz ist zwar sehr demokratisch, aber besitzt kaum einen Filter. Meine grösste Sorge ist, dass wir die heutige Diversität verlieren und hilflos einer Nivellierung nach unten beiwohnen. Ich fürchte einen Verlust an Sinnlichkeit in unserer Herangehensweise an die Dinge, die Menschen und das Leben. Aber glücklicherweise sind die Künstler*innen da und ich glaube, dass ihre Stimme mehr denn je getragen und gehört werden muss.

Die Galerie Gregor Staiger zeigt Arbeiten von Vittorio Brodmann. (© Vittorio Brodmann, 2020)

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