Ein Zweckbau als Inspirationsraum

Manuel Pestalozzi
1. October 2019
Die Casa Palü steht direkt am Fluss Maira. (Foto © Gataric Fotografie)

In der Stadt, auf dem Land, in der Agglomeration, am Seeufer – die Angebotspalette der Stiftung Ferien im Baudenkmal ist eindrücklich. Sie belegt einerseits die Wertschätzung, welche historische Bauten überall in der Schweiz erfahren; andererseits ruft sie die grosse Vielfalt unterschiedlicher traditioneller Konstruktionen und Ausstattungen in Erinnerung, die hierzulande anzutreffen sind. Und beeindruckend ist auch die Unmenge an Geschichten und Typologien, welche sich hinter den diversen Destinationen verbergen. In diesem Sinn hebt sich die Stiftung deutlich ab von den Paradores in Spanien oder der Gruppe Pousadas de Portugal, denen es zwar gleichfalls um den Erhalt historischer Bauten mittels Gastbetrieben geht, die aber vorwiegend auf die Umnutzung repräsentativer Bauten auf Luxusniveau setzen.

Stimulierender Zweckbau

Herrschaftlich ist auch der neueste Zuwachs im Portfolio der Stiftung Ferien im Baudenkmal, die Casa Palü in Stampa, beileibe nicht. Bei dem Bau handelt es sich um eine einstige Gerberei, die im 17. Jahrhundert in der Bergeller Gemeinde errichtet wurde. Er steht direkt am Ufer des Flusses Maira und gehörte zu einem kleinen, frühindustriellen Gewerbegebiet im Ortsteils Palü (der Name leitet sich übrigens vom lateinischen Wort palus ab, das Sumpf bedeutet). An der Rückseite des Hauses verlief ein Kanal, an dem weiter aufwärts Sägereien und Mühlen betrieben wurden. Die postindustrielle «Karriere» des Hauses begann 1964. Damals kaufte der bekannte Kunstmaler Varlin – oder mit bürgerlichem Namen Willy Guggenheim – das zu diesem Zeitpunkt seit rund zehn Jahren leerstehende Gebäude. Er benutzte es als Ferien- und Gästehaus. Der Schriftsteller Hugo Loetscher arbeitete in der Casa Palü längere Zeit an seinem Roman «Der Immune» (2004). Auch der Fotograf und Verleger Ernst Scheidegger verbrachte oft seine Ferien dort.

Sie wollen einmal schlafen wie einst Hugo Loetscher? Oder Mussestunden verbringen wie Varlin? Das ist nun möglich. Die Stiftung Ferien im Baudenkmal stellt über das ganze Jahr ein Doppelzimmer, ein Zimmer mit einem Doppel- und Einzelbett sowie ein Einzelzimmer mit Bettsofa zur Verfügung. Ein Babybett gibt es auf Anfrage. Die Gäste erwartet ein historischer Zweckbau. Dessen ältester Teil besteht aus drei Stockwerken mit dickem Mauerwerk, das den später erweiterten Ursprungsbau umreisst. Im Keller befindet sich heute noch ein grosser Steintisch. Als das Haus noch als Gerberei genutzt wurde, diente er wohl als Arbeitstisch. Eine Etage höher, im heutigen Erdgeschoss, befindet sich die «Stüa», ein grosser, mit Fichtenholz getäferter Raum mit einem gemauerten Ofen. Die Fenstereinfassungen, die Tür und andere Zierelemente sind aus Arvenholz, der Fussboden besteht aus breiten Lärchenholz-Brettern.

In der «Stüa» (Foto © Gataric Fotografie)

Die ursprüngliche schmale Treppe hinter dem Ofen, die durch eine Klappe in das darüberliegende, ebenfalls getäferte Schlafzimmer führt, ist noch vorhanden. Der jüngere Teil des Hauses wurde vermutlich anfangs des 19. Jahrhunderts erbaut. Grösstenteils besteht er aus einer Holzkonstruktion in Strickbauweise, die ummauert wurde. Sie ist in einigen Zimmer noch zu sehen. Die beiden Bauetappen sind an der Aussenfassade gut abzulesen. Moderne Küchen- und Sanitäreinrichtungen ergänzen den historischen Baubestand.

Die Zimmer vermitteln trotz der sanften technischen Aufrüstung des Gebäudes eine gute Idee von historischen Wohn- und Komfortstandards. (Foto © Gataric Fotografie)

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