Neue Wohnwelten bei Vitra

Susanna Koeberle
25. September 2020
Das amerikanische Büro Charlap Hyman & Herrero hat ein grünes Rundumgefühl kreiert. (Foto: Clemens Poloczek © Vitra)

An den Details dieser Interieurs kann man sich kaum sattsehen. Das anregende Durchstreifen und freudige Entdecken beginnt schon in den obersten Räumlichkeiten des VitraHauses, dem so genannten Loft. Hier hat das US-amerikanische Architekten- und Designerduo Charlap Hyman & Herrero eine wunderbare Wohnwelt geschaffen, die dicht an filmischen und literarischen Referenzen ist – von Antonioni über Huysmans bis zu Cocteau. Viele der fast surreal anmutenden Objekte wurden eigens für den Raum entworfen oder zusammengesucht. Vitramöbel durften dabei natürlich nicht fehlen, schliesslich ging es bei dieser Übung auch darum, eine Markenbotschaft zu vermitteln und die Beratung der Kund*innen zu optimieren. Dass dieser neue Auftritt im VitraHaus so divers und fast etwas schräg daherkommt, ist die Stärke dieser Inszenierung. Schon die mit waldgrünem Spannteppich bezogenen Wände erzeugen eine Mischung aus Geborgenheit und seltsam entrücktem Kokongefühl, so als würden wir uns hier in einer Art Parallelwelt befinden. Viele Menschen (zumindest solche, die ein Dach über dem Kopf haben) haben die Ambivalenz solcher Gefühle während des Lockdowns am eigenen Leib erlebt. Die Aufgabe unserer Wohnräume trat in dieser Zeit verstärkt in unser Bewusstsein. Was braucht es, damit wir uns zu Hause fühlen? Was müssen Räume alles können? Wie gestalten wir sie? 

Das VitraHaus wird zum Experimentierfeld des Wohnens. (Foto: Lorenz Cugini © Vitra)

Die beiden Designer reagierten mit ihrer Inszenierung auf die besonderen Dimensionen der Innenräume und schufen zugleich eine eigenständige und vielgestaltige Welt mit ihren persönlichen Vorlieben – eine Art Schatzkiste von Gegenständen, die sie begleiten und inspirieren. Denn schliesslich sollen ja auch die Besucher*innen dazu angeregt werden, ihre Persönlichkeit und Wünsche in den eigenen vier Wänden zu verwirklichen. Oder ganz prosaisch ausgedrückt: Sie sollen dazu animiert werden, so einzukaufen, dass sie sich mit ihren Wohnräumen identifizieren können. Meist geschieht das ja ganz instinktiv. Allerdings stehen wir heute vermehrt unter dem Druck, Kurator*innen unseres eigenen Lebens zu werden. Und dieser Stress macht auch bei der Einrichtung nicht halt. Wir werden auch auf Social Media bombardiert mit Bildern «idealer» Wohnungen oder gar Häusern. Blogs aller Couleur erfreuen sich grosser Beliebtheit. So gesehen ist es sicher clever, keine aseptischen Showrooms zu präsentieren, sondern auf ausgefallene Kombinationen und charakterstarke Objekte zu setzen, das macht immerhin Mut zur «Eigenständigkeit» (das ist natürlich ein grosses Wort, das auch schnell zum blossen Marketingtool verkommen kann). 

Connie Hüsser und Till Weber zeichnen für das Gesamtkonzept und die Neugestaltung des VitraHauses verantwortlich. (Foto: Lorenz Cugini © Vitra)

Diese Tendenz unterstreicht auch die Auswahl an Drittprodukten und das Styling von Connie Hüsser und Till Weber, welche für das Gesamtkonzept und die Neugestaltung des VitraHauses verantwortlich zeichnen. Man spürt beim Rundgang ganz deutlich, dass die Räume bis ins Detail kuratiert wurden und auch hier zeigt sich, dass eine Ergänzung der Stammprodukte mit «fremden» Entwürfen durchaus eine fruchtbare und kreative Strategie sein kann, Kundenbindung zu betreiben. Wenn Hüsser Objekte ihrer Schützlinge präsentiert, deren Stücke fortan auch im VitraHaus zu kaufen sind, spürt man ihre Leidenschaft für das Vernetzen und Fördern von Designschaffenden, die auch abseits der grossen Bühnen werken. Wohl auch für dieses beherzte Engagement wurde der Stylistin und Netzwerkerin letztes Jahr der Grand Prix Design des Bundesamtes für Kultur verliehen. Die «Collagen» und «Mindsets» sind auf verschiedene Kundenprofile zugeschnitten und schaffen lebendige Atmosphären. Der Entwurf von Herzog & de Meuron beherbergt verschiedene Raumtypologien und erlaubt es, jeweils einen neuen Fokus zu setzen. Es ist wohltuend, dass die unterschiedlichen Bereiche klar voneinander getrennt werden und dennoch die gleiche Sprache sprechen. Eher intime Räume mit Ruhezonen für Beratungsgespräche wechseln sich ab mit offenen Raumgefügen, bei denen man auch einen Blick in die Landschaft erhaschen kann. Auch die nähere Umgebung des HdM-Hauses wurde neu gestaltet. Zu den Neuerungen auf dem Vitra Campus gehört ein Garten des Niederländers Piet Oudolf, der nächstes Jahr in seiner ganzen Pracht erblühen wird und dann auch gebührend gefeiert werden soll. Das hoffen wir zumindest.

Stimmige Collage aus Fremdprodukten und Vitra Klassikern (Foto: Lorenz Cugini © Vitra)

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