Architektur für alle

Susanna Koeberle
17. octubre 2019
Kengo Kuma stellte in seinem Vortrag auch das Projekt für den Parc des Expositions in Strassburg vor. (Visualisierung: Lunance © Kengo Kuma & Associates)

Schon die Eckdaten sind beeindruckend: 202 Events in 29 Städten, die sich auf einem grossflächigen Gebiet über drei Länder verteilen. Die Veranstaltungen der «Journées de l’architecture/Architekturtage» finden je nach Ort auf Französisch oder Deutsch (oder in beiden Sprachen) statt. Passend zu diesem länder- und sprachübergreifenden Programm lautet das Motto dieses Jahr «Transitions/Übergänge». Die Relevanz dieser Thematik unterstrich auch ein Film mit verschiedenen Statements von Architekt*innen und Politiker*innen, der vor dem gut besuchten Vortrag von Kengo Kuma im Zénith in Strassburg gezeigt wurde. Der japanische Architekt gehört neben Anupama Kundoo und Eduardo Souto de Moura zu den drei geladenen Persönlichkeiten, die am Festival auftraten (letzterer wird zum Abschluss der Tage sprechen). Neben Vorträgen werden bewusst auch interaktive Formate wie Führungen, Fahrradtouren, Spaziergänge oder Diskussionsrunden angeboten. Diese Bandbreite widerspiegelt den Wunsch der Organisatoren (namentlich des europäischen Architekturhauses Oberrhein), ein grosses Publikum für das Thema Architektur zu sensibilisieren. Es herrsche bezüglich der Baukunst ein Mangel an Wissen in der breiten Bevölkerung, sagte Marie Lach, die neue Leiterin des Architekturhauses, vor dem Vortrag Kumas. Alltägliche und vertraute Orte der Übergänge wie Brücken, Grenzposten, Friedhöfe oder Kliniken machen die Disziplin Architektur für eine Öffentlichkeit lesbar. Das Thema Übergänge ist vielschichtig wie dankbar und schafft Bezüge zu aktuellen Debatten, die Architektur in einen grösseren Kontext einbetten. 

Kengo Kuma versteht auch etwas von Storytelling. (Foto © J. C. Carbonne)

Auch Kengo Kuma, der nach einer musikalischen Darbietung durch das Bläserensemble der INSA Strasbourg (Institut National des Sciences Appliquées) mit einer Übersetzerin vor das Publikum trat, ging bei seinem auf Japanisch gehaltenen Vortrag von der Thematik der diesjährigen Architekturtage aus. Sein Projekt für das Messegelände (PEX) im Norden der Stadt Strassburg trägt den Namen «Lisière», Französisch für Rand, häufig für Waldrand verwendet; es soll 2022 fertiggestellt werden. Der Mensch käme aus dem Wald und er wolle gerade in einer Zeit, in der die meisten Menschen in der Stadt leben würden, wieder dahin zurück, sagte Kuma; er selber sei sehr gerne im Wald. Sogleich erschienen in meinem Kopf Bilder aus den Animes von Hayao Miyazaki, in denen der Regisseur schon früh auf das zerstörerische Einwirken des Menschen auf die Natur aufmerksam gemacht hatte. Unsere Beziehung zur Natur ist eben ambivalent. Der naturnahe Architekt beobachtet gerade auch in Japan den Verlust dieser archaischen Beziehung zum Wald mitsamt seinen shintoistischen Mythen, wie er später an einem Beispiel erläuterte. Mit seiner Architektur wolle er die Welt des Waldes neu erfahrbar machen, sagte Kuma. Das Material Holz ist dabei sein effektivstes Mittel, doch auch die besondere Handhabung des Lichts, das er gezielt filtert, schafft dieses «Waldgefühl». Das soll auch beim PEX so sein. 

Visualisierung: Lunance © Kengo Kuma & Associates
Für Gross und Klein

In seinem Vortrag zeigte der Architekt an beinahe zwanzig Beispielen aus den letzten Jahren anschaulich, dass Holz für ihn mehr ist als ein dekoratives Element. Beim Hiroshige Museum im japanischen Bato etwa stammt das Holz für den Bau aus dem nahe gelegenen Wald. Viele japanische Dörfer hätten sich früher in der Nähe eines solchen befunden. Der Wald sei wie eine Gottheit verehrt worden, wie die vielen Schreine darin beweisen, führte Kuma aus. Diese würden heute aber zusehends verfallen. Mit einem Durchstich durch das Gebäude in Richtung Wald markiert der japanische Baukünstler eine Art Wegweiser zu diesem vergessenen Lebensraum. Beim Entwurf liess er sich von einer bekannten Arbeit des Meisters des japanischen Holzschnitts inspirieren, der übrigens auch grossen Einfluss auf europäische Künstler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie auch auf den Architekten Frank Lloyd Wright ausübte. Das verwendete Holz schafft materiell und ideell eine neue Beziehung zur Landschaft.

Auch im städtischen Kontext setzt Kengo Kuma häufig Holz ein. Sogar bei seinem Entwurf für eine Starbucks-Filiale in Daizafu (Fukuoka) liess er sich nicht davon abhalten, eine komplexe Holzkonstruktion zu verwenden, obwohl die Bauarbeiten statt der üblichen zwei Monate deswegen zwei Jahre beanspruchten. Was am Anfang bei der Starbucks-Leitung für Ärger sorgte, erwies sich nachträglich als voller Erfolg. Das Café sei ein Renner auf Instagram, erzählte der Architekt lachend. Auch bei diesem Bau hat die Holzkonstruktion eine tragende Funktion und dient nicht einfach als Behübschung. Geschickt verstand es Kuma entlang eines einfach verständlichen Gegenstandes auch ein fachfremdes Publikum für seine Ausführungen zu begeistern. Der Typ versteht nicht nur etwas von Architektur, sondern auch von Storytelling. Dass das Bauen mit Holz nicht nur nachhaltig und geschichtsträchtig ist, sondern auch den seismischen Anforderungen des Insellandes standhält, erläuterte er zum Schluss am Beispiel seines bis anhin grössten Projektes, dem neuen Nationalstadion für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Das Prinzip der Stapelung wird auch bei Pagoden verwendet. Viele dieser Bauten haben Erdbeben überstanden. Im Kleinen können junge Architekturbegeisterte (oder Junggebliebene) diese Technik auch bei den von Kengo Kuma entworfenen dreieckigen Spielklötzen testen. Die «Tsumiki» (Spielklotz auf Japanisch) seien sein kleinstes Architekturprojekt. Ganz ohne Starallüren und mit Sinn für Humor beantwortete Kuma nach der Präsentation einige Fragen aus dem Publikum. So zugänglich hatte man sich den Architekten nicht vorgestellt.

Das Haus am Kohlenberg von Diener & Diener wurde 1995 fertig gestellt. (Foto: Cedric Christopher Merkli)
Die Architekturtage in Basel

Das Besondere an der Organisation der Architekturtage ist auch die offene Haltung gegenüber den vielen Partnerinstitutionen, die weitgehend unabhängig agieren. Das Zustandebringen eines so reichhaltigen Programms verlangt grosses Engagement, gute Koordination und nicht zuletzt finanzielle Verbündete. Eine ungewöhnliche Architekturvermittlungs-Idee hatten die Initiatoren der Architekturdialoge Basel. Während der Architekturtage werden in der Stadt fünf Mittagsführungen angeboten, zu denen heuer Gäste aus den Performing Arts eingeladen wurden. Die Veranstaltungen thematisieren den Übergang zwischen öffentlichem und privatem Raum. Den Anfang machte die junge Luzerner Künstlerin Géraldine Diem beim Haus am Kohlenberg von Diener & Diener Architekten. Das sechsgeschossige Eckhaus beim Barfüsserplatz hat eine Grundfläche von lediglich 65 Quadratmetern; es wurde 1995 fertig gestellt, das ist schon eine Weile her. Die Künstlerin hat denselben Jahrgang, bei ihr würde man allerdings von einer jungen Kreativen sprechen. Zeit bemisst sich bei Häusern und Menschen offenbar nicht auf dieselbe Weise. Diem machte während ihrer Sound- und Tanz-Performance im Treppenhaus die engen räumlichen Verhältnisse des Baus erfahrbar. Sie versuchte dabei, das Thema Eckhaus und den Aggregatzustand von Beton zu visualisieren. Obwohl die Räumlichkeiten für eine Aufführung denkbar ungünstig waren, war der Besuch dieses Formats durchaus lohnenswert. Der fächerübergreifende und erlebnisorientierte Zugang ist erfrischend anders und lockte ein gemischtes Publikum an. Architektur geht alle etwas an – das machen die Architekturtage mit ihrem facettenreichen Programm besonders deutlich. 

Die Künstlerin Géraldine Diem macht in ihrer Performance die räumlichen Verhältnisse des Baus erfahrbar. (Foto: Cedric Christopher Merkli)

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