Monumental und tiefschürfend: Monografie zu den Arbeiten Roger Boltshausers

Elias Baumgarten
21. octubre 2021
Foto: Elias Baumgarten

Oft sind Monografien zur Arbeit von Architektinnen und Architekten prächtige Bücher. Ihre Gestaltung ist sehr auf Ästhetik und Homogenität bedacht, die Druckverfahren sind meist edel, die Materialien handverlesen und nicht selten kostspielig. Doch zu lesen gibt es vielfach wenig: In aller Regel handelt es sich, salopp gesagt, um Bilderbücher. Die Projekte werden nur knapp beschrieben und was ihre theoretische Verortung angeht, ist wenig Fleisch am Knochen. Ein umfassendes Interesse an Kunst und Kultur, Geschichte, Politik und Gesellschaft wird nicht immer deutlich. Freilich gibt es tolle Ausnahmen: Die Monografie von Axel Simon zu den Arbeiten von Adrian Streich erhält zum Beispiel durch ein lesenswertes Interview Tiefgang und gewährt einen umfassenden Einblick in die Denkwelt des Architekten. Im ziemlich massiven Buch «Baumschlager Eberle Architekten 2010–2020», das Dietmar Eberle mit dem Architekturtheoretiker und -historiker Eberhard Tröger herausgegeben hat, wird neben Essays ebenfalls das Interviewformat genutzt, um über eine inspirierende Projektparade entscheidend hinauszugehen. Und nun ist ausgerechnet beim Triest-Verlag, der doch eigentlich gar keine Monografien im Programm hat, die erste über das Werk Roger Boltshausers erschienen. Das von Martin Tschanz herausgegebene Buch – weit über 500 Seiten stark, rund 22 mal 30 Zentimeter gross und über einen Zeitraum von nicht weniger als zehn Jahren geplant und schliesslich umgesetzt – bietet weit mehr, als man sonst von einer Architekten-Monografie erwarten darf. Es ist Theoriewerk, Einordnung, Diskursöffner, Werkschau, Lehrbuch und Kunstprospekt in einem. 

Foto: Elias Baumgarten
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Umfassend erklärt

Das Buch beginnt mit einer Einordnung und Besprechung des Werks des Architekten und Lehrers. Man begreift, dass Roger Boltshauser ein Gestalter mit starker Haltung ist, weshalb die Monografie auch hinter anderen Publikationen zu ihm besonders wichtigen Themen zurückstehen musste, etwa dem Buch «Pisé – Stampflehm. Tradition und Potenzial» (mit Cyril Veillon und Nadja Maillard, Triest, 2019). Man erkennt bei der Lektüre der Einführung, dass Boltshauser einen eigenen architektonischen Ansatz gefunden hat: Er grenzt sich sowohl von der Abstraktheit der Moderne als auch der – vermeintlichen – Beliebigkeit der freien Formen ab. Zudem spricht aus seinen Bauten zwar ein Interesse an der Architekturgeschichte, doch er spielt nicht mit historischen Referenzen, sondern schält «strukturelle Prinzipien» heraus. Und schliesslich spielt die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung eine grosse Rolle – Boltshauser treibt der Klimawandel um, er arbeitet schon viele Jahre an der Entwicklung einer zukunftsfähigen Architektur, ist heute einer der wichtigsten Schweizer Experten für Lehmbau. Damit wird auch klar, warum seine Architektur momentan von vielen als relevant und der eingehenden Beschäftigung wert erachtet wird – auch wenn manche Bauten durchaus kritisiert werden wie die Häuser auf dem Baufeld F der Zürcher Europaallee oder der am Stimmvolk gescheiterte Entwurf für ein Ozeaneum im Basler Zoo. Einzig das Format des Buches wird hier zum Nachteil: Grösse und Gewicht machen es unhandlich und als Lesebuch unpraktisch. Ob man zwei Teile hätte gestalten können?

Foto: Elias Baumgarten
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Projektschau mit grosser Detailschärfe

Die gezeigten Projekte werden sehr genau vorgestellt – eine weitere Stärke des Buches. Es gibt lange Texte, die über oft etliche Seiten ihre Entstehungsgeschichte und Gestaltung erläutern. Sie sind faktenorientiert und weit von den üblichen Lobeshymnen entfernt. Hinzu kommen jeweils Zeichnungen, Pläne und viele Fotos – nicht nur wenige ausgewählte wie leider sonst oft. So lassen sich die Bauten in allen Facetten genau erfassen, eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Architektur Roger Boltshausers und seines Teams wird möglich. Man erfährt zum Beispiel, dass das Haus Rauch zunächst als Volumen quer zum Hang geplant war und der Entwurf dann angepasst wurde. Anhand von Text und Bildern kann man den Bauprozess und die technischen Finessen, aber auch die ästhetischen und räumlichen Qualitäten genau nachvollziehen. Andrea Gassner und Christoph Walser (Atelier Andrea Gassner) ist es gelungen, das heterogene Bildmaterial zu einem überraschend konsistenten Ganzen zusammenzubringen. Dazu entwickelten sie ein Layout mit engem Raster, das den vielen Bildern stets genug Platz zum Wirken lässt.

Foto: Elias Baumgarten
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Keine Architektur ohne Kunst, keine Kunst ohne Architektur

Schliesslich finden sich im Buch viele von Roger Boltshausers freien künstlerischen Arbeiten – die Zeichnungen wurden erstmals publiziert. Sie sind für ihn, der sich lange mit dem Gedanken trug, Künstler zu werden, eine wichtige Annäherung an die Architektur; und das, obschon sie zunächst gar keine klassischen Architekturzeichnungen zu sein scheinen: Die Bilder sind keine Perspektiven, die sich mit Raumwirkung auseinandersetzen, es sind keine Überlegungen zur Konstruktion, keine hingeworfenen Gedanken wie bei Wolf D. Prix und auch keine Proportionsstudien, wie man sie beispielsweise von Peter Märkli kennt. Aus den Arbeiten, die Boltshauser gerne auf allerhand Briefumschlägen anfertigt, spricht sein Interesse an der Kunst von Joseph Beuys, Anselm Kiefer und Arnulf Rainer, aber auch an jener der Vertreter des Schweizer Neoexpressionismus. Ein liebevolles Detail: Die Gestaltung von Buchdeckel und Bindung greift das Motiv des Briefumschlags mit Zeichnung auf. Das zeigt, wie wichtig die Kunst für Roger Boltshauser ist. Architektur kann bei ihm nicht ohne sie existieren und umgekehrt.

Foto: Elias Baumgarten
Roger Boltshauser

Roger Boltshauser
Martin Tschanz (Hrsg.)
Mit Beiträgen von Jonathan Sergison und Jan de Vylder sowie einem Essay zur Nachhaltigkeit von Roger Boltshauser und Jules Petit

219 x 300 Millimeter
538 Páginas
1000 Illustrations
Leinenband
ISBN 9783038630579
Triest
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