Respektvoll weiterbauen – zusätzliche Räume für das kirchliche Gemeinschaftsleben

MSA Meletta Strebel Architekten AG
18. mai 2023
Blick von Südwesten auf die umgebaute und erweiterte Kirche. (Foto: Roger Frei)
Herr Strebel, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Als Ausgangslage hatten wir einerseits den Bestand, eine aussen wie innen über Generationen im Ausbaudetail stark veränderte reformierte Kirche aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, entstanden zwischen den Gedankenwelten von Klassizismus und Historismus. Dabei ist der Einfluss aus dem süddeutschen Raum – wohl auch von Heinrich Hübsch («In welchem Style sollen wir bauen?») – nicht zu übersehen. Andererseits hatten wir es mit einer Kirchgemeinde zu tun, die bereits seit Generationen um einen Ausbau dieser Kirche rang – und bis anhin noch kein Projekt umsetzen konnte.

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fand das kirchliche Gemeinschaftsleben vorwiegend im Inneren der Kirche statt. Doch bereits in der Nachkriegszeit wurde es immer komplexer, und es stellten sich neue räumliche Anforderungen: Nutzungen wie spontaner Austausch, Treffen vor und nach dem Gottesdienst, Fremdnutzungen wie Konzerte, Ausstellungen, Filmvorführungen oder Vorträge, Kinderbetreuung, aber auch sanitäre Angebote riefen nach einem grösseren Begegnungsraum als Ergänzung zur bestehenden Kirche.

Der Innenraum, ursprünglich mit rückwärtiger Empore und chorseitiger Kanzelwand in einem räumlichen Gleichgewicht, geriet mit den Interventionen aus den 1950er-Jahren aus dem Lot. Die Einrichtung mit fixen Kirchenbänken genügte ausserdem den heutigen Anforderungen nicht mehr: Die Zahl der Kirchgänger*innen schwankt stark, und unterschiedliche Formen der Gottesdienstgestaltung verlangen nach mehr Flexibilität. 

Fassade und Sockel des neuen Anbaus (Foto: MSA Architekten AG)
Der Innenraum der Kirche mit Blick zum Chor (Foto: Roger Frei)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Der Bestand: stark, baumeisterlich, mureal, introvertiert. Er dient den kirchlichen Ritualen, der Konzentration auf deren Inhalte. Und der Zubau: leicht, offen, transparent. Er dient dem kirchlichen Gemeinschaftsleben, verbindet mit dem Alltag, mit der Aussenwelt und in unserer Situation auch mit der Natur; Themen also, die wir unter anderem bei Frank Lloyd Wright, im nordischen Kulturraum und im amerikanischen Westen kennenlernten.

Im Innenraum lag die konzeptionelle Referenz bei der Originalfassung, sprich unser Anspruch war, das innenräumliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Dazu haben wir die Chorwand als Gegenüber zur Orgelempore gestaltet und dadurch die räumliche Mitte gestärkt. Dies eröffnet vielfältige Möglichkeiten für Feiern in kleineren Gruppen. Gestalterisch setzten wir bei der Materialisierung des vorgefundenen Bestands in naturfarbenem Tannenholz an und führten den Rhythmus der vertikalen Orgelpfeifen so weiter, dass er nun den ganzen Raum fasst.

Der vertikale Rhythmus der Orgelpfeifen wurde bei der Neugestaltung konsequent fortgeführt, sodass vertikale Elemente nun den ganzen Kirchenraum fassen. (Foto: MSA Architekten AG)
Wie haben Sie auf den Ort reagiert?


Die Kirche in der Sankt Gallischen Diaspora folgt einem klassischen Modell: Es handelt sich um eine hohe Hallenkirche, Front und Adresse sind auf die heute stark befahrene Zürcherstrasse und den See orientiert, Kanzel und Orgelempore wurden auf den landseitigen Friedhof ausgerichtet. Die Komposition ist axialsymmetrisch. Der Friedhof wurde später parallel zur Kirchenachse beidseitig erweitert und bot sich als kleiner Parkraum geradezu an. Die einfache Grundrissgestaltung folgt den Kompositionsregeln des Klassizismus. Sie ist konzeptionell auf einem Raster mit angenäherten Würfeln und Quadern aufgebaut – eine Grundhaltung, die noch heute die ruhige Ausstrahlung des Ensembles bestimmt.

Das klassische Grundmuster, die Introvertiertheit der Hallenkirche und den durchgrünten Parkraum erachteten wir als geradezu ideal, um die Kommunikation des kirchlichen Lebens gegen aussen und die sinnliche Konzentration im Innern architektonisch zu thematisieren. Darauf aufbauend entstand unser Entwurf schliesslich aus dem Fortführen des Rastergedankens und der Auseinandersetzung mit den Gegensatzpaaren von Massivbau und Leichtbau, Baumeisterlichkeit und Holzbau, innen und aussen, Innenraum und Landschaft. Hinsichtlich der letztgenannten Gegensatzpaare zogen wir einen Landschaftsarchitekten bei, der den Ball aufnahm und mit uns harmonisch weiterspielte.

Das Innere des Mehrzweckraums im Zubau (Foto: Roger Frei)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag erhalten oder direkt erteilt bekommen?


Über den Zeitraum von drei Generationen suchten die Nutzer beziehungsweise Auftraggeber, die mit eindrücklicher Konsequenz basisdemokratische Entscheidungen fällten, nach einer Lösung für ihr Anliegen. Es wurde viel diskutiert und geplant. Es fanden mehrere Wettbewerbe mit renommierten Planern statt, doch zur Umsetzung fand keine Arbeit. Nach dem Neustart entwickelte sich unter Einbezug vieler Nutzergruppen ein Dialog, der über Jahre andauerte und sich ganz langsam dem Ziel näherte: Bedürfnisse wurden formuliert und verworfen, finanzielle Möglichkeiten ausgelotet, Entscheide zu Materialisierungs- und Gestaltungsfragen abgeglichen. Der hohe Grad an Mitsprache und die damit verbundene Identifikation der Menschen mit dem Projekt wären in einem Konkurrenzverfahren nicht zu erreichen gewesen. Mit diesem besonderen Weg zur Realisation schaffte es die Kirchgemeinde.

Sitzecke im Zubau (Foto: Roger Frei)
Erschliessung der Nebenräume (Foto: Roger Frei)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


Am Anfang standen ein grosser Katalog mit Wünschen – und eine Kostenvorstellung. Dazu wurde eine stattliche Anzahl an Varianten skizziert und diskutiert. Zum Befreiungsschlag wurde schliesslich eine Recherche, denn viele Kirchgemeinden standen und stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Zur Lösung haben sie ganz unterschiedliche Projekte hervorgebracht. So reisten wir mit der Kommission über einen ganzen Tag durch die nahe und weitere Umgebung. Und an jenem Abend wussten endlich alle, was sie gerne hätten und was nicht. Zugleich war das Geld knapp. Und so wurde entschieden: Entweder machen wir es nun richtig – oder wir verzichten.

Als neue Referenz entstand ein dem inzwischen Realisierten sehr nahes Konzept, die Kosten wurden geschätzt und die Finanzierung neu aufgegleist. Man entschied sich, loszulegen. Eine böse Überraschung gab es dann jedoch nach der detaillierten Kostenermittlung unter Berücksichtigung aller Randbedingungen vom Bestand bis zu den aktuell gültigen Vorschriften: Wieder waren die Kosten viel zu hoch, wieder musste gerechnet werden, wieder wurden Möglichkeiten zur Optimierung – sprich zum Verzicht – diskutiert. Das angepasste Projekt wurde erneut auf seine Machbarkeit hin überprüft. Dann fiel die mutige Entscheidung für die Umsetzung. Daraufhin hatte das Projekt noch eine Volksabstimmung zu bestehen. Doch auch diese Hürde konnte genommen werden.

In diesem Umfeld schrumpfte das Projekt, wurde in vieler Hinsicht «optimiert». An alle besprochenen Einsparungen, das sei hier ausdrücklich erwähnt, hielt man sich konsequent bis zum glücklichen Ende! Das zugrunde gelegte Konzept wurde jedoch nie verändert.

Situation (© MSA Meletta Strebel Architekten AG)
Grundriss (© MSA Meletta Strebel Architekten AG)
Schnitt (© MSA Meletta Strebel Architekten AG)
Bauwerk
Um- und Zubau evangelisch-reformierte Kirche in Rapperswil (SG)
 
Standort
Zürcherstrasse 40, 8640 Rapperswil (SG)
 
Nutzung
Evangelisch-reformierte Kirche
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Rapperswil-Jona
 
Architektur
MSA Meletta Strebel Architekten AG, Zürich und Luzern
Ernst Strebel, David Menti, Anna Ebneter, Sandra Keyssner, Franz Limberger, Paolo Kölliker, Kwangman Park, Michael Hauri und Thomas Leder
 
Fachplaner 
Landschaftsarchitektur: Blau und Gelb, Landschaftsarchitekten, Rapperswil SG Beat Wyss und Michael Susewind
Bauingenieur: HKP Bauingenieure AG, Zürich
Ernst Brunner
Holzbauingenieur: Pirmin Jung, Ingenieure AG, Sargans
Lukas Wolf und Philipp Bacher
Elektroingenieur: Marquart Elektroplanung und Beratung AG, Winterthur 
Pascal Wüst und Urs Gschwend
HLS-Ingenieur: 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur 
Kevin Holbe und Marcel Suppanz
Bauphysik: BWS Bauphysik AG, Winterthur
Christoph Keller
Beleuchtungsplanung: Vogt Partner, Winterthur
Andreas Gut
 
Jahr der Fertigstellung
2021
 
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 4.4 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2
CHF 3.5 Mio.
 
Gebäudevolumen (gemäss SIA 416)
8'060 m3
 
Fotos
Roger Frei, Zürich
MSA Architekten AG

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