Aus Jakarta in die deutsche Provinz

Eduard Kögel
7. mars 2023
Im Mai dieses Jahres feiert Jan Beng Oei seinen 90. Geburtstag. Auch seine drei Söhne wurden in Deutschland erfolgreiche Architekten. (Foto © Steffen Oei)

Vor fünfzig Jahren starb Hans Scharoun (1893–1972), der in seiner Genialität immer auch etwas eigenbrötlerisch blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterrichtete er an der TU Berlin die Nachkriegsgeneration in seinem besonderen Architekturverständnis des Neuen Bauens, das von Frank Lloyd Wright inspiriert war. Daneben betrieb er sein eigenes Büro, in dem viele junge Architekt*innen arbeiteten. In einer Artikelserie stellt Eduard Kögel, ein Experte für deutsche und chinesische Architektur, einige seiner ehemaligen Mitarbeitenden und Studierenden vor, die aus unterschiedlichen Gründen in seinem grossen Schatten blieben.

 

Eine Auswahl der realisierten Projekte von Jan Beng Oei

  • Jakob-Andreä-Haus, Waiblingen, 1964/65–1968
  • Wohncity, Fellbach, 1966–1976, als Arbeitsgemeinschaft EOS
  • Pavillon der Kirchenpflege, Fellbach, 1972
  • Lindenhalle Ehingen, 1978–1984, als Jan Beng Oei + Partner
  • Bürgerzentrum Waiblingen, 1979–1985, als Jan Beng Oei + Partner
  • Kongresshotel und Kulturzentrum Palatin, Wiesloch, 1988–1992, als Jan Beng Oei + Partner

Jan Beng Oei (*1933) begann sein Architekturstudium 1952 in Bandung. Als Student gewann er an der Hochschule einen Wettbewerb zum Thema vorgefertigter Wohnungsbau. Als ersten Preis hatte die amerikanische Asia Foundation ein einjähriges Stipendium in den Vereinigten Staaten ausgelobt. Oei ging nach Kalifornien und erweiterte seine Erfahrungen mit Praktika, zum Beispiel Anfang 1957 für zwei Monate bei Victor Gruen Associates in Los Angeles. Danach ging er für einige Wochen zu Frank Lloyd Wright (1867–1959) nach Taliesin West im US-Bundesstaat Arizona. 

Später wechselte Jan Beng Oei an die Technische Hochschule Delft, wo schon viele andere indonesische Kollegen studierten. Aufgrund politischer Spannungen zwischen den Niederlanden und Indonesien ging er jedoch alsbald zusammen mit acht Studienkollegen an die TU Berlin, vor allem, weil sie von Hans Scharoun begeistert waren. Zu dieser Gruppe und ihrem Protagonisten Herianto Sulindro fand gerade zur Jahreswende eine Ausstellung in Jakarta statt.

Filmstudio Indonesia, 1960, Diplomarbeit (Foto: © Jan Beng Oei, Architekturmuseum der TU Berlin)
Siegerprojekt des Wettbewerbs für das Hallenbad von Fellbach, 1963 (Grundriss: © Jan Beng Oei)
Vom Studium in Berlin zu den ersten eigenen Projekten

Jan Beng Oei erhielt sein Diplom im April 1960 für den Entwurf eines Filmstudios in Indonesien bei Professor Kurt Dübbers. Schon während des Studiums arbeitete er für die Professorin und Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher (1900–1985) und für Hans Scharoun; für Letzteren baute er für dessen bekannte Philharmonie Arbeitsmodelle im Massstab 1:20. Nach dem Diplom vermittelte Scharoun den jungen Architekten Oei in einer Art Ringtausch nach Stuttgart ins Büro des chinesisch-stämmigen Chen Kuen Lee (1915–2003), und von dort wechselte Stephan Heise ins Büro Scharoun.

Schon bald machte sich Jan Beng Oei selbständig und beteiligte sich an öffentlichen Wettbewerben. 1963 gewann er bei jenem für das Hallenbad von Fellbach den ersten Preis mit einem polygonalen und vielgestaltigen Baukörper. Die Stadtverwaltung erklärte: «Der Entwurf von Jan Beng Oei ist ohne Zweifel von hoher architektonischer Qualität.» Aber dennoch beauftragte sie den zweiten Preisträger.

Jakob-Andreä-Haus, Waiblingen, 1968 (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)
Vortragssaal im Jakob-Andreä-Haus (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)

Mit einem weiteren gewonnenen Wettbewerb für das Jakob-Andreä-Haus in Waiblingen, ein Gemeindezentrum der evangelischen Kirche, konnte er bis 1968 sein erstes Projekt realisieren. Dies ermöglichte ihm, sein eigenes Büro aufzubauen. Da die Bauten trotz zwischenzeitlich erfolgter Wärmedämmung weder technisch noch funktional den heutigen Bedürfnissen und Anforderungen entsprechen, wurde inzwischen ein Wettbewerb für Umnutzungskonzepte durchgeführt. Doch obwohl nun neue Ideen für das Ensemble vorliegen, steht es vor dem Abriss.

Die sogenannte Wohncity in Fellbach entstand als Projekt der Arbeitsgemeinschaft EOS. (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)
Wohncity, Fellbach, 1966–1976 (Schnitt: © Archiv der Stadt Fellbach)
Stadtsanierung Fellbach – im Zeitgeist verhaftet, doch qualitätsvoll

Noch in den 1960er-Jahren bahnte sich das grösste Projekt für Jan Beng Oei an: die Stadtsanierung in seiner neuen Wahlheimat Fellbach. Er setzte das Projekt in der Arbeitsgemeinschaft EOS um. Im Kontext der zwei- bis dreigeschossigen Satteldachhäuser zeugt der zwölf Geschosse hohe Komplex mit einer innen liegenden Mall vom Diskurs um «Urbanität durch Dichte», der damals die Fachwelt beschäftigte. 

Mit einem radikalen Konzept testeten Oei und seine Kollegen hier mit einem gemischt genutzten Stadtbaustein neue urbanistische Ideen, die schon während der Bauzeit in die Kritik gerieten und so heute gewiss nicht mehr möglich wären. Und so titelt die lokale Presse immer noch: «Wie lebt’s sich im umstrittenen Wohnklotz?» Allerdings fällt die Antwort darauf erstaunlich positiv aus. Für die Bewohnenden sind die zentrale Lage in der Stadt und die grandiose Aussicht in das Umland von unschlagbarem Wert.

Front der Lindenhalle in Ehingen (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)
Blick vom Foyer der Lindenhalle in den angrenzenden Park (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)
Die Lindenhalle in Ehingen und das Bürgerzentrum in Waiblingen

Im Jahr 1978 wurde Hartmut Bromberger Partner, und Jan Beng Oeis Büro firmiert fortan als Jan Beng Oei + Partner. Die Kleinstadt Ehingen, die 1980 circa 22'000 Einwohner*innen hatte, liegt an der Donau, ungefähr dreissig Kilometer südwestlich von Ulm. Den Wettbewerb für die dortige Lindenhalle gewann Jan Beng Oei 1978. 

Die Halle hat zwei verschieden grosse Veranstaltungssäle für bis zu 750 Besucher*innen, der grössere ist mit einem Orchestergraben ausgestattet. Die multifunktionale Ausgestaltung erlaubt Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge, Konferenzen, Ausstellungen und Bürgerversammlungen. Zusätzlich sind in den Komplex eine Kegelbahn, ein kleines Hotel und ein Restaurant integriert. Der polygonale Grundriss fächert den Bau zur Landschaft auf, und das grosszügig verglaste Foyer verbindet innen und aussen. Mit einer subtilen Farbgebung in Rosa-, Gelb- und Grüntönen für die Pfosten-Riegel-Konstruktion und den aussenliegenden Verschattungselementen wirkt die Fassadengestaltung filigran.

Kurze Zeit später gewann das Büro den Wettbewerb für das deutlich grössere Bürgerzentrum in Waiblingen (1979–1985). Ähnlich wie in Ehingen liegt im Kern des polygonalen Baukörpers die Kegelbahn, über der sich die grossen, stützenfreien Säle in aufgefächerter Form angliedern. Eine grosszügige Eingangshalle zieht sich vom Erdgeschoss auf das erste Obergeschoss zur Eingangszone der Säle. Das verglaste Foyer erlaubt eine direkte Beziehung zwischen Innenraum und Parklandschaft.

Das Bürgerzentrum in Waiblingen mit einer Brunnenanlage des deutsch-türkischen Künstlers Hüseyin Altin (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)
Grosser Saal des Bürgerzentrums Waiblingen (Foto: © Moritz Bernoully, 2022)
Von links nach rechts: Grundrisse von Eingangs- und Saalebene (© Jan Beng Oei + Partner)
Zu heiter für deutsche Beamte?

Im Februar 1991 gewannen Jan Beng Oei + Partner den Wettbewerb für das Sport- und Badezentrum Ostpreussendamm in Berlin. Zwei Jahre später sollte Baubeginn sein. Doch es kam anders: Die Komposition aus einem Dreieck (Spassbereich), einem Rechteck (Schwimmhalle) und einem Kreis (Sprungtürme) sollte mit weiteren kleinen Bauten und verschiedenen Aussensportanlagen sowie einer Sporthalle eine Architekturlandschaft bilden. Wahrscheinlich war diese spielerische Komposition im preussischen Berlin einfach zu heiter. Jedenfalls wurde das Projekt am Ende wegen angeblichen Geldmangels nicht ausgeführt. Mit der Zurückweisung seines Entwurfs schloss sich für Jan Beng Oei ein Kreis: Seinen ersten erfolgreichen Wettbewerbsbeitrag für das Hallenbad in Fellbach hatten die Stadtväter wegen seiner «sehr lebendig gegliederten» Gestaltung abgelehnt.

Wettbewerbsbeitrag für das Stadtbad am Ostpreussendamm in Berlin, 1991 (Modellfoto: © Jan Beng Oei + Partner)
Integration ausländischer Talente in der Bundesrepublik

Das Werk von Jan Beng Oei findet sich vor allem im süddeutschen Raum und ist ein wichtiger Beitrag zum Bauen der öffentlichen Hand, das über Wettbewerbe gestaltet wurde. Aber sein Werk kann auch Antworten liefern, wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Integration von hoch qualifizierten Emigranten im Bereich der Architektur in Westdeutschland möglich war. Oei befasste sich mit städtebaulichen Projekten sowie öffentlichen Bauten wie Schulen, Sporthallen, Hallenbädern, Rathäusern, kirchlichen Gemeindezentren und Kulturhäusern. Seine Aufträge konnte er in der Regel durch Wettbewerbsgewinne akquirieren.

Jan Beng Oei lieferte mit seinen Bauten einen komplexen und doch eigenständigen Beitrag, der von der Landschaftsgestaltung über den Städtebau bis hin zur Innenarchitektur aus einer Haltung gedacht und umgesetzt ist. Die zwei herausragenden Bauten seines Büros, das maximal 16 Mitarbeitende hatte, sind das Kultur- und Tagungszentrum Lindenhalle in Ehingen sowie das Bürgerzentrum in Waiblingen. Obwohl aus heutiger Perspektive manches Detail und auch das eine oder andere Material dem damaligen Zeitgeist geschuldet scheint, so bleibt doch der lebendige und subtile Raumbezug, der Architektur und Natur zusammen denkt. Die filigrane Fassadengestaltung der Lindenhalle ist über die Region hinaus ein bedeutender Beitrag zum Architekturdiskurs, der auch zeigt, dass neben den damals aufkommenden postmodernen Tendenzen qualitätsvolle Lösungen gefunden wurden, die jenseits marktschreierischer «Signature Architecture» bis heute bestehen können.

Nach der Jahrtausendwende zog sich Jan Beng Oei, der im Mai seinen 90. Geburtstag feiert, schrittweise aus dem aktiven Geschäft zurück. Er übergab sein Architekturbüro an seine Söhne Thomas und Steffen Oei, die bereits seit den 1990er-Jahren Partner waren. Der dritte Sohn Marc Oei arbeitete seit Ende der 1980er-Jahre im Büro des kürzlich verstorbenen Arno Lederer. Heute ist er in dem aus dem Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei hervorgegangenen Büro LRO als geschäftsführender Gesellschafter tätig ist.


Im ersten Artikel seiner Serie stellte Eduard Kögel Chen Kuen Lee vor. Der aus China stammende Architekt hatte ein bewegtes Leben und war überaus talentiert. Doch aufgrund seiner Homosexualität blieben ihm viele Türen verschlossen. Für Hans Scharoun indes war er ein wichtiger Diskussionspartner, von dem der Meister sehr profitierte.

In einem zweiten Beitrag rückte Eduard Kögel Stephan Heise ins Rampenlicht. Der deutsche Architekt schuf eine Vielzahl überzeugender Bildungsbauten. Trotzdem wurde er von der Architekturkritik verschmäht.

In einem dritten Artikel stellte Eduard Kögel schliesslich Gisela Schmidt-Krayer vor. Die Architektin widmete sich lokalen Bautraditionen verwirklichte über 200 Bauten. Doch grosse Bekanntheit erlangte sie ihren Leistungen zum Trotz nie.

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