Der totale Raum ist nicht total

Susanna Koeberle
7. décembre 2020
Blick in die Ausstellung «Total Space» im Museum für Gestaltung in Zürich (Foto: Pierre Kellenberger © ZHdK)

Schon beim Versuch einer Definition des Worts «Raum» zeigt sich die Komplexität dieses Begriffs. Entsteht Raum erst durch Abgrenzung oder bezeichnet dieses Wort gar etwas Unbegrenztes? In der Architektur entstehen Räume durch Wände, die das Innen vom Aussen trennen. Doch was passiert innerhalb dieser Wände? Wie interagieren Objekte und Architektur miteinander? Oder wie stellt sich Atmosphäre ein? Diese nichtmaterielle Dimension wiederum bringt die Begriffe der Erfahrung und der Wahrnehmung ins Spiel. Und hier beginnt es tatsächlich kompliziert zu werden – aber auch spannend. Es sei stets das besondere Raumerlebnis gewesen, das eine bleibende Erinnerung an eine Ausstellung hinterlassen habe, stellten Matylda Krzykowski und Damian Fopp, Kuratorin und Kurator der Ausstellung «Total Space», fest. Obschon Museen – auch bedingt durch die aktuelle Krise – vermehrt digitale Formate anbieten: Das sinnliche Erlebnis des Museumsbesuchs kann die digitale Welt nicht ersetzen. Gerade beim Kuratieren von Designausstellungen ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Objekt und Raum häufig sekundär. Zu Unrecht finden Krzykowski und Fopp. Sie wollten bewusst immersive Raumerfahrungen schaffen und die klassische, produktbezogene Präsentation von Designausstellungen aushebeln. Die Schau erprobt deshalb neue Ausstellungsformate.

Luftwerk liessen sich für «Landschaft ist eine Komposition» von den Theorien des italienischen Malers und Universalgelehrten Leon Battista Alberti inspirieren. Seine Überlegungen zu Farbe und Perspektive verarbeiten sie in ihrem «Total Space» und schaffen ausgehend davon einen sich ständig verändernden Raum. (Foto: Pierre Kellenberger © ZHdK)

Krzykowski und Fopp luden fünf Designstudios ein, ihre Vision eines ganzen Raums zu gestalten. Die beiden Schweizer Duos Kueng Caputo und Trix und Robert Haussmann zeigen, wie spielerisch und schon fast subversiv helvetisches Designschaffen sein kann. Die drei internationalen Studios Luftwerk (Chicago), Sucuk und Bratwurst (Berlin) sowie Soft Baroque (London) mussten die Aufgabe der Raumgestaltung bedingt durch die aktuellen Reiseeinschränkungen von Ferne wahrnehmen. Womit wir schon mitten im Thema analog versus (oder eben nicht) digital sind. Die Szenographie, die inhaltlich und visuell eine zentrale Rolle für die Wirkung der Schau spielt, stammt von den Kurator*innen selber, die beide auch Produktdesigner sind. Den immersiven Effekt ihres Raumkonzepts spüren Besucher*innen schon beim Betreten der Ausstellung, wo sie ein leerer Raum mit einer Audioinstallation empfängt. Ob man nun den Stimmen lauscht, die sich in unterschiedlichen Sprachen Fragen zum Begriff «Total Space» stellen, oder einem Finger folgend – auch der vom Bildschirm vertraut: er erscheint dort, wo man durch anklicken auf eine weitere Ebene kommt – direkt in die Räume eintaucht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. 

Die Stimme und der leere Raum in der Ausstellungsfarbe Bildschirmblau erzeugen einen kurzen Moment des Innehaltens. Bewusst verzichten Krzykowski und Fopp auf einen einleitenden Text, dafür widmen sie der Informationsebene im Zentrum der Ausstellung einen eigenen Raum. Auch hier basiert die Idee auf einem Konzept, dem wir in der digitalen Welt täglich begegnen: Der Text ist wie ein Wikipedia-Eintrag aufgebaut. Jeder der fünf Räume kann durch seine besondere Gestaltung als ein «Kommentar» zum Verhältnis zwischen digitaler und analoger Realität gelesen werden – und zwar durch eine rein physische und emotionale Erfahrung. Die Stilmittel variieren dabei stark, aber gemeinsamen ist ihnen eine künstlerisch-spielerische Umsetzung. Nicht, dass die Metaebene der Reflexion nicht auch zu uns Menschen gehören würde: Es ist nur so, dass diese Ebene in vielen Ausstellungsformaten eher als Krücke dient, was den Verdacht nahelegt, der unmittelbaren Erfahrung würde etwas fehlen. 

Herz und Hirn der Ausstellung ist der mittlere Raum mit weiterführenden Informationen und Videos zum Thema. Die Szenographie stammt von Matylda Krzykowski und Damian Fopp. (Foto: Pierre Kellenberger © ZHdK)

Ähnlich verhält es sich mit der Beziehung zwischen digitaler und analoger Realität: Sie werden gegeneinander ausgespielt, obwohl unsere Lebenswelt stark von der Verschränkung dieser Ebenen geprägt ist. Vielleicht wohnt dem Wunsch nach einer Vereinigung von Gegensätzlichem oder nach der Überwindung von Schranken auch ein utopischer Aspekt inne. Darauf deutet der Titel hin. Der totale Raum ist auch eine Anspielung auf das Thema Gesamtkunstwerk, hier fernab eines überhöhten Pathos allerdings: Die Prise Humor, die etwa im Erklärungsvideo der beiden Kurator*innen mitschwingt, ist wohltuend. Die Ausstellung «Total Space» erinnert uns daran, dass der Begriff Raum stets unterschiedliche Disziplinen umfasst. Dass sowohl bei Luftwerk als auch bei Trix und Robert Haussmann Arbeiten eines Universalgelehrten – Leon Battista Alberti (1404–1472) beziehungsweise Leonardo da Vinci (1452–1519) – als Ausgangspunkt des Entwurfs dienen, ist wohl kaum zufällig. Und manchmal genügt es auch, eine Wand zu durchbrechen, um durch ein Schlupfloch auf die «andere» Seite zu gelangen, wie das bei der Installation von Kueng Caputo passiert. Alice im Wunderland würde sich bestimmt wohl fühlen in dieser Schau.

«Cosa pensi?» von Kueng Caputo ist ein Säulengarten, der die Fähigkeit zur geplanten Improvisation des Duos zeigt. Ihr «Total Space» wirft eher Fragen auf, als dass er Antworten gibt. (Foto: Pierre Kellenberger © ZHdK)

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