Spezialbeton: Material mit Zukunft?

Martina Metzner
25. octobre 2020
Zehn Jahre Forschung stecken im Infraleichtbeton, den der Lehrstuhl von Professor Mike Schlaich an der TU Berlin mit diversen Partnern entwickelt hat. (Foto: TU Berlin, Professur Entwerfen und Konstruieren – Massivbau)

Beton hat derzeit einen schweren Stand; seine schlechte Klimabilanz hat den Baustoff in Verruf gebracht. Die Suche nach Alternativen hat begonnen – auch bei den Betonspezialisten. Um den immensen Rohstoffverbrauch signifikant zu senken, ist Leichtbeton schon seit Jahren ein Thema, das Industrie und Forschung beschäftigt. Nun hat es eine Neuentwicklung zur Marktreife gebracht: Aus dem Infraleichtbeton, den Professor Mike Schlaich von der TU Berlin entwickelt hat, entstehen aktuell Bauten wie der Jugendclub Betonoase in Berlin-Lichtenberg, ein Haus von Florian Nagler Architekten südöstlich von München und ein Wohnhochhaus von Barkow Leibinger in Berlin. Trotz reduzierter Rohdichte ist der Infraleichtbeton nicht nur tragfähig, sondern auch gut wärmedämmend. Dadurch ist eine monolithische Bauweise aus nur einem Werkstoff möglich. Das Wort Infraleichtbeton leiten die Entwickler*innen vom lateinischen Begriff «infra» für «unterhalb» ab, da der Werkstoff unter 800 Kilogramm pro Kubikmeter wiegt – weniger als bis anhin bekannte Leichtbetone. Die geringe Masse wird durch Zuschläge wie Blähton und recyceltes Blähglas erzielt, die den Beton besonderes porös machen. Durch die eingeschlossene Luft in der Zementsteinmatrix wird er wärmedämmend.

Foto: TU Berlin, Professur für Entwerfen und Konstruieren – Massivbau

In verschiedenen Phasen haben sich die Forscher*innen der TU Berlin mit Material- und Anwendungseigenschaften, Herstellung, Verarbeitung und vor allem dem Verhältnis von Druckfestigkeit zu Dichte beschäftigt. 2007 hat Schlaich sein eigenes Haus aus Infraleichtbeton gebaut, was sich bis heute gut bewährt habe, wie er sagt. Später entstand unter anderem das Smart Material House von Barkow Leibinger, schlaich bergermann partner und Transsolar. In der dritten Phase ging es um die Dämmeigenschaften. Mischungen mit verschiedenen Trockenrohdichten unter 800 Kilogramm pro Kubikmeter wurden entwickelt, die immer noch eine Druckfestigkeitsklasse von LC8/9 erreichen. Mit diesen arbeitet heute beispielsweise die Firma HeidelbergCement. Damit liegt man über den Werten von Porenbeton. Um die Wärmedämmstandards der Energieeinsparverordnung (EnEV) zu erreichen, müsse man im Geschosswohnungsbau mit Wandstärken von 50 bis 60 Zentimetern planen, so Schlaich.

Foto: Michael Voit, HeidelbergCement AG

Allerdings ist in Deutschland für das Bauen mit Infraleichtbeton aktuell eine «Zustimmung im Einzelfall» zu erwirken. Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung wird angestrebt. Einen besonderen Vorteil sehen die Macher in der Recyclingfähigkeit des neuen Werkstoffs, damit sei der Infraleichtbeton im Vergleich zu den stark umweltbelastenden Wärmeverbundsystemen (WDVS) deutlich im Vorteil. Was zunächst abschrecken dürfte, sind die hohen Kosten: Mit EUR 400 bis 500 pro Kubikmeter ist der Baustoff über fünfmal teurer als herkömmlicher Beton. Rechnet man allerdings die Kosten und den Unterhalt eines WDVS ein, komme man etwa auf die gleichen Preise, so Schlaich.

Dieser Tage bauen Florian Nagler Architekten in Kooperation mit der TU München im bayerischen Bad Aiblingen ein Mehrfamilienhaus aus Infraleichtbeton. (Foto: Michael Voit, HeidelbergCement AG)
Infraleichtbeton. Entwurf | Konstruktion | Bau

Infraleichtbeton. Entwurf | Konstruktion | Bau
Mike Schlaich und Regine Leibinger (Hrsg.)
Mit Texten von Claudia Lösch und Philip Rieseberg

214 Pages
ISBN 9783816798811
Fraunhofer IRB Verlag
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