Die begrenzte Freiheit des Kleingartens

Auteur
Jenny Keller
Publié le
juin 5, 2014

Der Schrebergarten, Familiengarten oder die Pünt ist nicht mehr nur der Ort, an dem der Opa im Unterleibchen sein Bier nach getaner Arbeit trinkt. Er ist zum kultigen Lifestyle-Accessoire geworden, und nicht wenige junge Städter beackern die eigene Scholle in einem Schrebergarten. Jenny Keller über das Phänomen Gärtnern in der Stadt.

Es gibt die Sehnsucht nach der neuen Einfachheit in einer Welt, die sich verkompliziert. Die Sehnsucht nach ärmellosem Feinripp, lokalem Bier, Wanderwochenenden und regelmässigen Jassturnieren mit barttragenden Freunden hat die Städte der westlichen Welt, und insbesondere der Schweiz, längst erfasst. Sich vegetarisch, vegan und sowieso bio zu ernähren, ist normal. Die Arbeit lässt man sich nicht mehr vom Chef vermiesen, sondern startet selbst seine Projekte. Da ist es ein kleiner Schritt zum eigenen Garten, wo man Gemüse, Beeren oder Früchte gleich selbst zieht, um nicht mehr abhängig zu sein vom Grossverteiler, der das ganze Jahr Tomaten, die nach nichts schmecken, im Sortiment hat.
Der Traum vom eigenen Gartenhaus. Bilder: jk 
Die Schrebergärten, Familiengärten oder die Pünt werden seit einiger Zeit nicht mehr nur von bünzligen Senioren beackert, sondern haben ein jüngeres Publikum angezogen, das plötzlich weiss, dass man Kartoffeln «anhäufeln» muss, sich über Regenwürmer freut und die Rosen fachgerecht bis auf drei Augen im Frühling zurückschneidet. Dies natürlich auch dank Youtube, Internetforen und weiteren Quellen, die das Wissen um den guten Garten für jedermann zugänglich machen.

So werden die jüngeren Bildungsbürger am Wochenende freiwillig zu Spiessbürgern, die in ihrem Garten die reale Welt erforschen und als Ausgleich zu der körperlich nicht fordernden Computerarbeit auf der eigenen Scholle krampfen, bis man den Rücken am Abend spürt. Hier kann ein Projekt mal von A (wie Anpflanzen) bis Z (wie Zwiebeln im Herbst wieder ausgraben) durchgezogen werden, und das Resultat ist erst noch handfest, ausser die Schnecken waren schneller.
Das nennt man eben anhäufeln.  
Keine revolutionären Gedanken
Einst wurden die Schrebergärten als Ausgleich zum engen, unhygienischen Mief der Mietskasernen, die während der Industrialisierung zur Deckung des Wohnraums erstellt worden waren, angelegt. Am Rande der Stadt sollten die Arbeiter ihre Lebensmittel selbst anbauen können, um das Familienbudget zu schonen. Und mit der Arbeit im Freien sollten sie vom Saufen im Wirtshaus abgehalten werden, wobei die frische Luft zudem jegliche revolutionären Gedanken in Luft aufzulösen hatte. In den beiden Weltkriegen waren die Gärten dann wichtige Unterstützung in der Anbauschlacht.

Als volkserzieherische Massnahme von oben beschlossen, wurde der Schrebergarten im Laufe des letzten Jahrhunderts jedoch zum Inbegriff des Bünzlitums, wo mit dem Lineal Radieschen angepflanzt werden und man sich über den Löwenzahn, den Grill, die Fahne des Nachbarn ärgert. Doch im Schrebergarten konnte jeder seinen kleinen Besitz verwalten, hegen und pflegen und ihn gegen aussen verteidigen, und vielleicht ist das ein zentraler Grund dafür, dass Gärtnern in der Stadt wieder in ist.
Die Blumen des Nachbarn blühen immer etwas bunter. 
Nicht alle wollen aufs Land ziehen, um dort den Traum des Eigenheims mit Garten zu verwirklichen. Nicht wenige, darunter auch junge Familien, ziehen ein Leben in der Stadt vor, wo der Arbeitsweg mit dem Velo bewältigt werden kann und das Konzert am Abend ebenfalls. Doch der Wunsch nach etwas Eigenem scheint dennoch zu bestehen. Wie in einem Artikel auf Tagesanzeiger.ch festgestellt, dienen die Häuschen im Schrebergarten als Ersatz für den nur schwer zu verwirklichenden Traum vom Eigenheim. Deshalb wurde per 1. Juli 2011 eine neue Kleingartenordnung in Kraft gesetzt, die bewirkt, dass man ein veritables Baugesuch eingeben muss, will man seine Pergola vergrössern oder eine neue Werkzeugkiste hinstellen.
Angepflanzt ist. 
Begrenzte Freiheit
Man merkt, die Idylle hat auch ihre Schattenseiten, dabei ist nicht von kaum zerstörbarem Beikraut (so heisst Unkraut heute politisch korrekt) die Rede, sondern von Land, dessen Knappheit und von monetären Interessen. Kritiker monieren, dass sich die Gärten nicht in die Landschaft eingliedern und einen Grossteil der erholungssuchenden Städter ausschliessen, denn es handelt sich bei den Schrebergärten um geschlossene Areale.

Doch der Schrebergarten schont im Gegenteil die knappen Landressourcen: So stillt eine neue Generation biobewusster Städter seinen Hunger nach dem Grünen auf einer eingezäunten, beschränkten Fläche und baut sich auf der grünen Wiese kein austauschbares Eigenheim aus dem Katalog, sondern bestellt bei Manufactum höchstens den Schnellkomposter und die englischen Unkrautvernichtungstools. Ganz nebenbei fördert er so die Biodiversität und liefert einen soziologisch wertvollen Beitrag zur Durchmischung und gegen die Überalterung der Gartenpachtvereine. jk
Wo ein Schrebergarten, sind auch Regeln. 
Empfohlene Lektüre

Laura Schwerzmann, Kleingärten – Traditionelle und neue Formen des gemeinschaftlichen Gärtnerns im städtischen Umfeld, 2013, vdf Hoschschulverlag AG an der ETH Zürich, ISBN 978-3-7281-3527-8

Sabine Reber, Erica Matile, Fortpflanzen! – 1000 Tipps, damit es im Garten klappt, 2014, Landverlag, ISBN 978-3-905980-23-3