Symbiotisches Sehen

Susanna Koeberle
23. gennaio 2020
Olafur Eliasson, «Escaped light landscape», 2020, Detail (Foto: Alcuin Stevenson / Studio Olafur Eliasson, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los Angeles © 2020 Olafur Eliasson)

Der Titel der Installation «Symbiotic Seeing» ist ein Oxymoron. Denn Sehen ist nicht symbiotisch – keine Form des «Zusammens» also gemäss dem griechischen Ursprung des Wortes «syn» (zusammen) und «bios» (Leben). Sehen ist zielgerichtet, linear, eine Geste der Bemächtigung. Sehend wollen wir die Welt verstehen, Licht steht für Vernunft. Wir sind eben aufge-klärte Menschen (darüber liesse sich natürlich diskutieren). Interessanterweise vergessen wir, dass es eigentlich unser Gehirn ist, das «sieht», beziehungsweise die Bilder, die auf die Retina fallen, zurechtrückt. Hier stellt sich schon eine komplexe philosophische Frage: Was ist Realität? Oder noch radikaler: Wer sieht? Gibt es überhaupt so etwas wie ein Subjekt, ein «Ich»? Was hat das alles mit der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Zürich zu tun? Der isländische Künstler und Wahlberliner Olafur Eliasson arbeitet transdisziplinär, zu seinem rund 100-köpfigen Team gehören auch Wissenschaftler*innen. Das von ihm mitgegründete «Institut für Raumexperimente», ein Forschungs- und Bildungsprojekt, war an die Universität der Künste in Berlin angeschlossen. Diese besondere Mischung von Kompetenzen zeigt sich auch in seinem Werk. 

Der Künstler Olafur Eliasson ist auch UNO-Botschafter für Klimaschutz und nachhaltige Energie. (Foto: Franca Candrian © 2020 Olafur Eliasson)

Man könnte Olafur Eliasson durchaus als Superstar der Kunstwelt bezeichnen; spätestens als er 2003/04 in der Turbinenhalle der Tate Modern in London eine künstliche Sonne aufgehen liess, wurde er international bekannt. Doch mit dieser Rolle begnügt sich Eliasson nicht. «I want to have an impact», sagt der Künstler. Das können Interessierte sowohl im Katalog zur Ausstellung als auch auf der eigens eingerichteten Website lesen. Kunst also, die bewegt, etwas bewirkt und im Idealfall etwas verändert. Seit September 2019 ist Eliasson auch UNO-Botschafter für Klimaschutz und nachhaltige Energie, eine ungewöhnliche Aufgabe für einen Künstler – oder vielleicht auch nicht. Zurück aber zum eigentlichen Inhalt der Ausstellung und zum Thema des Sehens. Der Mensch hat ja nebst dem Sehsinn noch andere Sinne. Vor allem: Er hat einen Körper. Dieser nimmt seine Umwelt über verschiedene Kanäle wahr und tritt auch mit ihr über den Körper und seine Sinne in Beziehung (etwa über Düfte oder Berührung), wir können auch anders «sehen». Diese ganzheitliche Form der Wahrnehmung möchte auch Olafur Eliasson mit seinen Werken ansprechen. Seine Arbeiten haben deswegen etwas zutiefst Demokratisches, sie richten sich nicht an eine kleine Elite von Kunstkenner*innen, sondern an alle Menschen, egal ob jung oder alt, gebildet oder nicht. Wer weiss, vielleicht auch an Tiere? Ob das die Kunst per se «besser» macht, sei dahingestellt. 

Olafur Eliasson, «Symbiotic seeing», 2020, Installationsansicht, Kunsthaus Zürich. (Foto: Franca Candrian, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los Angeles © 2020 Olafur Eliasson)

Diese Kunst macht etwas mit uns, wie man als Besucherin der Zürcher Schau gleich am Anfang merkt. Im ersten Raum sehen wir zwei Arbeiten, die bereits einen wohltuenden Abstand zum hektischen Alltag bewirken. Die Dunkelheit, die langsamen Bewegungen des projizierten Lichts, die an planetare Ereignisse erinnern, schaffen Entschleunigung. Die Menschen reden leise (auch die Kinder) und schauen andächtig – das obligate Ablichten mit dem Handy bleibt allerdings nicht aus (Stichwort Bemächtigung durch Sehen). Im Durchgang zur grossen Installation «Symbiotic Seeing» treffen Besucher*innen auf eine Glaskugel, eine Art Fischauge, das zugleich auf die Aussenwelt geöffnet zu sein scheint. Ist das tatsächlich ein Fenster zur realen Welt? Sieht ganz so aus, nur ist einfach alles auf dem Kopf. Dazu scheint uns im Innern der Kugel ein Wasserstrahl entgegenzukommen, das bringt das Gleichgewichtsempfinden schon tüchtig durcheinander. 

Solchermassen von Sinnen betreten wir (eine super Gelegenheit meiner 19-jährigen Tochter Kunst nahezubringen, nach Jahren der Abstinenz. Ein Volltreffer: Sie war begeistert) den Urschleim-Raum. Wie bitte, Urschleim? Ja, so (oder auch Ursuppe oder Urschlamm) nennt man die unbekannte Mischung anorganischer Substanzen, welche die Entstehung von Leben ermöglichte. Die Existenz einer solchen ist wissenschaftlich umstritten. Fest steht, dass auf unserem Planeten aus anorganischen und organischen Stoffen Lebewesen hervorgingen. Hier kommt die Symbiose als eine Form der Koexistenz ins Spiel. Nachzulesen auch im Katalog, wo Ausschnitte aus Lynn Margulis' (amerikanische Biologin) Buch «Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief» (1998) abgedruckt sind: absolut faszinierend! 

Olafur Eliasson «Algae window», 2020, Installationsansicht, Kunsthaus Zürich; oder gemäss meiner Tochter «Wurmloch-Kunst», denn sie verbindet zwei Seiten. (Foto: Franca Candrian, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los Angeles © 2020 Olafur Eliasson)

Der symbiotische Urschleim-Raum also: Er ist tief behangen mit einer öligen Nebeldecke, die dank der darauf projizierten Laserstrahlen zu einer wabernden Fläche wird. An einzelnen Stellen treten regelmässig Rauchwolken heraus (so etwa wie in einer Disko), die Zischlaute erzeugen eine merkwürdige Mischung aus Verunsicherung und Zentrierung der Sinne. Dieses Gefühl wird durch einen Soundteppich verstärkt. Zusammen ergibt das ein Spektakel aus bewegten Wirbeln, einer sphärischen Klangkulisse und dem Geruch des Nebels (also nicht wirklich übel riechend, wie man vielleicht beim Wort Urschleim denkt). Eine synästhetische Erfahrung quasi. Dieses Eintauchen in die allumfassende Suppe des Lebens soll uns wieder mit dem Planeten verbinden, so das Ziel des Künstlers. Wir werden zu Symbionten. Menschen sind eben auch nur ein Konglomerat aus Bakterien und anderen Organismen. Weshalb sich so wichtig nehmen?, fragt dieses Werk. 

Eliasson plädiert für eine «poröse Vorstellung des Selbst». Erst diese werde in der aktuellen Situation der akuten Klimakrise zu einer Empathie gegenüber unserem Planeten und nicht-menschlichen Lebewesen führen. Eine solche sei notwendig für Taten den Klimawandel betreffend, so der Künstler im Interview mit der Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis. Tritt man aus dem Raum heraus, hat der eigene Körper erfahren, dass Sehen auch symbiotisch sein kann. Dass diese Installation nicht aus Natur besteht, tut der Wirkung des Kunstwerks keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die Verschränkung von Technologie und Natur macht ja unser Menschsein aus. Erst diese Form der Vernetzung zwischen Sphären schafft zudem die Möglichkeit für eine solche Arbeit. Kunst kommt von künstlich, das weiss auch Herr Eliasson. Ein wichtiger Teil der Ausstellung ist die «research wall», welche die Bandbreite der Projekte des Künstlers und seines Teams aufzeigt. Auch da gibt es genug Material für Instagram Posts. Das ist eine Form der Wahrnehmung, die zu unserer Realität gehört und so gesehen total ok ist. Trotzdem: Am besten selber hingehen.

«Research wall», Installationsansicht, Kunsthaus Zürich, 2020 (Foto: Franca Candrian © 2020 Olafur Eliasson)

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