Gubrist Nord

Manuel Pestalozzi
18. ottobre 2018
Blick entlang der Feldstrasse durch das Gebiet Bahnhof Nord. Sie endet heute vor dem ZWHATT-Areal, dem einstigen Gretag-Areal, und soll sich in eine durchgehende «Furttal-Promenade» verwandeln. Den Horizont bilden die Lägern. Bild: Manuel Pestalozzi

Ja, richtig, wir sprechen von dem Gubrist, der dem berühmten Autobahntunnel seinen Namen gibt. Der bewaldete Hügelzug trennt das Limmat- vom Furttal, welches nach Osten quasi nahtlos übergeht ins Glatttal und damit in die bekannten Regionen der Grossagglomeration Zürich-Nord. Die Gemeinde Regensdorf befindet sich quasi im Windschatten von Zürich-Nord und Zürich-West, obwohl sie mit dem Autobahnanschluss beim Gubrist-Nordportal eigentlich optimal erschlossen ist.
 
Agglomerationsforschern bietet die Gemeinde spannendes Futter. Sie war so klein, dass sie schon in der Helvetik, also vor der Gründung des Bundesstaates, mit den Nachbarweilern Watt in der sumpfigen Mitte des Furttals und Adlikon beim gegenüberliegenden Südhang zu einer politischen Kommune zusammengeschlossen wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts legte die Nationalbahn die Gleise ihrer Verbindung Winterthur-Baden durchs Furttal, das durch die Tieferlegung des Furtbachs entsumpft wurde. Zwischen Regensdorf und Watt entstand ein einsamer Bahnhof. Gleich neben den Gleisen baute der Kanton auf der Regensdorfer Seite die 1901 eingeweihte Strafanstalt auf der Pöschwies.
 
Im 20. Jahrhundert machte die Region ab 1958 durch das Projekt Furttalstadt auf sich aufmerksam, eine konkretisierende Antwort auf das kurz zuvor publizierte Pamphlet «achtung: die Schweiz» von Max Frisch, Lucius Burckhardt und Markus Kutter. Der Investor Ernst Göhner entdeckte die Gemeinde am Ostende des Tals: In den 1970er-Jahren realisierte er in Adlikon die Grosssiedung Sonnhalde. Regensdorf selbst kam etwa zur selben Zeit sogar zu einem Göhner-Zentrum gleich neben dem historischen Ortskern, mit drei Wohnhochhäusern, einer Einkaufspassage inklusive Hallenbad und einem Mövenpick-Hotel. Ein Zuwachs an Prestige oder Aufmerksamkeit konnte Regensdorf deshalb nicht wirklich verbuchen. Von Zürich her gesehen ist es nach wie vor der Ort jenseits des Aussenquartiers Affoltern und dem Katzensee mit seinem Wald. Ein ausgedehntes Naturschutzgebiet garantiert mit dem Gubrist den Abstand zur grossen Stadt.

Das Planungsgebiet Bahnhof Nord verfügt bei der Station bereits über eine beträchtliche Dichte. Es bestehen aber auch noch gut erschlossene Landreserven. Sicht auf das Gebiet von Schlatt, am östlichen Ende. Bild: Manuel Pestalozzi

Innere Verdichtung
Die Gemeinde Regensdorf will die ausgezeichnete Standortqualität für eine innere Verdichtung nutzen. Zwischen den drei Ortsteilen gibt es noch viele Siedlungsflächen, die erst locker bebaut sind. Nördlich der Bahnlinie erstreckt sich vom Naturschutzgebiet beim Katzensee bis zur westlichen Gemeindegrenze eine Zone, die gemäss kantonalem Richtplan zur Bebauung freigegeben ist. Über eine längere Strecke wird der ca. 200 bis 400 Meter breite Streifen ebenen Geländes im Norden von der Hauptstrasse von Zürich nach Koblenz begrenzt In diesem Bereich setzt die Gemeinde an mit der Initiative «Zukunft Bahnhof Nord». Diese Zukunft hat eigentlich schon vor Jahrzehnten begonnen: Im Streifen entstand ab den 1960er-Jahren ein Industriegebiet, dessen bekannteste Landmarke das grosse Logo von Studer-Revox, dem einst weltberühmten Hersteller von Hochqualitäts-Tonbandgeräten, war. Es prangte beim Bahnhof auf dem Produktionsgebäude der Firma, einem unscheinbaren, konventionellen Büro- und Gewerbebau, der immer noch existiert und irgendwie das typische, nicht unsympathisch graue «Regensdorfer Understatement» symbolisiert.
 
«Zukunft Bahnhof Nord» soll in den kommenden Jahrzehnten in enger Zusammenarbeit mit den Landeigentümern zu einem gemischten Quartier für Wohnen und Gewerbe für rund 6’000 Bewohnende führen. Die planerischen Rahmenbedingungen sind gesetzt für private Gestaltungspläne. Ein solcher wurde in der ersten Hälfte dieses Jahres bereits für das ZWHATT-Areal, das einstige Gretag-Areal, genehmigt. Die Gretag war – ähnlich wie Studer-Revox – eine Hightech-Firma der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; zuletzt produzierte sie nördlich des Bahnhofs von Regensdorf Fotoentwicklungsgeräte. Sie stellte anfangs des 21. Jahrhunderts ihre Produktion ein und wurde zur Immobiliengesellschaft. 2016 kaufte die Anlagestiftung Turidomus das Fabrikareal von der Peach Property Group, die es zuvor erworben hatte. Für seine Entwicklung im Rahmen der «Zukunft Bahnhof Nord» fand 2018 ein Charrette-Verfahren statt.
 

Die Projektteams, die sich an der Charrette bereiligten, arbeiteten im Studer Revox-Gebäude, im Planungsgebiet und in umittelbarer Nähe des Gretag-Areals. Bild: www.zwhatt.ch

Zeitdruck und Austausch
Das Charrette-Verfahren ist eine gemeinschaftliche, de.wikipedia.org sagt: öffentliche, Planungsmethode zur Stadt- und Regionalentwicklung. Der Name stammt offenbar von Projektabgaben Studierender der  École des Beaux-Arts in Paris, die Kunstwerke oder Architekturmodelle mit Wägelchen (Charrettes) an den Präsentationsort transportierten und noch auf diesem Wägelchen, en charrette, zum letzten Mal Hand anlegten. Im modernen Gebrauch wird es seit einigen Jahrzehnten in den USA für gemeinschaftliche Projektentwicklungen im Workshop-Verfahren verwendet, vor allem im Bereich Stadt-, Landschafts- und Produktplanung. Merkmale des Verfahrens sind, neben der Nähe zum Ort des Geschehens, enge Deadlines.
 
Die ZHWATT-Charrette wurde angestossen und organisiert von einem Team um Birgit Hattenkofer, Chief Development Officer von Pensimo, welche die Anlagestiftung Turidomus verwaltet, und Joris Van Wezemael, Architektursoziologe, im Frühling noch Portfoliomanager bei Pensimo, heute Geschäftsführer des SIA. Ziel des Verfahren war es gemäss einem Bericht in der NZZ, einen Dialog anzustossen, um gemeinsam den bestmöglichen Entwurf zu erarbeiten – und zwar in Regensdorf. Der erwähnte Artikel berichtete Mitte März dieses Jahres von einer europaweit ausgeschriebenen Charrette an derem zweitägigem Auftakt sich im Studer-Revox-Gebäude «120 Städteplaner, Architekten, Soziologen und Szenografen» beteiligten. Sie bildeten zwanzig, von einem Projektrat ausgewählte interdiziplinäre Teams. Im April fand die Charrette mit fünf Teams, die im Anschluss an die Auftaktveranstaltung bestimmt wurden, ihre Fortsetzung. Der Abschluss-Workhop fand im Juli statt.

Zwei Hochhäuser, Riegel, ein Grünzug als «Furttal-Promenade» schlug das Team Studio Märkli vor. Eine für das Gebiet charakteristische Heterogenität mit einer massvollen Dramaturgie, in der sich luftig durchlässige Räume mit gefassten und komprimierten Zwischenbereichen abwechseln, urteilte das Bewertungsgremium. Bild: Studio Märkli.

Bringt es was?
Die umtriebige NZZ Journalistin Dorothée Vögeli bat im Juli den emeritierten Planer Pierre Strittmatter zur Schlussbesichtigung. Offenbar war es für ihn unmöglich, zu erkennen, ob das Charrette-Verfahren für die Lösungen einen qualitativen Gewinn brachte oder nicht, zumal die Vorarbeit der Gemeinde mit der Initiative «Zukunft Bahnhof Nord» bereits relativ enge Rahmenbedingungen schuf. So konnte die Journalistin von ihm bloss generelle Kommentare zu den Projekten einsammeln und ein Lob an die Grundeigentümerin, die derart viel Zeit und Aufwand in das Verfahren investierte.
 
Pensimo ist mit dem Verfahren zufrieden. Zwar vermerkt der Schlussbericht (den man von der Projektwebsite www.zwhatt.ch herunterladen kann) kritisch, dass das im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung lancierte Thema «Wohnen und Arbeiten» trotz den mehrfachen Beurteilungsmöglichkeiten bei keinem der Projekte zielführend abgebildet wurde. Trotzdem freut man sich über die Vielfalt an Lösungsansätzen, ungeachtet des «GP bedingtem» engen städtebaulichen Korsetts. Aussenstehende werden bei den Projekten wohl kaum erkennen, dass sie Resultate dieses speziellen Verfahrens sind. Die beteiligten Teams haben sich bis dato nicht aus eigenem Antrieb dazu geäussert.

Nach dem Vorschlag von Studio Märkli wird aktuell ein Masterplan ausgearbeitet. Bild: Studio Märkli

Wie geht es weiter?
Folgendes war im Anfang Oktober vom Kommunikationsverantwortlichen für das Projekt in Erfahrung zu bringen: Zurzeit ist der Masterplan für das ZWHATT-Areal in Erarbeitung. Die städtebauliche Setzung basiert auf dem in der Charrette gemachten Vorschlag des Teams Studio Märkli. Der Masterplan wird im Frühjahr 2019 vorliegen. Anschliessend kann mit der konkreten Projektierung für die Bauten der ersten Etappe begonnen werden.

​Die Transformation von ZWHATT zu einem aussergewöhnlichen Zentrumsquartier erfolgt mit langfristiger Optik in zwei Etappen über die nächsten fünf bis zehn Jahre. Das Areal wird neben Wohnungen auch weiterhin Gewerbe- und Dienstleistungsnutzungen umfassen. Optischer Blickfang und Landmarke werden zwei am zentralen Quartierplatz situierte Hochhäuser von bis zu 75 Metern Höhe sein. Der Gestaltungsplan erlangte im Frühling 2018 Rechtskraft. Der Baustart für die erste Realisierungsetappe mit einem Investitionsvolumen von rund CHF 260 Mio. ist für 2020 vorgesehen. Die Gesamtinvestitionen für beide Etappen beziffern sich auf rund CHF 400 Mio.

Heute dient das Areal noch zu einem beachtlichen Teil als Parkplatz. Bild: Manuel Pestalozzi

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