Feinsinnig radikal

Gian Salis
13. 1月 2022
Gartenseite mit neuem Anbau (Foto: Gian Salis)
Herr Salis, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Im Auftrag der Stiftung Künstlerhaus Boswil, einem Kulturleuchtturm für klassische Musik im Kanton Aargau, durften wir das ehemalige Sigristenhaus zum Musikerhaus mit Proberäumen, Gästezimmern und Büros umbauen. Dies in einem baufälligen, durch frühere Einbauten zugebauten, unter Denkmalschutz stehenden alten Holzhaus zu realisieren – inklusive Schall- und Brandschutz – war eine Herausforderung. Aber es war auch eine Chance: Gerade weil das Haus kein perfekt erhaltenes Schutzobjekt war, gab es Spielräume für Eingriffe, welche in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege ausgelotet wurden. So haben wir alle im 20. Jahrhundert im Tenn eingezogenen Böden radikal ausgeräumt und eine Halle geschaffen, in der die bedeutende Hochstudkonstruktion – eine archaische, für den Aargau typische Firstständerbauweise – freigelegt und beidseitig der neuen Treppe über die ganze Gebäudehöhe bis in den First erlebbar ist. In der Bohlen-Ständerwand zu den Büroräumen konnte ein Feld ausgeschnitten werden. Dort befindet sich nun die Rezeption und zentrale Empfangstheke des Künstlerhauses. 

Die Nordansicht zeigt das ganze Ensemble mit dem Hochstudhaus, dem Gästehaus und der Alte Kirche (Foto: Gian Salis)
Eingangsbereich mit geschwungener Dachfläche (Foto: Gian Salis)

Eine typische Herausforderung bei der Umnutzung von Bauten unter grossen Dächern ist, genügend Licht in die Räume zu bringen. Dies gelang uns durch die geschickte Anordnung der neuen Nutzungen und das dezente Einpassen von neuen Fenstern: Im hohen Dachgeschoss entstanden unter der erhaltenen Dachkonstruktion zwei Proberäume mit optimierter Akustik für Musikproben. Diese sind jeweils giebelseitig optimal belichtet, im grossen Saal durch eine vollflächige Verglasung hinter Holzlamellen und im kleinen Saal durch sieben Fenster, von denen drei in Abstimmung mit der Denkmalpflege neu erstellt werden durften. So waren in der Dachfläche keine neuen Fenster nötig. Eine Blickachse durch den ganzen Dachraum verbindet die Räume. In den alten Kammern im Obergeschoss sowie im Heustock wurden sieben Gästezimmer mit je einem eigenen Bad erstellt, wobei die Decken nach oben verschoben wurden, um eine genügende Raumhöhe zu erreichen. Und in den alten Täferstuben im Erdgeschoss entstanden Büroräume. Dort haben wir die Täfer ausgebaut, dahinter gedämmt und sie dann wieder eingebaut. In einem neuen Anbau auf der Ostseite schliesslich entstand ein Sitzungszimmer. Er ist sehr hell, wirkt wie eine Gartenlaube und ersetzt einen Gebäudeteil, der in den 1980er-Jahren hinzugefügt wurde.

Es war wie ein Puzzle, für jeden Raum den idealen Ort im Bestand zu finden. Aber es gelang uns, alle Nutzungen innerhalb der alten Gebäudehülle unter dem imposanten Dach zu realisieren.

Südansicht (Foto: Gian Salis)
Eingang mit alten aufgeständerten Sparren (Foto: Gian Salis)
Vordach mit neu aufgeständerten Sparren (Foto: Gian Salis)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Das Haus war sehr einfach gebaut, es hat eine sehr archaische Konstruktionsweise. Es gab schon im 18. Jahrhundert heftige Umbauten, so wurden zum Beispiel die seitlichen Kammern beim Wohntrakt angebaut und dazu das Dach darüber einfach weiter gespreizt, sichtbar an den «Pföstlis», welche damals unter die Sparren gestellt wurden. Dadurch entstand der für das Haus charakteristische Schwung im Dach. Diese Direktheit und Unbeschwertheit in der Konstruktion hat uns fasziniert, und wir wollten uns sie auch zu eigen machen. Das inspirierte uns zum Beispiel dazu, die neuen Sparren im Vordachbereich aufzuständern, die wegen der Dämmung über den alten Sparren höher liegen. So gelang es, dass der Dachrand trotzdem filigran erscheint.

Die offene Eingangshalle zieht sich bis unters Dach. Die Rezeption ist in einem neu geschaffenen Ausschnitt untergebracht. (Foto: Gian Salis)
Die freigespielte Hochstudkonstruktion in der Eingangshalle im ehemaligen Tenn (Foto: Gian Salis)

Wir sehen unseren tiefgreifenden Umbau aber auch als Weiterführung dieser Umbaugeschichte. So entstand das Konzept der Symbiose: Das Vorhandene nutzen, wo immer dies möglich ist, und mit Neuem ergänzen, wo nötig. Beispielsweise tragen die alten Hochstudpfosten auch das neue Dach. Balken jedoch, die auf Biegung beansprucht waren, genügten den neuen Lasten nicht. So wurden alle Böden neu erstellt, teils jedoch über den alten Decken, welche noch die alten Untersichten tragen. So wurde auf einfache Art eine akustische Entkoppelung der Bauteile erreicht.

Die Hochstudkonstruktion wurde um eine neue Treppe ergänzt. Es ist eine Blickachse entstanden, welche die Räume im Dachgeschoss miteinander verbindet. (Foto: Gian Salis)
Grosser Saal (Foto: Gian Salis)
Kleiner Saal (Foto: Gian Salis)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Der Bauherr wünschte sich helle, moderne Räume und eine einfache Orientierung im zuvor labyrinthischen Bau. Dies erreichten wir mit der neuen zentralen Erschliessung in der bis unters Dach offenen Halle im ehemaligen Tenn. Durch ein vorgefundenes Dachziegelfenster fällt ein über den Tag wandernden Sonnenfleck in die Halle und belebt und belichtet diese. Ebenso fällt Licht durch das geöffnete Tenntor und durch das lichte Sitzungszimmer gegenüber. So wurde aus dem ehemals dunklen Tenn eine sehr helle Halle. Raumnischen und Sichtbezüge machen die Halle zu einem attraktiven Pausen- und Aufenthaltsraum, in dem auch informelle Treffen stattfinden könne. Weitere neue Sicht- und Lichtachsen geben dem Haus eine innere Grosszügigkeit. 

Gästezimmer in einer alten Kammer im Obergeschoss mit alten Holzoberflächen (Foto: Gian Salis)
Gästezimmer mit neuen Tannenbrettern (Foto: Gian Salis)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Wie beim 2017 fertiggestellten Anbau eines Konzertfoyers an die Alte Kirche Boswil für den gleichen Bauherrn ist auch bei diesem Entwurf der Schnitt das Entscheidende. In diesem Fall gewinnt die Gestaltung ihre Kraft aus der Höhenentwicklung der Räume. Sie reicht von sehr niedrigen alten Kammern bis zur elf Meter hohen Erschliessungshalle.

Und ebenfalls wie bei andern Projekten haben wir alle Details liebevoll ausgearbeitet. Ein Beispiel sind die Kastenfenster, bei denen das äussere alte mit einem neuen Fenster auf der Innenseite ergänzt wurde; oder das Dach – das prägendste Element von aussen – bei dem wir die alten Biberschwanzziegel wiederverwendet und mit gleichartigen historischen Ziegeln ergänzt haben, die wir bei einem Händler für historische Baumaterialien finden konnten. Konstruktiv gelang es uns, jede Durchdringung zu eliminieren, sodass kein Abluftrohr die Dachfläche stört. So wirkt das Dach sehr ruhig und durch die Kleinteiligkeit der handgefertigten Ziegel und die geschwungene Grundform fast wie das Fell eines Tieres.

Büroräume in den ehemaligen Täferstuben (Foto: Gian Salis)
Sitzungszimmer im Gartenanbau (Foto: Gian Salis)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das Haus war aus Holz, und wir haben konsequent mit Holz weitergearbeitet. Dank eines objektspezifischen Brandschutzkonzepts mit einer Brandmeldeanlage wurden selbst im vertikalen Fluchtweg hölzerne Oberflächen möglich.

Das alte rauchgeschwärzte Holz hat der Zimmermann nur mit einer weichen Bürste gewaschen. Die alten, eindrücklich breiten Bodendielen hat er ausgebaut, wo nötig gehobelt und wieder eingebaut. Dies entspricht einer jahrhundertealten Haltung zum ökonomischen und ökologischen Umgang mit Baumaterial: Wir haben im Haus viel Holz gefunden, das aus- und wieder eingebaut wurde. Die Dielen haben wir ergänzt mit neuen Tannenbrettern für Wände und Böden in den Gästezimmern. Für die Saalböden und die Möbel haben wir helles einheimisches Hagenbuchenholz verwendet, das unglaublich hart ist. Je dunkler also das Holz im Haus, umso älter ist es. So ist ablesbar, was alt und was neu ist. Und trotzdem wird alles zu einem Ganzen.

Situation mit dem Hochstudhaus, dem Gästehaus und der Alte Kirche
Schnitt durch die Eingangshalle
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Dachgeschoss
Bauwerk       
Umbau Hochstudhaus, Künstlerhaus Boswil
 
Standort                      
Bachstrasse 30, 5623 Boswil  
 
Nutzung         
Künstlerhaus mit Musik-Proberäume, Büros und Gästezimmer
 
Auftragsart
Studienauftrag
 
Bauherrschaft
Stiftung Künstlerhaus Boswil
 
Architektur
Gian Salis Architektur GmbH, Zürich
Gian Salis und Eliane Windlin
 
Fachplaner
Holzbauingenieur und Brandschutz: Makiol Wiederkehr, Beinwil am See
Matthias Ermel, Raphael Greder, Marco Affolter, Peter Makiol

Bauingenieure: HKP Bauingenieure, Zürich
Silvano Matthaei, Daniel Zehnder

Bauphysik: BWS Bauphysik AG, Winterthur
Christoph Keller

HLKS-Planung: Grünenwald AG, Otelfingen
Rolf Grünenwald

Beleuchtungsplaner: Giacoba GmbH, Maienfeld, 
Gian Battaglia

Umgebung: Jane Bihr – de Salis Landschaftsarchitektin BSLA, Kallern
Jane Bihr

Denkmalpflege: Kantonale Denkmalpflege Aargau
Philipp Schneider
 
Bauleitung 
Hüsser + Partner Architekten AG, Muri 
Philippe Hüsser
 
Jahr der Fertigstellung
2021
 
Gesamtkosten BKP 1–9 
CHF 5,2 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2 
CHF 4,4 Mio.
 
Gebäudevolumen (gemäss SIA 416)
2972 m3
 
Kubikmeterpreis 
1480 CHF/m3 
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
Zimmermann: Schäfer Holzbautechnik, Dottikon
Fenster: Schreiner Kilchenmann AG, Worb
Dachdecker: Alex Gemperle, Hünenberg
Schlosser: Metall mit Biss GmbH, Boswil
Türen: Bach Heiden, Wolfhalden
Schreiner: Nerozzi Rösch, Nesselnbach
Holzmöbel: Yumiko Egloff, Zürich
 
Fotos
Gian Salis

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