Zeitfenster

Susanna Koeberle
13. 2月 2020
Die Carwan Gallery zeigte in der Chesa Planta Arbeiten von drei Gestaltern, welche sich mit verschiedenen Materialien auseinandersetzen. (Foto: Filippo Bamberghi)

Mit dem poetischen Wort «Seelenfenster» wird eine architektonische Besonderheit von alten Bauernhäusern bezeichnet. Die kleinen Öffnungen wurden früher gebaut, um bei einem Todesfall im Haus die Seele entweichen zu lassen. Die Metapher des Seelenfensters zieht auch eines der «Special Projects» der diesjährigen Ausgabe der «Nomad» heran. Der «Traveling Showcase for Collectable Design» fand im Februar zum dritten Mal in der historischen Chesa Planta im Samedan statt. Dieses Jahr ergänzten besonders viele «Special Projects» – also Ausstellungsformate, die entweder eigens für den Event geschaffen wurden oder nicht an feste Galerien gebunden sind – die Präsentationen von rund zwanzig internationalen Design- und Kunstgalerien. Das Besondere an der «Nomad» ist die überschaubare Grösse des Ausstellungsformats sowie die wechselnden Örtlichkeiten (letztes Jahr fand die «Nomad» erstmals auch in Venedig statt). Das Engadin scheint sich tatsächlich als fruchtbarer Boden für eine solch exklusive Präsentation erwiesen zu haben, auch wenn dabei Design als Sammelgegenstand nicht im Vordergrund steht. Eher decken sich hier Gutbetuchte mit aparten Möbelstücken für ihre Engadiner Domizile ein. Doch zum Thema Collectible Design und Limited Edition später mehr. 

Vor dem temporären Holzpavillon der Möbelwerkstatt Ramon Zangger platzierte die Galerie Massimo De Carlo einen Pilz von Carsten Höller. (Foto: Filippo Bamberghi)
Vielfältige Entdeckungen

Zurück zum Fenster, das laut dem Aussteller Aliante Partner und der Kuratorin der Präsentation «Window as Seelenfenster», Melis Bischofberger, eine Grenze zwischen innen und aussen sowie zwischen öffentlich und privat darstelle. Sechs geladene Künstler*innen interpretierten ihre Sicht auf das Thema «Fenster», ergänzt wurde der Raum durch zwei Stücke der Engadiner Designerin Aita Bott. Dass die «Nomad» dabei selber als «Fenster zwischen der privaten Welt der Künstler*innen und einem breiteren Publikum» (wie es im Katalog heisst) fungiert, ist zu bezweifeln. Denn der Besuch ist ausser für VIPs des «Nomad Circle» zahlungspflichtig – wie halt üblich bei Messen; das gehört eben zum Business und darum geht es in erster Linie auch. Natürlich ist eine aussergewöhnliche Atmosphäre, wie sie die Chesa Planta bietet, eine perfekte Bühne für eine solche Highend-Präsentation. Eine Neuerung war dieses Jahr der von der lokalen Möbelwerkstatt Ramon Zangger entworfene und gebaute Eingangspavillon, der einen optimalen Empfang der Besucher*innen ermöglichte und den grosszügigen Eingangsflur des eigentlichen Baus zugluftfrei und besser begehbar machte. Mit dem temporären Bau aus Holz wurde die Exklusivität des Anlasses zusätzlich betont. Der Pavillon schuf auch eine Brücke zwischen lokalem Handwerk (das auch in der Architektur des Engadins zum Tragen kommt) und dem erlesenem Design, das im Innern feilgeboten wurde. 

Unter den Ausstellern gab es Habitués (wie Maniera aus Brüssel, Etage Projects aus Kopenhagen oder Giustini/Stagetti aus Rom) sowie auch Neulinge. Einzelne Galerien der letzten Ausgaben blieben dieses Jahr aus, das hängt unter anderem damit zusammen, dass es im Bereich des sammelbaren Designs (oder wie immer man diesen Sonderzweig nennen will) international immer mehr Messen gibt (interessanterweise viele davon in den Vereinigten Staaten). Relativ ausgeglichen war das Verhältnis zwischen Vintage-Design und zeitgenössischen Kreationen. Entdeckungen gab es in diesem Jahr in beiden Bereichen zu machen. The Gallery of Everything aus London etwa zeigte Keramiken von George Ohr (1837–1918). Der Keramikkünstler revolutionierte mit seiner experimentellen Arbeitsweise das Handwerk; er war seiner Zeit jedenfalls weit voraus und wurde erst in den 1960er-Jahren neu entdeckt. Seine Stücke könnten ebenso aus der Jetztzeit stammen. 

Fornasetti präsentierte eine Auswahl von Stücken, welche die Ursprünge des Mailänder Ateliers aufgreifen. (Foto: Filippo Bamberghi)
Das Geheimnis des Schönen

Beim Betrachten seiner organisch geformten Gefässe stellt sich die Frage nach dem Geheimnis des Zeitlosen. Was braucht es, damit ein Stück Moden überdauert? Oder ist Design auch zyklisch angelegt, wie man an den Revivals in der Modewelt sieht? Ist eine Arbeit automatisch wertvoller, wenn sie sich jenseits solcher zeittypischer Trends ansiedelt? Gibt es archetypische Formen, die uns so vertraut sind, dass sie keine eindeutige zeitliche Einordnung erlauben und damit das Prädikat zeitlos oder klassisch verdienen? Solche Fragen sind nicht neu und prägen die Suche nach der Definition des Schönen – und zwar in allen Künsten, der Architektur inklusive. Jedenfalls scherte sich Ohr damals nicht um Moden. Vielleicht ist es auch diese Radikalität und Kompromisslosigkeit, die seine Arbeit so modern macht. Seine Keramiken scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. 

Die Frage nach der Zeitlichkeit eines Materials kann ebenso inspirieren, wie die Arbeit des italienischen Duos Formafantasma beweist. Eine Leuchte aus der Reihe «Ore Streams» war bei Giustini/Stagetti zu sehen. Mit dieser Forschungsarbeit erkunden die beiden in Eindhoven domizilierten Gestalter die Nutzbarkeit von elektronischem Abfallmaterial und kritisieren damit auch implizit die Verschwendung von Ressourcen. Bei der jüngeren Designergeneration macht sich ein kritisches Bewusstsein für die Zukunft der Disziplin bemerkbar. An der «Nomad» sind solche Fragen weniger ein Thema.

Das Niveau der Brüsseler Galerie Maniera war gewohnt hoch. (Foto: Filippo Bamberghi)

Dafür loten viele Exponate die Grenzen und Eigenschaften von Materialien aus. Das fiel etwa bei den Arbeiten der drei Gestalter auf, welche die Carwan Gallery (zieht dieses Jahr von Beirut nach Athen) präsentierte. So entwickelte der kanadisch-israelische Architekt und Designer Omer Arbel eine besondere Technik, die bei der Herstellung Metall und Glas kombiniert. Letzteres gibt den Stücken zwar die Form, wird am Schluss aber zerstört. Der polnische Künstler und Designer Marcin Rusak verwendet als Ausgangsbasis für seine Entwürfe häufig pflanzliches Material. Durch das Einbeziehen natürlicher Prozesse thematisieren seine Stücke Vergänglichkeit und bilden einen kritischen Kommentar zu unserer Konsumgesellschaft. Die gestalterische Freiheit, welche Künstler*innen und Architekt*innen von den beiden Inhabern von Maniera bekommen, beflügelt offensichtlich ihre Kreativität. Die Brüsseler Galerie schafft es bei jeder Ausstellung und jedem Auftritt (zum Beispiel auch an der «Design Miami/Basel») zu verblüffen und zu begeistern; an der diesjährigen «Nomad» mit unglaublichen Glasleuchten der Architektin Marta Armengol oder mit den experimentellen und zugleich simplen Stücken aus Fiberglass oder Carbon des Amerikaners Jonathan Muecke, der unter anderem auch Architektur studiert hat. 

Der englische Brand Established & Sons tastete den Markt der Limited Editions ab. (Foto: Filippo Bamberghi)
Strategien für einen schwierigen Markt

Auch bezüglich der aktuellen Verfasstheit des speziellen Marktsegments der Limited Editions bot die «Nomad» spannende Erkenntnisse. Der britische Hersteller Established & Sons stellte erstmals in Samedan aus und zeigte einige Entwürfe aus seiner limitierten Kollektion. Ganz neu waren die Stücke der Schwedischen Illustratorin Liselotte Watkins, die gefundene Vasen quasi als Leinwand verwendet und diese neu bemalt. Auch die «Kebab Lamps», Einzelstücke vom britischen Duo Committe, bekamen Nachwuchs. 

Die bewegte Geschichte des Brands kann als paradigmatisch für die Entwicklung des Designmarkts in den letzten 15 Jahre gelten. 2005 gegründet, setzte die Marke seit ihren Anfängen auf zwei Schienen: limitierte, exklusive Stücke zum einen und seriell produzierte Entwürfe zum anderen. Zudem sollte alles in England hergestellt werden. Als Gestalter*innen konnten die Gründer sowohl renommierte Architektinnen wie Zaha Hadid oder Amanda Levete als auch Designergrössen wie Jasper Morrison, die Brüder Bouroullec oder Jaime Hayon gewinnen. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal wirbelte man zu Beginn viel Staub auf, es folgte aber nach der Wirtschaftskrise 2008/09 die grosse Ernüchterung. Nachdem Mitbegründer und Designer Sebastian Wrong die Firma 2013 verliess, wurde es ruhiger um die einst gehypte Marke. 

Erst 2018 traten neue Investoren auf den Plan (darunter auch der Genfer Financier Ramzi Wakim) und Sebastian Wrong wurde wieder mit ins Boot geholt. Es folgte eine neue Serie von Entwürfen (auch der junge Schweizer Designer Dimitri Bähler steuerte eine Leuchte bei) sowie nun ein erneutes Abtasten des Limited Edition-Marktes an der «Nomad». Auch wenn es enttäuschen mag, dass diesbezüglich wenig Neues aufgetischt wurde, ist das Präsentieren älterer Entwürfe durchaus auch ein cleverer Schachzug. Was sich daraus entwickeln wird, ist noch offen. Sebastian Wrong gab sich zuversichtlich, aber nicht euphorisch. Er ist erfahren auf diesem Gebiet und hat schon ganz unterschiedliche Modelle ausprobiert. Solide finanzielle Ressourcen scheinen auf diesem exklusiven Markt eine Voraussetzung für kommerziellen Erfolg zu sein. Es ist interessant zu beobachten, welche Strategien dabei zielführend sind. Alles lässt sich indes nicht planen, wie man auch an den aktuellen Absagen verschiedener asiatischer Messen aufgrund des Coronavirus sieht. Die Engadiner Luft zumindest scheint dem Design- und Kunst-Business zuträglich zu sein.

Die Zürcher Galeristin Angela Weber nahm zum zweiten Mal an der «Nomad St. Moritz» teil. Im Vordergrund ist ein Tisch aus Beton und Bronze von Silas Seandel zu sehen. (Foto: Filippo Bamberghi)

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