Wegweisende Lehrer

Susanna Koeberle
21. 11月 2019
Josef Albers, «Homage to the Square», 1950, © 2019 The Josef and Anni Albers Foundation/Artist Rights Society (ARS), New York/Pro Litteris, Zürich (Foto: Tim Nighswander/Imaging4Art)

Das Bauhaus-Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu. Und ich bin fast ein wenig froh darüber. Denn die Übermediatisierung und die beliebige Berichterstattung hatten bei mir nicht den gewünschten Effekt: Irgendwann hatte ich genug vom Bauhaus. Bis ich wieder einmal das Bauhaus-Manifest von Walter Gropius zur Hand nahm und sagen musste: Doch, die Idee «der Sammlung alles künstlerischen Schaffens zur Einheit» ist nicht passé, sondern auch heute noch aktuell. Auch die Rolle des Handwerks für die Baukunst wird zu Recht wieder diskutiert. Nur, daraus einen neuen Menschen oder gar einen neuen Glauben herleiten zu wollen, ist etwas gar dick aufgetragen. Pathos und Nostalgie haben schnell etwas Altbackenes und Rigides. Solch dogmatische Projekte haben eben auch ihre Schattenseiten. Das Experiment Bauhaus dauerte 14 Jahre; 1933 musste die Schule auf Druck der Nationalsozialisten schliessen. Josef Albers war Bauhaus-Schüler und der erste, der später selbst an der Schule unterrichtete. Unter dem letzten Leiter des Bauhauses, Ludwig Mies van der Rohe, wurde er dessen Stellvertreter. Nach der Schliessung der Schule verliess er zusammen mit seiner Frau Anni (auch sie eine «Bauhäuslerin») Deutschland und emigrierte in die Vereinigten Staaten. Dort unterrichtete er mehrere Jahre am Black Mountain College, bevor er an die Yale University wechselte. 1954 und 1955 kehrte er jeweils für kurze Zeit nach Europa zurück, um als Gastprofessor an der Schule für Gestaltung in Ulm zu unterrichten. Dies tat er auf Einladung seines Freundes und ehemaligen Schülers Max Bill, damals Direktor in Ulm. 

Josef Albers, Farbstudie für «Homage to the Square», n.d., © 2019 The Josef and Anni Albers Foundation/Artist Rights Society (ARS), New York/Pro Litteris, Zürich (Foto: Tim Nighswander/Imaging4Art)

Am Bauhaus arbeitete Josef Albers vor allem mit dem Werkstoff Glas, erst in den USA wandte er sich der Malerei zu. Dieser wichtigen Phase seines Schaffens widmet sich nun eine Ausstellung im Museo Villa dei Cedri in Bellinzona. Das Museum ist auf Arbeiten auf Papier spezialisiert und besitzt selbst eine grosse Sammlung entsprechender Werke. Mit einer Reihe von Ausstellungen über wichtige Persönlichkeiten der Kunstgeschichte möchte die Direktorin Carole Haensler den Fokus auch auf Erneuerer des künstlerischen Diskurses der Nachkriegszeit richten. Als ein solcher darf Josef Albers durchaus gelten, gerade auch durch seine Arbeit als Pädagoge, welche eine ganze amerikanische Künstlergeneration (etwa die Vertreter*innen der «Minimal Art») prägte. Die Ausstellung «Josef Albers: Anatomia di Omaggio al Quadrato» kreist um Albers’ künstlerische und intellektuelle Forschungsarbeit zum Thema Farbe und Wahrnehmung. Die Serie «Homage to the Square», mit der Albers 1950 begann und an der er bis zu seinem Tod im Jahr 1976 arbeitete, ist sein bekanntestes Werk. Die Zusammenstellung farbiger, ineinander verschachtelter Quadrate wirft Betrachter*innen auf ihre eigene Wahrnehmung zurück. 

Josef Albers, Studie für «Homage to the Square»: «Unexpected Turn», ca. 1959, © 2019 The Josef and Anni Albers Foundation/Artist Rights Society (ARS), New York/Pro Litteris, Zürich (Foto: Tim Nighswander/Imaging4Art)

«Was ist Wahrheit?», scheinen diese Arbeiten zu fragen. Albers’ Recherche ist eine Form der Erziehung unserer Sehgewohnheiten und das im wortwörtlichen Sinne. Der Künstler gab nämlich auch Anleitungen zum Anfertigen solcher Arbeiten, es ging ihm also nicht um das Vorführen seines Könnens, sondern um einen Austausch und das Offenlegen des künstlerischen Prozesses. Später liess er von den «Squares» auch Serigrafien herstellen. In Bellinzona können Besucher*innen den Prozesscharakter dieser Arbeit über verschiedene vorbereitende Zeichnungen nachvollziehen. Der intime Charakter der Räume und die kleine Auswahl an Arbeiten schaffen eine Form der Entschleunigung, welche sich positiv auf die Wahrnehmung auswirkt. Die Farben beginnen ein Eigenleben zu führen, ihre Interaktion wird plastisch spürbar: Die Bilder entwickeln eine ganz spezielle Sogwirkung. Was unsere Aufnahmekapazität betrifft, sind wir eben doch nicht viel «weiter» gekommen, trotz der täglich auf uns einstürzenden Bilderflut. Die Ausstellung versteht sich auch als implizite Reflexion über die Rolle des Museums für unsere Gesellschaft. Und das geht eben auch ohne grosses Bauhaus-Traritrara. 

Den städtischen Raum lesen

Welche Rolle Lehrer sowohl für unsere persönliche Entwicklung wie auch auf gesellschaftlicher Ebene spielen können, macht auch das «Seminario Internazionale di Progettazione» in Monte Carasso deutlich. 1979 von Luigi Snozzi als Teil seines Schritt für Schritt voranschreitenden Entwurfs («a passo d’uomo» wie Snozzi sagt) für das Dorf initiiert, wird das «Seminario» heute von einem Viererteam weitergeführt. Es besteht aus seinen Schülern Mario Ferrari, Michele Gaggetta, Giacomo Guidotti und Stefano Moor. Snozzi ist zwar offiziell immer noch Leiter, hat sich aber weitgehend zurückgezogen – das ist durchaus legitim im Alter von 87 Jahren. Anlässlich der Verleihung des Prix Meret Oppenheim wurde verschiedentlich betont, Snozzis grösstes Werk sei seine Tätigkeit als Lehrer gewesen. Auch heute ist das Weiterführen seines Denkens ein zentrales Anliegen des jährlich stattfindenden «Seminario». Während der Fokus früher auf der Entwicklung des Dorfes Monte Carasso selbst lag, hat sich das Schwergewicht seit einigen Jahren auf grössere städtebauliche Fragen zum wachsenden Siedlungsgebiet rund um Bellinzona verlagert. Als Snozzi Ende der 1970er-Jahre vom damaligen Bürgermeister nach Monte Carasso gerufen wurde, ging es zunächst um eine ganz konkrete Bauaufgabe, nämlich den Bau einer Schule. 

Snozzis Arbeit trägt bis heute wesentlich zur städtischen Identität von Monte Carasso bei. Alles begann mit dem Auftrag für ein Schulhaus. (Foto © Filippo Simonetti)

Dieser Prozess wurde aber nicht einfach von oben diktiert, sondern geschah in Kooperation mit dem Bürgermeister und der Bevölkerung. Bis heute zeugt das Dorf von einer genuinen Form des Wachstums, das mit wenigen Regeln (Snozzi definierte für den Bebauungsplan sieben) eine dörfliche Struktur schafft und damit eine intelligente Form der Verdichtung ermöglicht. Das macht einzelne Bauten nicht schöner, kreiert aber eine lesbare äussere Form. Dass auch die Bevölkerung diesen Prozess mitträgt, zeigt die demographische Entwicklung von Monte Carasso. Die Arbeit am Territorium (der Begriff «territorio» ist auf Italienisch fast mehrschichtiger, weil er geographische, politische und landschaftsarchitektonische Aspekte beinhaltet) geht derweil weiter. Die urbane Entwicklung in der Magadinoebene zwingt zu genauer Planung, denn die geographische Lage mit dem Fluss Ticino im Tal sowie den umliegenden Bergen gibt zwar ein Korsett vor, macht aber die Situation nicht einfacher – im Gegenteil. Dass man für einen international ausgeschriebenen Wettbewerb um die Entwicklung eines Masterplans für Bellinzona die Fachleute von Monte Carasso nicht angefragt hat, erstaunt. Ihr Bottom up-Modell jedenfalls hat sich bewährt.

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