Das alte Haus von Rocky-Docky

architektick
27. augustus 2020
Haus «Fraissa» im Zentrum von Valendas von Südosten gesehen (Foto: Sven Schönwetter)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Als wir das Haus «Fraissa» zum ersten Mal sahen, wirkte es innen wie aussen ziemlich mitgenommen. Es war unbewohnbar, und man konnte teilweise durch alle Geschosse hindurchschauen: Ein verlassenes, einsames Haus – jedoch mit ungebrochen starkem Charakter.

Das denkmalgeschützte Gebäude aus dem 18./19. Jahrhundert liegt im Zentrum von Valendas und ist eines der frühesten Beispiele des Biedermeier-Stils im Dorf. Es ist etwas eigenwillig: Die regelmässig angeordneten Fensterstöcke sind teilweise oder ganz ausgefacht, weil im Inneren ein Fenster gerade nicht so passend gewesen wäre – man hat sich da früher gewisse Freiheiten genommen. Das Haus besitzt im Dorfleben seinen festen Platz: Alle, egal ob alt oder jung, können eine Geschichte zum «Italiener-Haus» erzählen. Unsere Bauherrschaft – mit einer grossen Passion zum Safiental – entwickelte eine immer stärker werdende Faszination für das lange Zeit leerstehende Haus und erwarben es schliesslich.Wir fanden das sehr mutig, teilten aber sofort ihre Begeisterung.

Der Umbau erfolgte auf der Basis der ursprünglichen Grundstruktur. Die Raumaufteilung wurde im Wesentlichen beibehalten. Im Eingangsgeschoss befinden sich nun ein Studio und die Nebenräume. In den Obergeschossen entstanden zwei 2,5-Zimmer-Wohnungen, und zuoberst wurde eine stattliche Dachgeschosswohnung eingebaut. Die Erschliessung der beiden oberen Wohnungen erfolgt über ein neues Treppenhaus im nordwestlichen Gebäudeteil.

Nach der Gesamtsanierung und dem Umbau ist das Haus wieder ein lebendiger Bestandteil des Dorfes und bietet in den zeitgemässen Mietwohnungen Platz für Einheimische und neue Dorfbewohner*innen.

Stube im 1. Obergeschoss (Foto: Sven Schönwetter)
Treppenhaus (Foto: Sven Schönwetter)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Das Haus selbst hat uns inspiriert. Es ging uns denn auch nicht darum, das Haus neu zu erfinden, sondern lediglich neu zu interpretieren.

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Valendas verfügt über ein sehr intaktes Ortsbild, welches zu Recht als von nationaler Bedeutung eingestuft wurde. Patrizierhäuser und einfachere Bauten mit Scheunen stehen dicht an dicht und säumen die Strassen – ein sehr spannendes Zusammenspiel. Die «Fraissa» war ein einfaches Haus und sollte es auch bleiben.

Küche im 2. Obergeschoss (Foto: Sven Schönwetter)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die Umgestaltung wurde in regem Austausch mit unseren Auftraggeber*innen und in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege geplant und umgesetzt. Der Bauherrschaft war es sehr wichtig, möglichst viel von der historischen Substanz zu erhalten oder zumindest wiederzuverwenden. Dabei ging es nie um Konservierung, sondern um die Pflege und das Fortschreiben der Geschichte des Hauses.

Stube im 2. Obergeschoss (Foto: Sven Schönwetter)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Die «Fraissa» hatte natürlich kein Treppenhaus gemäss heutiger Vorstellungen und Normen, sondern lediglich eine Stiege. Um den Eingriff im Inneren möglichst gering zu halten, verfolgten wir anfangs die Idee eines eigenständigen, aussenliegenden Treppenturmes. Bald mussten wir diese aber aus verschiedenen Gründen fallen lassen. Stattdessen gibt es nun eine neue, komfortable «Stiege» – eine vom Bestand losgelöste, gewendelte, orthogonale Mittelholm-Treppe, wie wir sie nennen…

Wohnraum im Dachgeschoss (Foto: Sven Schönwetter)
Zimmer im Dachgeschoss (Foto: Sven Schönwetter)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Das Haus ist unser erstes umgesetztes Projekt in den Alpen. Grundsätzlich zeigen unsere Gebäude ein breites Themenspektrum auf und reichen von kleinen Um- und Anbauten bis zu grossen Überbauungen. Wir versuchen bei allen Vorhaben, eine möglichst hohe Qualität zu erreichen – das ist der gemeinsame Nenner. Bei historischen Bauten spielt das Vorhandene, handwerklich Hochwertige eine wichtige Rolle, mit ihm setzen wir uns intensiv auseinander. Im konkreten Fall war das nicht anders. 

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Ein so altes Schutzobjekt bringt man nicht so einfach auf den «aktuellen Stand der Technik». Der Entscheid, drei Geschosswohungen zu realisieren, machte die Sache nicht einfacher. Es galt daher, immer wieder Kosten und Nutzen sorgsam abzuwägen und zu überlegen, welche Massnahme sinnvoll ist und zu einem kohärenten, qualitätsvollen Endergebnis führt.

Fenster im Dachgeschoss (Foto: Sven Schönwetter)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Es wurden prinzipiell rein natürliche Produkte und Materialien eingesetzt. Dies dient der historischen Authentizität und ist natürlich auch ökologisch sinnvoll. Für die weissen Fassaden und die verputzten Innenwände wurden zum Beispiel kalkbasierte Putze verwendet und ohne weitere Behandlung aufgebracht. Die Putzmischungen hat der Unternehmer eigens entwickelt und vor Ort hergestellt. Auf Holzwerkstoffe haben wir verzichtet, stattdessen wurde ausschliesslich Massivholz aus dem nahen Wald verbaut.

Entscheidend waren schliesslich die sehr guten Handwerker, die mit traditionellen Arbeitsweisen noch vertraut sind und ihr grosses Wissen mit Freude einbrachten.

Situation
Grundrisse von oben links nach unten rechts: Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss, Dachgeschoss
Schnitt
Name des Bauwerks
Haus «Fraissa»
 
Standort 
Freissen 1, 7122 Valendas
 
Nutzung
Wohnhaus
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Dagmar Steinemann und Marius Hagger, Zürich
 
Architektur
architektick Tina Arndt & Daniel Fleischmann, Zürich
Projektleitung: Tina Arndt, Daniel Fleischmann
Mitarbeit: Lorena Patiño
 
Fachplaner 
Bauingenieur: biro d'inschignier Blumenthal, Ilanz
Bauphysik: Martin Kant Bauphysik, Chur / GR
 
Bauleitung 
Philipp Imboden und Adriana D'Inca, Chur
 
Jahr der Fertigstellung
2019
 
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 1,85 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2
CHF 1,79 Mio.
 
Gebäudevolumen 
1'275 m3 (SIA 416)
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
Instandsetzung, Steinmetz, Zimmermann und Putzarbeiten: Baukunst Graubünden GmbH, Illanz/Glion  
Fenster: Vogel Fensterbau AG, Goldach
Bedachung: Bisquolm GmbH, Ladir
Schreiner: Cahenzli Holzbau Schreinerei, Trin-Mulin 
Treppenanlage: treppenbau.ch AG, Ganterschwil
 
Fotos
Sven Schönwetter, Chur

Uitgelicht project

Nau2

Arealüberbauung RB Lägern-Baregg

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