Italienische Grandezza am Zürichsee

Annette Gigon / Mike Guyer Architekten
12. december 2019
Der Neubau fügt sich als Solitär in die bestehende Blockrandbebauung, der grosszügige Vorplatz ersetzt die vormaligen Parkplätze. (Foto: Roman Keller)
Name des Bauwerks Bürogebäude an der Claridenstrasse
Ort Claridenstrasse 35, Zürich
Nutzung Bürobau
Auftragsart Projektwettbewerb 2014
Bauherrschaft Internationale Balzan Stiftung-Fonds
Architektur Annette Gigon / Mike Guyer Architekten, Zürich: 
Wettbewerb: Stefan Thommen, Daniela Schadegg, Ivana Beljan
Planung/ Ausführung: Stefan Thommen (Teamleitung), Christoph Lay (Projektleitung), Cornelia Schmidt (Projektleitung Mieterausbau), Lukas Taller, Franziska Bächer
Fachplaner Landschaftsarchitektur: Schmid Landschaftsarchitekten GmbH, Zürich | Statik: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure AG, Zürich | Elektrotechnik, HLKKS und MSRL: Amstein+Walthert AG, Zürich | Bauphysik und Akustik: BAKUS Bauphysik & Akustik GmbH, Zürich | Brandschutz: Gruner AG, Basel und Zürich | Fassadenplanung: gkp fassadentechnik ag, Aadorf | Verkehrsplanung: Enz Partner GmbH, Zürich
Bauleitung, Kosten und Terminplanung Ghisleni Partner AG, Rapperswil und Zürich
Jahr der Fertigstellung 2018
Gebäudevolumen 13'297 m3
Massgeblich beteiligte Unternehmer Baumeisterarbeiten: Briner Bau AG, Stäfa, ZH | Fassade: Schweizer Ernst AG, Hedingen, ZH | Kunststein Fassade: K. Studer AG, Frick, AG (Subunternehmer, im Auftrag von Ernst Schweizer AG) | Elektroarbeiten: Etavis AG, Zürich | Leuchten: Fluora Leuchten AG, Flawil, SG | Heizungs- und Kälteanlagen: Alpiq InTec Ost AG, Zürich | Lüftungsanlagen: Airba AG, Winterthur | Sanitäranlagen: Sutterlüti AG, Zürich | Aufzugsanlagen: AS Aufzüge, St. Gallen | Gipserarbeiten: Hitz Gimaltec AG, Thalwil, ZH | Schreinerarbeiten: Zimmereigenossenschaft Zürich | Terrazzobeläge: Brun del Re Terrazzo AG, Fällanden, ZH | Malerarbeiten: Vocat AG, Zürich | Umgebungsarbeiten: Häuser Gärten AG, Näfels, GL
Fotos Roman Keller
Liegende Kunststeinelemente verkleiden die Stirnseiten der Betondecken, stehende Metallprofile die Metall-Beton-Verbundstützen. Repetition und Variation letzterer resultieren in einem unterschiedlich weiten Fassadenraster für die flexible Raumunterteilung im Inneren. Ihre Perforationen wiederum machen nicht nur den verkleidenden Charakter sichtbar, sondern auch die Doppelfunktion der Metallprofile als «luftspendende Kanäle» für die dahinter befindlichen Lüftungsklappen. (Foto: Roman Keller)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Das neue Bürohaus der Balzan Stiftung im «financial District» von Zürich ersetzt ein Geschäftshaus aus den 1960er-Jahren. Der Vorgängerbau wies ein schönes, aber überdimensioniertes Treppenhaus auf und verfügte deswegen über zu wenig Büroflächen, war unflexibel und seine Energiekennwerte waren schlecht. Zudem genügte er den heutigen Brandschutzanforderungen nicht mehr.

Das statische und energetische Konzept des Neubaus ist darauf ausgerichtet, möglichst geringe Deckenaufbauten zu erreichen. Innerhalb der vorgegebenen Bauhöhe konnte dadurch ein zusätzliches Geschoss realisiert werden. Überdies wurden die inneren Raumhöhen maximiert. Das Haus hat nun sieben, statt ehedem sechs Geschosse. Es fusst auf den beiden bestehenden Untergeschossen des Altbaus.

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die Idee war, ein Gebäude zu konzipieren, das die strengen Regeln des Bürobaus erfüllt und diese gleichzeitig thematisiert beziehungsweise sie auch immer wieder bricht. So zum Beispiel die Abbildung der Tragstruktur («Typical Plan» als Domino-Typ) an der Fassade, oder das Fassadenraster im Abstand von etwa 135 Zentimeter, aber auch die Verdoppelung des Rasters, oder die perforierten Metallelemente der Fassade, in Form von Rohren und Kanälen, die Lufteinlass und Verkleidung zugleich sind. Der Ausdruck des Gebäudes oszilliert zwischen einer gemessenen und einer auffälligen Erscheinung. Letzteres war ein expliziter Wunsch der Bauherrschaft.

Terrazzoboden und grosse Leuchten in der doppelgeschossigen Eingangshalle (Foto: Roman Keller)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?

Der Neubau ist wie sein Vorgängergebäude ein Solitär. Gleichwohl ist er so gesetzt und dimensioniert, dass er sich als neuer Bestandteil in die bestehende Blockrandbebauung eingliedert. Mit seiner Fassade aus Kunststein nimmt der Bau Bezug auf die übrigen Gebäude im Quartier, die mehrheitlich durch die Verwendung von Stein geprägt sind, und kontrastiert sie gleichzeitig. Ein grosszügiger Vorplatz zur Strasse mit einem Belag aus gebrochenen Steinplatten und begrünten Kiesfugen erinnert an die im ehemaligen Wohnquartier Zürich-Enge noch immer vorgeschriebenen Vorgärten und ersetzt gleichzeitig die Parkplätze des Altbaus. 

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Die Bauherrschaft suchte über den Projektwettbewerb ein identitätsstiftendes, nachhaltiges und flexibel nutzbares Gebäude, das sich städtebaulich in die Blockrandstruktur einfügt. Der Planungsprozess wurde in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung durchgeführt. Während der Arbeiten fanden Bauherrschaft und Mieterin zum richtigen Zeitpunkt zueinander, sodass wir zusammen mit dem Grund- auch den Innenausbau realisieren konnten. Die Raumeinteilung, die integrierten Möbel, die Teeküchen und die eigens entwickelten LED-Leuchten sind Bestandteil der Architektur und liessen – in Abstimmung mit allen Beteiligten – ein Gesamtwerk entstehen. Die doppelgeschossige Eingangshalle mit hellem Terrazzoboden und mächtigen Leuchten verleihen dem Raum italienische Grandezza in Anlehnung an die Wurzeln der Stiftung.

Die Zuluft wird an den Fassaden angesogen und mittels dezentralen Bodenkonvektoren konditioniert an die Räume abgegeben. (Foto: Roman Keller)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?

Bedeutende Änderungen gab es nur wenige. Unser Entwurf für den Projektwettbewerb kam dem nun realisierten Gebäude bereits sehr nahe: ein allseitig orientierter, regelmässig strukturierter Körper mit annähernd quadratischer Grundform. Von Beginn an war der Eingang mit einer doppelgeschossigen Halle aus städtebaulichen Gründen an der dem Bleicherweg zugewandten Ecke vorgesehen. Durch den innenliegenden Kern und die Fassadenstruktur ist unser Projekt – verglichen mit dem Bestandsgebäude – sehr flexibel.

Die Gestaltung der Fassade blieb konzeptionell ebenfalls unverändert. Horizontale, mit Kunststeinelementen verkleidete Bänder zeichnen die Geschossdecken nach und vertikale, unterschiedlich ausgeformte Metallelemente verkleiden sowohl die Stützen als auch die Lüftungsöffnungen. Eine differenzierte Rhythmisierung des Fassadenrasters bestimmt die Ansichten. Dies wurde im Jurybericht lobend erwähnt, jedoch noch mit dem Einwand, die Eleganz könne anhand der Pläne nicht vollumfänglich überprüft werden. Glücklicherweise konnten wir die Idee der Bauherrschaft in den Sitzungen vermitteln. Hinsichtlich der Materialisierung hatten wir in der ersten Stufe des Wettbewerbs einen hellen Naturstein vorgeschlagen, in der zweiten dann eine dunklere Mischung mit drei verschiedenfarbigen Natursteinen, die schliesslich umgesetzt wurde.

Wichtige Änderungen gab es hinsichtlich der Untergeschosse und der Erschliessung der Einstellhalle. Im Wettbewerb hatten wir noch vorgeschlagen, ein neues Untergeschoss zu erstellen. In der weiteren Planung wurde jedoch klar, dass die beiden bestehenden erhalten werden konnten – auch aus bewilligungs- und bautechnischen Gründen.

Die ursprünglich vorgesehene Rampe hinab zur Parkgarage wurde durch einen Autolift ersetzt. So ist die Fläche um das Gebäude frei. Wo beim Vorgängerbau im südwestlichen Gebäudezwischenraum eine offene Rampe in die Einstellhalle im Untergeschoss führte, wachsen nun entlang der Lobby verschiedene Weidenarten.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Bereits für den Wettbewerb wurden die Tragwerks- und HKL-Ingenieure beigezogen. In enger Zusammenarbeit konnten das statische und das energetische Konzept des Gebäudes so optimiert werden, dass, wie bereits eingangs angesprochen, ein zusätzliches Geschoss möglich wurde. Der tragende und aussteifende Kern sowie moderate Spannweiten und Stützenabstände erlauben schlanke Betondecken, in die (unsichtbar) streifenförmige schallabsorbierende Elemente und die Rohre des thermoaktiven Bauteilsystems (TABS) integriert wurden. Eine dezentrale Lüftung mit Fassadenkonvektoren und zentraler Abluft erlaubt eine geringe Aufbauhöhe für den Hohlboden. Das Energiekonzept für den kompakten Baukörper baut auf dem mit Seewasser gespeisten Anergienetz für die Heizung und Kühlung auf, auch ein automatisierter Sonnenschutz und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach sind vorhanden.

Durch die Perforation der vertikalen Fassaden-Metallprofile bieten die schmalen Öffnungsflügel in jeder zweiten Achse individuelle, wettergeschützte Lüftungsmöglichkeiten. (Foto: Roman Keller)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Am augenfälligsten ist sicherlich die Fassade aus liegenden Kunststeinelementen und stehenden Metallprofilen. Sie zeichnen die innere Tragstruktur aus Betondecken und Stahl-Verbundstützen aussen nach. Die horizontalen, vorgefertigten Elemente aus geschliffenem Beton verkleiden die isolierten Deckenstirnen und nehmen Bezug auf die Terrazzoböden im Inneren. Vertikale Metallprofile aus eloxiertem Aluminium verhüllen die tragenden Stützen und die individuell bedienbaren, schmalen Lüftungsflügel in den Bürogeschossen. Die Metallprofile sind rechteckig oder gerundet ausgeformt, teilweise perforiert und wecken Assoziationen mit Stützen ebenso wie mit «Lüftungskanäle» für die Frischluft.

In den Innenräumen sind eigens entwickelte Wand- und Deckenleuchten eingesetzt: LED-Leuchten mit einem rechteckigen Gehäuse aus weissem, opaken Acrylglas. Die Sockelplatten der Deckenleuchten im Farbton der Fassadenprofile interagieren mit gleichfarbigen Lüftungselementen, Brandmeldern und Revisionsöffnungen.

Lageplan
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 5. Obergeschoss
Grundriss 6. Obergeschoss
Schnitt A
Schnitt B

Uitgelicht project

nmpa | nimmrichter matthiesen partner architekten

Haus Zürichsee

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