Panta rhei – alles ist im Fluss

Rapp
16. februari 2023
Das Elektrizitätsmusem (links) und das Science- und Erlebniscenter (rechts) bilden zusammen den Primeo Energie Kosmos. (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Herr Wieckowicz, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Der Primeo Energie Kosmos ist ein Science- und Erlebniscenter für Bildung und Wissensvermittlung, in dem alle Interessierten und insbesondere Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen die Themen Klima und Energie interaktiv erleben können. Anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums von Primeo Energie wurde das bereits bestehende Elektrizitätsmuseum saniert und mit dem Neubau ergänzt. Sowohl im sanierten und modernisierten Altbau als auch im Neubau ist erlebbar, was der Klimawandel bedeutet und wie die Energiewende geschafft werden kann. Zugleich setzt sich der Neubau konkret mit den Themen Klimaschutz, Energie und Nachhaltigkeit auseinander: Mehr als zwei Drittel seiner Bauteile sind wiederverwendet, recycelt oder aus nachwachsenden Rohstoffen. Sie stammen, wann es immer möglich war, aus der Region, um graue Energie zu vermeiden. Wenn Re-Use aus statischen, juristischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich war, sollte das neue Material zumindest wiederverwertbar sein, also hochwertig und von dauerhafter Qualität, sortenrein und unbehandelt, damit es in der Zukunft dem Kreislauf zugeführt werden kann. Ein rezykliertes Gebäude, das selbst wieder rezyklierbar ist, war das erklärte Ziel.

Beim Erweiterungsbau wurden möglichst viele rezyklierte Bauteile und ökologisch verträgliche Baustoffe eingesetzt. (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Die Aussenfassade besteht aus alten Profilen von Strommasten, und die Fassadenverkleidung ist aus aussortierten Platten von anderen Baustellen gefertigt. (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Die Holzdielen in den Obergeschossen stammen zur Hälfte aus einem Bootshaus in Kaiseraugst, das 1911 erbaut wurde. (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Der Bauherr engagiert sich als Energieversorger für Nachhaltigkeit. Indem er ein Center für die Wissensvermittlung eingerichtet hat, schärft er das Bewusstsein für die Energiewende und die Klimaneutralität. In diesem Sinne war die Entscheidung konsequent, das Gebäude selbst vorwiegend zirkulär zu erbauen.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Die 60 Jahre alten Hochspannungs-Gittermasten sollten ursprünglich als tragende Konstruktion eingesetzt werden, doch da die aussenliegenden Gänge auch als Fluchtweg dienen, liessen die Baubestimmungen dies nicht zu. So bilden die ehemaligen Strommasten jetzt ein Rankgerüst für Kletterpflanzen, das der Verschattung und damit dem (Raum)Klima dient. Zudem sind die Laubengänge eine nicht zu beheizende Erschliessungszone, sodass das Innenvolumen reduziert werden konnte. Innen ist das Masten-Motiv an den Brüstungen wiederzufinden.

Blick vom Erdgeschoss in den Galeriebereich (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Wendeltreppe im 1. Obergeschoss (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Im 2. Obergeschoss ist das Rohmaterial der Treppe sichtbar. Für die Stufen wurde das Holz der provisorischen Bautreppe verwendet. (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten auf dem Gelände ein?


Der Neubau fügt sich zwischen die fünf bestehenden Solitäre von Primeo Energie ein, verdichtet damit das Areal und ordnet es neu. Er bildet das Scharnier zwischen den Bauten, dem Flussufer der Birs und dem östlichen Hof. Zugleich ergänzt der Neubau das Angebot der permanenten Ausstellung im bestehenden Elektrizitätsmuseum durch Workshop- und Veranstaltungsräume.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Das Bewusstsein für die Energiewende und die Klimaneutralität bildete eine wesentliche Grundlage für dieses Projekt. Wir befassen uns bei Rapp bereits intensiv mit Recycling und Re-Use von Bauteilen und haben inzwischen erste praktische Erfahrungen gesammelt. Das Projekt ist Teil einer Studie des Bundesamts für Energie. Mit dieser wird analysiert, wie gross die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen einer Kreislaufwirtschaft über den gesamten Lebenszyklus von Bauprojekten tatsächlich sind.

Die Küche stammt von der Basler Bauteilbörse in Klybeck. (Foto: © Beat Ernst)
Die Trennwände der Toiletten bestehen aus 100-jährigen Türen, Wand- und Bodenplatten. Auch die Leuchten, die teils repariert und mit modernen Leuchtmitteln ausgestattet wurden, sind wie die Waschbecken und Armaturen gebrauchte Teile. (Foto: © Beat Ernst, Basel)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Eine zentrale Rolle spielen die 60 Jahre alten Hochspannungs-Gittermasten, die als Schrottmaterial dem Netzbetreiber Swissgrid abgekauft wurden. Anstatt eingeschmolzen zu werden, ummanteln sie jetzt die Laubengänge, die ihrerseits eine stählerne Gitterstruktur um den hölzernen Kubus bilden. Das dreigeschossige Hauptvolumen ist ein reiner Holzskelettbau mit grossen Spannweiten von rund sieben Metern. Die Konstruktion aus roh belassenem, unverkleidetem Massivholz aus der Region ist im Innern sichtbar.

Die Holzdielen in den Obergeschossen stammen zur Hälfte aus einem Bootshaus in Kaiseraugst, das 1911 errichtet wurde. Andere alte Bauteile im Innenausbau kommen aus der Basler Bauteilbörse in Klybeck, darunter eine komplette Küche. Alle Nasszellen sind fast ausschliesslich mit ausrangierten Elementen wie Waschbecken, Trennwänden oder Armaturen eingerichtet, und die gefliesten Oberflächen stammen aus Restposten beziehungsweise aus aussortierten Produktionen. Das gesamte Beleuchtungskonzept basiert auf Leuchten aus Abrissobjekten. Dafür wurden die Leuchten teilweise repariert und mit modernen LED-Leuchtmitteln bestückt. 

Bei der Fassadenverkleidung des Holzbaus konnte auf Restmaterial von der Baustelle einer grossen Wohnsiedlung im Raum Luzern zurückgegriffen werden. Der günstige Verschnitt aus Kompaktlaminat bestand aus unterschiedlich grossen Teilen, was einen Mehraufwand bei der Planung und Montage sowie ästhetische Kompromisse erforderte.

Situation (© Rapp AG)
Grundriss Erdgeschoss (© Rapp AG)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Rapp AG)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Rapp AG)
Grundriss Dachgeschoss (© Rapp AG)
Längsschnitt (© Rapp AG)
Querschnitt (© Rapp AG)
Bauwerk
Primeo Energie Kosmos
 
Standort
Weidenstrasse 6, 4142 Münchenstein
 
Nutzung
Museum
 
Auftragsart
Wettbewerb 
 
Bauherrschaft
Primeo Energie, vormals EBM (Genossenschaft Elektra Birseck Münchenstein) 
 
Architektur
Rapp AG, Münchenstein
Jacek Wieckowicz
 
Fachplaner 
Tragwerksplaner: Rapp AG, Basel
Landschaftsarchitektur: Bryum GmbH, Basel
Forschungspartner: EPFL Structural Xploration Lab, Lausanne
Generalplaner: Rapp AG, Basel
Heizungs- und Lüftungsplaner, Bauphysiker: Waldhauser+Hermann AG, Münchenstein
Elektroplaner: Pro Engineering AG, Basel
Sanitärplaner: Anima Engineering AG, Basel
Brandschutzplaner: Rapp AG, Basel
Akustikplaner: Rapp AG, Basel
Solarplaner: aventron AG, Zürich
Ausstellungsplaner: Bellprat Partner AG, Zürich
 
Fertigstellung
2022 
 
Gebäudevolumen
2500 m3 (gemäss SIA 416; ohne Laubengänge und Pergola sowie ohne Aufzug: 2800 m3)
 
Energiestandard
Aussenhülle: Minergie-Standard (keine mechanische Lüftung, deshalb innen kein Minergie-Standard)
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
Baumeister: ERNE AG Bauunternehmung, Laufenburg
Gerüst: Lovecchio AG, Basel
Montagebau in Stahl und Holz: Stamm Bau AG, Arlesheim
Fassade: Stamm Bau AG, Arlesheim
Fenster und Eingangstüren: Gerber-Vogt AG, Allschwil
Flachdacharbeiten: NEZ Flachdach & Spenglerei GmbH, Liestal
Storen: Schenker Storen AG, Reinach
Elektro: Etavis Kriegel & Schaffner, Basel
Heizung und Lüftung: Rosenmund Haustechnik AG, Basel
Sanitär: Rosen Haustechnik AG, Basel
Aufzüge: Meier + Co AG, Niedergösgen
Faltwand: Link Elementtechnik AG, Volketswil
Innentüren aus Holz: Jäggi AG, Arlesheim
Bodenbeläge aus Holz: Stamm Bau AG, Arlesheim
Plattenarbeiten: Reinhard Ott AG, Arlesheim
 
Fotos
Beat Ernst, Basel

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