Werner Bischofs Blick auf Japan

Nadia Bendinelli
15. februari 2022
Michiko Jinuma im Zug, Tokyo, Japan, 1951 (© Werner Bischof Estate, Magnum Photos)

 

Die Ausstellung «Werner Bischof – Japan 1951–1952» in der Bildhalle Zürich schildert einen besonderen Zeitabschnitt im Leben und im Werk des Ausnahmefotografen. Sein Sohn Marco, der sich um den umfangreichen Nachlass des Vaters kümmert, ist für meinen Besuch der beste Begleiter, den ich mir wünschen kann. Denn von seiner Expertise abgesehen interessiert mich der persönliche Bezug. Er führt mich durch die Schau, aber vielmehr auch durch ein Lebenskapitel, das Einblick in die Wertvorstellungen und die Haltung seines Vaters gibt. Japan bedeutete Werner Bischof sehr viel. Deswegen war es Marco wichtig, diesem Kapitel jetzt eine eigene Ausstellung zu widmen.

 

Meiji-Schrein, Tokyo, Japan, 1951 (© Werner Bischof Estate, Magnum Photos)
Gegensätze

Nach sechs Monaten in Indien reiste Bischof 1951 für ein Jahr nach Japan. Das Land sollte Ausgangsort für neue Reportagen sein, etwa zu den Auswirkungen des Koreakrieges. Seine Fotografien der Zustände in Indien, insbesondere der Hungersnot in Bihar, wurden vom Magazin Life publiziert. Dies brachte ihm internationale Anerkennung ein. Zugleich sei es aber «eine sehr toughe Zeit» gewesen, erklärt Marco. Was sein Vater in Indien sah, konnte niemand kaltlassen. 

Es folgten weitere fotojournalistische Aufträge: Flüchtlinge, Notlösungen, Feldspitäler, Lager, Hunger. Die frühen 1950er-Jahre waren eine erschütternde Zeit. Viele Erfahrungen in internationalen Krisengebieten liessen Bischof mehr und mehr am Fotojournalismus zweifeln. War das wirklich die richtige Aufgabe für ihn? Denn sein Interesse galt immer den Menschen und nicht der Sensation. Auch in schwierigen Situationen wollte er sich Zeit nehmen, beobachten, manchmal zuerst zeichnen und erst dann mit tieferem Verständnis der Lage fotografieren, um eine Geschichte zu erzählen, um die menschliche Lage klarzumachen. Wie zuvor schon in Indien prallte seine Vorstellung, wie die Arbeit gemacht gehört, heftig mit jener der «Hyänen der Presse» aufeinander. Bischof meinte mit seiner Schimpfwortkreation nicht nur die Fotojournalisten selbst, sondern auch die ganze Maschinerie im Hintergrund. An der Oberfläche zu schwimmen und ahnungslos von einem Schauplatz zum anderen zu eilen, war definitiv nichts für ihn.

In Indien handelte er noch aus der Überzeugung, dass man mit Bildern des Elends etwas bewegen könne. Aber wie bei anderen Kriegsfotografen und Kriegsfotografinnen zerbrach diese mit der Zeit. Wie ging Werner Bischof mit den Zweifeln an seiner Arbeit um? Was hat ihn bewogen, trotz allem weiterzumachen? «Zweifel waren bei ihm schon immer da. Er hatte aber grossen Mut, um dem entgegenzuwirken. Sein ethischer Kompass und seine klare Vorstellung von dem, was er sein wollte, und davon, was für ihn der richtige Weg in der Fotografie war, hat ihn stets weitergebracht. Er hat sich vom Fotojournalismus verabschiedet und die Richtung verfolgt, die ihm zusagte: Er entwickelte sich zum Autorenfotografen, zum Künstler. Mit seiner Ethik und Kohärenz ist er mir ein Vorbild, ein Wegweiser», schildert Marco voll Stolz. 

 

Shinto-Priester, Ryoanji-Tempel, Kyoto, Japan, 1951 (© Werner Bischof Estate, Magnum Photos)
Japan: wie zu Hause

Japan bot eine Art Kontrastprogramm zu all dem kürzlich gesehenen Elend. So exotisch und unbekannt das Land auch sein mochte, es repräsentierte auch eine seelische Heimkunft. «Seine Persönlichkeit war eher asketisch und darum passend zur japanischen Kultur», erklärt Marco, «er suchte die Schönheit in den einfachen und alltäglichen Dingen». Während er das sagt, deutet er auf eine Fotografie, die eine Bäuerin zeigt. Man erkennt auf dem Bild fast nur ihren typischen, schön geflochtenen Strohhut als zentrales Sujet. Werner Bischof fotografierte allerlei traditionelle und alltägliche Aspekte Japans: Kyoto, die Tempelstadt mit ihren Teehäusern, die Mönche und die traditionellen Gärten; Tokyo mit seinem städtischen Leben und die Sumo-Kämpfer, die ihn an die Schweizer Schwinger erinnerten, auf eine ganz sympathische Art. Ihei Kimuras, einer der bekanntesten japanischen Fotografen jener Zeit, ermöglichte ihm den Zugang zu der faszinierenden Kultur. Wie Werner Bischof in einem Brief an Robert Capa schrieb, versuchte er sich in die Seele Japans einzuleben und die Verhältnisse von innen her zu verstehen – anders als seine amerikanischen Kollegen vor Ort, die sich den Problemen aus amerikanischer Perspektive annäherten, was mitunter zu Fehlschlüssen führte.

Im Japan der frühen 1950er-Jahre war aber nicht alles idyllisch. Bischof belichtete auch die Schattenseiten. Nach der Niederlage im Krieg herrschte eine tief betrübte Stimmung, die Scham vieler Japaner war deutlich zu spüren. Auch der Einfluss der amerikanischen Besatzer war überall zu sehen. Es entstanden Striptease-Shows zur Unterhaltung der Soldaten, die aus Kriegsgebieten zur Erholung nach Japan abkommandiert wurden. Nach japanischem Verständnis eine ehrenlose Angelegenheit, eine Schande. Traditionelle Gegenstände und Kleidungstücke waren nun überall in den Kaufhäusern als Souvenirs zu erhalten. «Diese Fotografien sind heute nicht nur formell interessant, sie sind auch zu historischen Dokumenten geworden und erzählen Hunderte von Geschichten», bemerkt Marco Bischof. «Ausserdem wurde Japan damals verhältnismässig wenig fotografiert, sodass wir heute kaum Bilder aus jener Zeit haben.»

«Das ist Michiko Jinuma, eine Modestudentin, die er für das Projekt ‹Generation-X› fotografiert und interviewt hat» – Marco zeigt mir das ausdrucksstarke Bild einer Frau im Zug. Sie ist in der Ausstellung dreimal zu sehen. Für das Projekt suchten sich die Mitglieder der Fotografengruppe Magnum Photos je eine junge Frau und einen jungen Mann rund um die Welt aus und begleiteten diese Vertreter der «young generation» einige Zeit. Zum Bericht gehörten neben Fotografien immer auch Antworten zu einem Fragebogen über Religion, Sex vor der Ehe, die UN und weitere Haltungsfragen. Bischof realisierte im Rahmen des Projekts vier Porträts, zwei in Japan und zwei in Indien. Diese Arbeit war ihm auch aus anderen Gründen teuer: Er war überzeugt, die junge Generation und die Kinder bräuchten Förderung und Unterstützung – und zwar nicht nur materiell. Geistige Nahrung sei wichtig, um einen Ausweg aus prekären Situationen zu finden.

 

Sumoringer, Tokyo, Japan, 1951 (© Werner Bischof Estate / Magnum Photos)

 

In der Ausstellung der Bildhalle Zürich befinden sich neben bekannten Aufnahmen auch neu entdeckte und noch nie publizierte Fotografien. Die Schau bietet einen Blick auf das traditionelle Japan, wie es bis heute zum Teil noch zu finden ist, aber auch eine historische Sicht auf die Realität in der Nachkriegszeit. Und natürlich erfreuen dabei die perfekt komponierten Fotografien mit ihren anmutigen Lichtspielen und ihrer Fähigkeit, Stimmungen und Gefühle unvermittelt erlebbar zu machen.

 

 

Die Ausstellung in der Bildhalle Zürich (Stauffacherquai 56, 8004 Zürich) läuft noch bis zum 26. Februar 2022. Am 24. Februar führt Marco Bischof um 19 Uhr durch die Ausstellung.

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