Altmodisch und doch aktuell – zum Tod von Christopher Alexander

Ulf Meyer
29. março 2022
Foto: Michael Mehaffy via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0


Spätestens in den 1960er-Jahren war das Vertrauen in die Funktion als Grundlage für architektonische und städtebauliche Entwürfe gründlich erschüttert und verbraucht. Kaum ein Architekturtheoretiker hat die einsetzende Skepsis gegenüber der klassischen Moderne besser auf den Punkt gebracht und befördert als der österreichisch-angloamerikanische Architekturtheoretiker Christopher Alexander. Die Moderne bezeichnete er als bankrott. Alexander ist am 17. März in Binsted, einer Ortschaft im britischen Hampshire, nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren verstorben. 

Sein Einfluss reicht über mindestens eine Generation und drei Kontinente: Seine bahnbrechenden Bücher wie «A Pattern Language» haben bleibenden Eindruck auf Architekturschaffende und Planer der Postmoderne in Europa, Japan und ganz besonders in den Vereinigten Staaten gemacht. Seine Kritik an der Moderne mag dennoch überzeugender sein als die Alternativen, die er aufzuzeigen versuchte. 

 

Polarisierender Kritiker der Moderne

Alexander war ein intellektueller Grübler, der sich seine Postulate nicht leicht machte. Er war der erste Architekt, der in Harvard promovierte. Zwar wurde Alexander in Wien geboren, doch er war durchgehend angelsächsisch geprägt: Er wuchs in Oxford auf und studierte im englischen Cambridge Architektur und Mathematik. Für seine Doktorarbeit mit dem Titel «Notes on the Synthesis of Form» wurde ihm die erste Goldmedaille für Forschung des American Institute of Architects verliehen. 

Als Alexander Professor in Berkeley in Kalifornien wurde, hatte er seinen akademischen Zenit erreicht und veröffentlichte eine Trilogie von Traktaten: «The Oregon Experiment», «A Pattern Language» und «A Timeless Way of Building». Die Bücher fanden in der Diskussion über Planungsmethodik weltweit Beachtung, speziell die These der Entwurfsmuster («design patterns»). Wie Aldo Rossi (1931–1997) mit seinen Theorien zur Typologie bemühte sich auch Alexander, Aspekte der Architektur logisch zusammenzuführen und zu systematisieren. Seine Muster beispielsweise führen komplexe Entwurfsaufgaben auf ein bestimmtes Repertoire zurück. Dieser Ansatz wurde später übrigens auf die Informatik übertragen. 

Auch in der Architektenschaft gewann Alexander eine Gefolgschaft von Gleichgesinnten – wie kein zweiter Architekturtheoretiker im 20. Jahrhundert. Das war Wohl und Wehe zugleich, denn für die Generation der Moderne-Kritiker kalifornischer Prägung wurde es zur Glaubensfrage, ob man mit Alexander den Weg der Phänomenologie beschritt oder nicht. Bis heute tun sich innerhalb der amerikanischen Architektenschaft Gräben auf zwischen Alexanderianern und Nicht-Alexanderianern. Während Teile der Linken in Alexander einen «Magier» zu erkennen glaubten, der die Tristesse des Bauwirtschaftsfunktionalismus überwinden und der Verhässlichung der Welt durch industrialisiertes Bauen Einhalt gebieten konnte, wurde er zugleich als Stichwortgeber der New Urbanists und Treuhänder von Prinz Charles für das Prince of Wales’s Institute of Architecture zu einem der Köpfe der reaktionären Strömung innerhalb der Postmoderne. 

In seinem Buch «The Nature of Order» entwickelte Alexander eine ganzheitliche Theorie lebendiger Systeme, die Ordnung über Funktion stellt. Planung, die vom Bauort distanziert ist, war ihm verpönt, er schwor auf das Entwerfen vor Ort, auf der Baustelle. Für Alexander hing das Wohlergehen des Nutzers von geeigneten Geometrien und dem Ort gegenüber sensiblen Entwürfen ab. Alexanders Bücher zielten darauf ab, «eine Alternative zu gegenwärtigen Ideen über Architektur bereitzustellen, die die gegenwärtigen Ideen und Praktiken ersetzen wird». – An Selbstbewusstsein und Breite im Denken mangelte es ihm nicht. 

 

Zwischen Mustern und Beteiligung

Alexander verfolgte einen empirischen Ansatz in der Architekturbetrachtung, der «typische Systemeigenschaften, generative Prozesse und strukturerhaltende Transformationen» untersuchte. Er wollte die Macht des Architekten reduzieren und im Gegenzug die Betroffenen mitentscheiden lassen: «Es tut mir schrecklich leid, aber die einzige Möglichkeit, wie ich dieses Projekt durchführen kann, wäre, die Leute selbst planen zu lassen», schrieb er schon in den späten 1950er-Jahren an die Regierung des indischen Bundesstaates Gujarat. Das klingt heute modern. Um «Raum harmonischer zu machen» (so definierte er sein Ziel), löste er die Architektur stets in elementare Pattern auf. Er beschrieb 253 solcher Muster in seinem besagten Buch «A Pattern Language» von 1977. Später destilliert Alexander zusätzlich 15 geometrische Eigenschaften, um «lebende Strukturen zu charakterisieren». Als Gestaltungsprinzipien identifizierte er «Differenzierung und Anpassung». Seine Muster beschrieb Alexander als «banalen und logischen Weg zu einer humaneren Architektur», ihre Basis hätten sie in elementaren Bedürfnissen. Es dauerte lange, bis die wichtige Publikation ins Deutsche übersetzt wurde: Der Titel «Eine Muster-Sprache» wurde erst 1995 von Hermann Czech in Wien herausgegeben.

Während die Rationalisten – seine europäischen Zeitgenossen in der postmodernen Architekturtheorie – Archetypen auf ideale platonische Grundformen zurückführten, sollten für Alexander Formen die «Repräsentation menschlicher Tätigkeiten» sein. Den Zusammenhang ihrer Bestandteile fasst er als Sprache auf. Wie Wörter in einem Satz würden sie einer Grammatik folgen und hätten emotionale Erfüllung zum Ziel. 

Für den Architektur- und Systemtheoretiker gab es eine Ordnung und eine bewährte Struktur, die zeitlos sind. Einfache und generische Formen seien aus einem sozialen Gefüge heraus erwachsen und unmittelbar zu verstehen. In «A Timeless Way of Building» (1979) beschrieb er, dass die Elemente, aus denen Gebäude bestehen, Anhaltspunkte für Beziehungsmuster seien, die sich immerzu wiederholen. Pattern können Beziehungen oder Teile sein und wurden nach ihrer morphologischen Bedeutung geordnet. Für Alexander war ein Entwurf die Herstellung von etwas Ganzem, das Ordnungsprinzipien folgt. Mit der Wahl von warmen Materialien wie Holz wollte er «Sinnlichkeit und Substanz» erzeugen. 

Zu überprüfen sind Alexanders Prinzipien am Eishin Campus der privaten Higashino High School in Saitama (1985), westlich von Tokio: Die Schulanlage wurde wie ein Dorf in einer neo-vernakulären Formensprache erbaut. Durch ein Aussentor erreicht man eine innere Strasse, die zur zentralen Aula führt. Jene hat 1,2 Meter dicke Wände mit Nischen, Laibungen und eingebauten Bänken sowie einen Dachstuhl aus Douglasie mit gekrümmten Tragwerksgliedern. Erst nachdem ein Gebäude fertiggestellt wurde, wurde das nächste diskutiert. Denn Alexander verfolgte eine Anti-Masterplanung und wollte das Entwerfen zu einem selbstreflektierten Akt machen. «Umgebungen beeinflussen Menschen auf emotionaler Ebene», so Alexander. – Und ihre Reaktionen waren für ihn keine subjektiven Gefühle, sondern Wahrheiten.

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