Hermetisch und offen, hell und dunkel, geometrisch – das ST SongEun Building

Ulf Meyer
22. 十月 2021
Blick von der Hauptstrasse auf den Neubau von Herzog & de Meuron, der das Hauptquartier von ST International und den Kunstraum SongEun-Stifung aufnimmt. (Foto © Jihyun Jung)

Die breiten Boulevards in Seoul werden von langen Reihen hoher Gebäude flankiert, hinter denen sich der Massstab der Bebauung abrupt ändert: Auf Bürotürme entlang breiter Schneisen folgen flache Wohnbauten und enge Gassen. Dieser Kontrast prägt auch die Dosan Daero, die bekannteste und nobelste Einkaufsstrasse im Süden der südkoreanischen Hauptstadt. Der Stadtbezirk Cheongdam Dong ist im Westen zwar nicht so bekannt wie das benachbarte Gang-nam, aber die grossen europäischen Modehäuser haben sich auch dort ein exklusives Einkaufsquartier geschaffen, das mit Tokios bekannter Allee Omotesando konkurrieren will, die vom Meiji-Schrein nach Aoyama-dori führt. In Gang-nam findet sich mittlerweile eine bizarre Sammlung modischer Architekturen internationaler Büros – von MVRDV über Christian de Portzamparc bis Olson Kundig sind viele westliche Architekten am Boulevard vertreten. 

Die Schaltafeln wurden jeweils um 90 Grad zueinander gedreht, was an der Fassade deutlich ablesbar ist. Das Gebäude sticht auch wegen seiner Materialität heraus, denn Bauten mit Betonfassaden sind in der Umgebung rar. (Foto © Jihyun Jung)
Weit mehr als ein Ausstellungsraum

Zwar hat das Team von Herzog & de Meuron in der Vergangenheit schon viele Museen entworfen, doch Jacques Herzog spricht angesichts des Neubaus von einem sehr komplexen Raumprogramm. Noch nie habe man so viele Funktionen und Möglichkeitsräume in einem Kunstzentrum zusammengebracht. Der Bau bietet Räume für die Kunststiftung SongEun, die 1989 als Non-Profit-Organisation gegründet wurde. Ausserdem nimmt er den Hauptsitz der Firma Samtan (ST International) auf. Bei dem Unternehmen handelt es sich um einen grossen Kohle- und Gaskonzern. Für Jacques Herzog ist der Bau nicht nur ideal, um Kunst auszustellen, sondern auch für Vorträge, Veranstaltungen und Zusammenkünfte. Das Gebäude ist, anders als seine hermetische Strassenfassade mit nur zwei Einschnitten im Sockel zunächst vermuten lässt, öffentlich zugänglich.

Das Kunst- und Bürohauses hat eine dreieckige Schnittfigur. Es verfügt über elf Etagen, seine ungewöhnliche Form ist das Resultat der baurechtlichen Zonierung in Seoul, die höhere Gebäudeteile nur zur Hauptstrasse hin erlaubt, während dahinter niedriger gebaut werden muss. Die gewählte Form maximiert die Grundfläche. Sie lote «das skulpturale Potenzial der Bauordnung» aus, heisst es von Herzog & de Meuron dazu nicht ohne Augenzwinkern. 

Eine Rampe, die zum Parkdeck führt, bestimmt die Geometrie im Gebäudeinneren. Beeindruckend ist der Kontrast zwischen höhlenartigen Räumen unter der Erde und hellen darüber. (Foto © Jihyun Jung)
Foto © Jihyun Jung
Räumlicher Reichtum, eindrucksvolle Kontraste

Das Foyer hat eine rahmenlose Verglasung, die für Veranstaltungen zum Hortus Conclusus hin geöffnet werden kann, in den man aus dem Lesesaal blickt. Schon vom Eingang aus ist die Autorampe als Volumen sichtbar. Sie führt spiralförmig zu einem Parkdeck im Gebäude und definiert die Geometrie der Innenräume: Sie schneidet eine Öffnung in die Decke des unterirdischen Ausstellungsraums und verbindet ihn visuell mit dem Strassenniveau. Ausserdem definiert sie die Form der grossen Treppe, die zu den Galerieräumen im zweiten Stock führt. 

Mit seinen Sichtbetonwänden und Oberflächen aus Blattsilber kontrastiert der besagte höhlenartige Raum unter der Erde, der sich bis an die Grundstücksränder ausdehnt, mit den rechteckigen, weiss gestrichenen Galerien oberhalb. Die Aufteilung in eine oberirdische Welt des Geschäfts und eine unerwartete Unterwelt erinnert an den koreanischen Erfolgsfilm «Parasite» (2019). Ganz zuoberst befindet sich schliesslich ein weiterer Kunstraum mit mutmasslich beeindruckendem Ausblick auf die Stadt – dieser ist privat und der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Fein strukturierter Beton

Während die Strassenfassade, wie schon erwähnt, geschlossen ist, sind die Schmalseiten sowie der rückwärtige Gebäudeteil verglast, um viel Tageslicht in die Büros zu bringen. Auf den Sichtbetonoberflächen der Fassaden zeichnet sich ein kleinteiliges, quadratisches Raster ab, die Schalbretter sind noch gut zu erkennen. Die Maserungen passt zum Namen des Kunstraums, denn dieser bedeutet auf Deutsch «versteckte Kiefer». 

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