Popcorn parat? Die Vorführung beginnt!

Nadia Bendinelli
22. Februar 2024
Hinter der Filmkamera sind von links nach rechts Hermann Haller, Leopold Lindtberg, Emil Berna und Franz Vlasak zu sehen. (Foto: Egon Priesnitz © Cinémathèque suisse)

Heute als ältester Produzent des Landes bekannt, erlebte die Praesens-Film AG ihre Glanzzeit zwischen den 1930er- und den 1950er-Jahren. Sie genoss internationale Anerkennung und sammelte zahlreiche Preise, darunter sogar Oscars und Golden Globes. Die Ausstellung «Close-up. Eine Schweizer Filmgeschichte» im Landesmuseum leistet aber viel mehr, als alte Filme vorzustellen: Man lernt, wie diese der politischen Propaganda dienten. Und man erfährt, dass der Bundesrat versuchte, Filme zu verhindern, wenn sie düstere Seiten der Schweiz thematisieren sollten. 

Neue Wege, neue Möglichkeiten

Die Gründung der Praesens im Jahr 1924 wirkt aus heutiger Sicht selbst wie die Geschichte aus einem Film: Die Protagonisten hatten grosse Träume, wussten kaum, worauf sie sich einliessen, und am Ende kamen sie gross raus. Denn was zunächst bloss eine Schnapsidee schien, erwies sich schnell als Pioniertat. Die Schweiz besass Mitte der 1920er-Jahre noch keine eigene Filmindustrie, Wissen und Technik kamen damals aus dem Ausland. Doch dem Praesens-Mitgründer Lazar Wechsler fehlte es nicht an Tatendrang und Wagemut. 

Ein zufälliges und offenbar sehr inspirierendes Treffen mit einem Freund auf der Durchreise brachte Wechsler auf die entscheidende Geschäftsidee: in der Schweiz produzierte Reklamefilme für die Kinos. Auch seine Frau Amalie war sofort dabei – sie benötigten nur noch eine Kamera und natürlich jemanden, der sie bedienen konnte. So kam Walter Mittelholzer ins Spiel. Mittelholzer, ein Militärpilot und Fotograf, war bereits für seine dokumentarischen Luftaufnahmen und Reisefilme sowie als wichtigster Kartograf der Schweiz bekannt.

Bereits ein Jahr nach der Gründung hatte das Trio über 100 Exklusivverträge mit Kinos abgeschlossen, und durch das positive Echo renommierter Kunden kamen rasch weitere Aufträge hinzu.

Blick in die Ausstellung: Auftragsfilme (Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum)
Frauennot – Frauenglück!

Im nächsten Saal wird ein neues Kapitel der Praesens aufgeschlagen: Dokumentarfilme. Diesmal kommen die Auftraggeber aus der Politik, der Medizin und der Industrie. Unter anderem zeigt die Ausstellung die Entstehung des Films «Frauennot – Frauenglück» im Jahr 1929 und seine Wirkung. Der Stummfilm mit Zwischentiteln sollte der Aufklärung dienen: Zu jener Zeit wurden in der Schweiz jährlich etwa 60'000–80'000 illegale Abtreibungen vorgenommen, die oft zum Tod führten. Der Film sollte die Unterschiede zwischen einer professionellen Behandlung und den lebensgefährlichen Eingriffen durch Laien klar machen.

Um das heikle Thema angemessen zu behandeln, musste ein fähiger Regisseur beauftragt werden. Wechsler wählte Sergei M. Eisenstein, der bereits für «Panzerkreuzer Potemkin» (1925) bekannt war, und beschaffte dem sowjetischen Regisseur und seinem Team die Bewilligung zur Einreise in die Schweiz. Aus Prestigegründen wurde Eisenstein offiziell als Alleinverantwortlicher präsentiert. Später wurde klar, dass er zwar als Berater tätige war, hauptsächlich aber Urlaub in der Schweiz machte. In Wirklichkeit schrieb Kameramann Eduard Tissé das Drehbuch, führte Regie und montierte den Film.

Als dieser fertig war, lockte er zahlreiche Neugierige in die Kinosäle. Das weckte die Befürchtung, der Film könnte als «Werbung» für die Legalisierung der Abtreibung dienen. Nicht wenige Menschen waren über die Darstellung intimer Szenen empört. Gleich sechs Kantonen beugten sich dem Druck der Aargauer Frauenzentrale und anderer Vereine und verboten den Film. Auch in mehreren süddeutschen Ländern war es nicht erlaubt, «Frauennot – Frauenglück» zu zeigen. Noch eine Anekdote: Im Zürcher Kino Apollo sollen die Männer bei der Vorführung in Ohnmacht gefallen sein, was das Lichtspielhaus veranlasste, ein Sanitätszimmer einzurichten.

Trotz solcher Zwischenfälle waren die Dokumentarfilme so erfolgreich, dass sie der Praesens schliesslich einen weiteren Schritt ermöglichten: die Produktion von Spielfilmen.

Filmcrew auf Reisen: Eduard Tissé, Sergei M. Eisenstein und Lazar Wechsler im Strandbad Wollishofen, 1929 (Foto: © Cinémathèque suisse)
Zwischen Erfolg und Zensur

In der chronologisch aufgebauten Schau folgen einige der berühmtesten Schweizer Filme, die Zuschauerrekorde brachen und wichtige Preise gewannen. Ihre Themen, die sich über die Zeit sehr stark verändert haben, widerspiegeln klar den gesellschaftlichen Kontext und den Zeitgeist. Was wollte das Publikum sehen? Nach welchen Inhalten verlangte die Politik? Wie versuchte sie – zuweilen ziemlich heuchlerisch – Einfluss zu nehmen? Und welche Schwierigkeiten mussten die Protagonisten vor und hinter der Kamera meistern? 

Wenn zum Beispiel «Füsilier Wipf» (1938) oder «Gilberte de Courgenay» (1941) ganz im Sinne der Geistige Landesverteidigung standen und ein ideales Bild der Schweiz und ihrer Werte propagierten, stiess «Die letzte Chance» (1945) auf erheblichen Gegenwind aus Bundesbern. In der Tat behandelte der Film ein höchst unbequemes Thema: den Umgang mit Flüchtlingen, die während des Zweiten Weltkrieges aus Norditalien die in Schweiz einreisen wollten. Bekanntlich wurden diese nicht selbstverständlich ins Land aufgenommen, einige wurden stattdessen verhaftet und später deportiert. Das zu zeigen, widersprach dem makellosen Bild einer humanitären Schweiz, das man damals gerne präsentierte. Bundesrat Eduard von Steiger, der die Schweizer Flüchtlingspolitik in den 1940er-Jahren als Justizminister mitverantwortet hatte, ereiferte sich, der Film sei weder humanistisch noch neutral genug. Eine schlechte Werbung für die Schweiz also, die es zu verhindern galt. Und tatsächlich wurde alles Denkbare unternommen, um die Realisierung zu erschweren: Die Drehbewilligung kam spät, und alles Erdenkliche musste vorab überprüft und bewilligt werden. Drehmaterial wurde beschlagnahmt, und an der Zensurprüfung nahmen sogar Bundesräte persönlich teil. 

Aber alle Bemühungen, den Film zu verhindern, schlugen zum Glück fehl: «Die letzte Chance» genoss internationalen Erfolg, gewann den Golden Globe und den Internationalen Friedenspreis und kam in die Bestenliste der New York Times. Der Regierung blieb nichts anders übrig, als klein beizugeben und den missliebigen Film offiziell zu loben.

«Gilberte de Courgenay» zeichnete ein romantisiertes Bild der militärischen Grenzbesetzung. Zu Silvester sorgen im Film komödiantische Einlagen im Pferdekostüm dafür, dass Heimweh und Grenzkoller verfliegen. (Foto: © Cinémathèque suisse)
Metro-Goldwyn-Mayer vertrieb «Die letzte Chance» in den USA, in Südamerika und Grossbritannien. Die New York Times nahm das Flüchtlingsdrama in die Liste der zehn besten Filme des Jahres 1946 auf. Lazar Wechsler begann aufgrund des Erfolgs, mit Hollywood zu liebäugeln. Das Foto zeigt das Verladen von Filmrollen im Jahr 1945. (Foto: © Cinémathèque suisse)
Blick in die Ausstellung (Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum)
Kein Happy End

In den 1950er-Jahren hatte das Publikum genug von Politik und Krieg. Leichtere Themen waren nunmehr gefragt. Dazu mangelte es der Praesens mehr und mehr an Geld. Es war an der Zeit, einfachere, unterhaltsame Filme zu produzieren, was sich durchaus bewährte. «Heidi» (1952) und später «Heidi und Peter» (1955) vermochten alle glücklich zu stimmen: Sie wurden weltweit gelobt und vermittelten idyllische Heimatwerte, die dem Tourismus zugutekamen und der Politik keine Kopfschmerzen bereiteten.

Das Glück hielt jedoch nicht lange an: Die Konkurrenz wurde immer stärker, die Bedeutung des Fernsehens wuchs. Die Praesens versuchte sich in unterschiedlichen Genres, aber Misserfolge, grosse Geldsorgen und der Zusammenschluss mit Partnern liessen das Kernteam auseinanderbrechen. Nach all den Widrigkeiten und dem Tod seiner Frau Amalie verlor Lazar Wechsel seinen Kampfgeist und mit dem Verkauf seiner letzten Aktien verabschiedete er sich endgültig von seiner einst geliebten Firma.

«Close-up. Eine Schweizer Filmgeschichte» ist auf mehreren Ebenen interessant: Durch die vorgestellten Ereignisse rund um die Filmbranche bekommt man eine klare Vorstellung von der Schweizer Gesellschaft der 1920er- bis 1960er-Jahre. Die Schau stellt berühmte Filme vor und wirft dabei einen Blick hinten die Kulissen. Sie zeigt, was die Gemüter bewegte. Immer wieder wird dabei auch deutlich, wie die Politik die Eidgenossenschaft gerne dargestellt haben wollte. Es ist erstaunlich, wie viel Druck ausgeübt wurde in einem Land, in dem Demokratie und Meinungsfreiheit so gross geschrieben werden. Das stimmt nachdenklich. Trotzdem geht der Witz nicht verloren, und Anekdoten, die mit einer Prise Humor erzählt sind, mischen sich angenehm mit ernsten Themen.

Falls Sie nach der Ausstellung Lust auf mehr verspüren sollten, ist das Buch «Heidi, Hellebarden & Hollywood. Die Praesens-Film-Story» von Benedikt Eppenberger eine ideale Ergänzung.

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