Königlich Gold

Thomas Geuder
13. Mai 2013
Unweit des Stuttgarter Rathauses (Hintergrund rechts), markiert der «König von England» eine Ecke des schönen, innerstädtischen Schillerplatzes. (Foto: Brigida González)

Einmal abgesehen von der puren Raumdimension (hoch oder niedrig in unserem Fall) ist doch wichtig, welche Farbe und welches Material sich an einer Decke befindet. Hell, Dunkel, weiss, rot, blau, Holz, Putz oder Metall – was oben hängt, beeinflusst unsere Sinne und unser Gemüt, und zwar recht direkt, weil es über unseren Köpfen hängt. Probieren Sie es aus: Schauen Sie bewusst und für eine halbe Minute nach oben (und berichten Sie uns, wie das wirkt, was Sie da sehen)! Auch Otto Normalbüroarbeiter schaut ab und an nach oben, meist mehr zur Zerstreuung denn aus fachspezifischem Interesse. Und doch spürt er die Unterschiede in verschiedenen Räumen deutlich. So ist für ihn im Laufe der Zeit das Deckenschauen zu einem richtigen Hobby geworden. Die ihrerseits betrachteten Decken werden es ihm danken, denn kaum ein raumbestimmendes Element erfährt allgemein so wenig Beachtung, wie sie.

Mit der Decke als prägendes Gestaltungselement: Das Dachgeschoss wurde zu Konferenz- und Tagungsräumen ausgebaut. (Foto: Brigida González)

Gegenbeispiele zum normalen Weiss gibt es natürlich. Schliesslich lassen sich die Hersteller von Deckenprodukten nicht lumpen und erfinden für den Architekten immer wieder Neues. Rasterdecke mit Lüftungsschlitzen (natürlich bedruckbar), fugenlose Akustikdecke, multifunktionale Deckensegel mit Bauteilaktivierung – das Vorstellbare ist grenzenlos. Gestalterisch interessant allerdings wird es, wenn man über dem Kopf ein Material vorfindet, das man dort nicht unbedingt vermuten würde. Wie zum Beispiel ein Metallgewebe, das bisher eher als Stilmittel an Fassaden bekannt ist. Der Spezialist für Metallgewebe GKD aus Düren zwischen Köln und Aachen hat nun seinem normalerweise senkrecht aufgespannten Architekturgewebe das horizontale Hängen beigebracht, und das über grosse Flächen nahezu fugenlos und akustisch wirksam. Dazu werden das erwähnte Metallgewebe, ein Akustivlies und eine Aluminiumwabenplatte miteinander verbunden, sprich: laminiert. Es entsteht dabei ein Bauteil mit einer für sein niedriges Gewicht enormen Festigkeit, das sich auch bei grösseren Flächen nicht durchbiegt. Architekten können mit Platten zwischen 50 x 50 cm bis zu 125 x 400 cm arbeiten und grosse, homogen wirkende Flächen erzeugen.

Intelligente Verbindung: Das auf eine Aluminium-Wabenplatte laminierte Gewebe ist mit einer Zwischenlage aus Akustikvlies versehen. (Foto: GKD)

Gesehen hat Otto das beim «König von England», einem Verwaltungsgebäude in der Stuttgarter Innenstadt. Dessen auffälliger Name ist Reverenz an den Vorgängerbau aus dem beginnenden 18. Jahrhundert, in dem sich zunächst seit 1712 Stuttgarts erstes Kaffeehaus und seit 1798 schliesslich ein der Gasthof «König von England» befand. Nach der Zerstörung im Krieg wurde an selber Stelle Mitte der 1950er-Jahre durch den Architekten und damaligen Landesvorsitzenden des BDA Karl Gonser das heutige Gebäude errichtet. 2010 schliesslich sollte es nun saniert und energetisch aufgerüstet werden, unter intensiver Abstimmung mit dem Denkmalamt. Gelungen ist hier, was in Zeiten des zurzeit beliebten Abrisswahns zugunsten des zertifizierten Neubaus nicht mehr oft zu sehen ist: Äusserlich ist die Ertüchtigung des Gebäudes nur an der gereinigten Travertinfassade zu erkennen. Die historischen Stahl-Verbundfensterelemente wurden erhalten und denkmalgerecht in der Originalfarbigkeit saniert, das Dach saniert, Schadstoffe entfernt sowie das Gebäude die vorhandene Bausubstanz nach den neuesten Brandschutzrichtlinien aufgerüstet. Auch die gesamte Haustechnik sowie die Beleuchtung wurden saniert und optimiert. Sogar verschiedene Wandflächen wurden – angeregt durch bauzeitliche Fotos sowie restauratorische Schichtenanalysen der vorhandenen Wandbeschichtungen – wieder in der Originalfarbigkeit gestaltet.

Im ursprünglich für Wohnungen genutzten Dachgeschoss entstanden Konferenz- und Tagungsräume: lange, schmale Räume mit beidseitigen Dachschrägen. Die deswegen nicht einfache Raumakustik musste durch eine Deckengestaltung mit akustischer Wirkung beherrscht werden. Für diese Aufgabe gefunden haben zsp architekten die GKB-Composit-Platten, die passend zur «königlichen Geschichte» des Gebäudes in der Untersicht goldfarben eloxiert wurden. Sie kleiden die gesamte Decke der Konferenzräume und betonen als durchlaufender Streifen die Länge des Raums zusätzlich. Glastrennwände sorgen dafür, dass diese Raumwirkung nicht beeinträchtigt wird. Und Otto? Findet das klasse – er hätte statt dieses ewigen Weiss gerne öfter mal Gold über seinem Haupt.

Der Einbau von Leuchten, Downlights, Sprinklern, etc. in das GKD-Deckensystem durch werksseitig hergestellte Aussparungen ist natürlich möglich. (Foto: GKD)
Blick hinter die Kulissen: Das Deckensystem wurde mittels Klemmmontage an der Aufhängung befestigt. (Foto: GKD)
Funktionsprinzip der Klemmmontage
Wie neu: Die energetische wie ästhetische Ertüchtigung des gesamten Baus ist kaum zu erkennen. (Foto: Brigida González)
Ebenfalls im Dachgeschoss untergebracht sind einige kleinere Besprechungsräume. (Foto: Brigida González)
Hell und freundlich sind nach der Sanierung die Büroräume. Im Hintergrund zu sehen: Die Statue von Friedrich Schiller auf dem Schillerplatz. (Foto: Brigida González)
Der «König von England» in einer Aufnahme aus dem Jahr 1905. Im Hintergrund rechts ist der Turm des alten Stuttgarter Rathauses zu erkennen.
GKD - Gebr. Kufferath AG
Düren, D

Hersteller-Kompetenz
SilentMesh Akstikdecke Composite-Gewebe

Projekt
Umbau und Sanierung «König von England»
Stuttgart, D

Sanierungsarchitekt
zsp architekten | peter vorbeck
Stuttgart, D

Bauherr und Eigentümer
Baden-Württemberg Stiftung
vertreten durch Vermögen und Bau Baden-Württemberg
Amt Stuttgart
Stuttgart, D

Projektleitung
Vermögen und Bau Baden-Württemberg
Amt Stuttgart
Stuttgart, D

Bauphysik
Kurz und Fischer
Winnenden, D

HLS
Thurm & Dinges
Stuttgart, D

Elektrotechnik
pbs - Planungsbüro Schwendemann,
Haslach, D

Elektro Bauleitung
IBA - Ingenieurbüro Angiolello,
Uhingen, D

Brandschutz
TOP Brandschutz Ingenieure GmbH
Stuttgart, D

Tragwerksplanung
Ingenieursgesellschaft Dietrich,
Esslingen, D

Schadstoffe
Sakosta CAU
Stuttgart, D

Fertigstellung
2012

Fotonachweis
Brigida González

Projektvorschläge
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Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

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