Wenn ein Buch eine Reise tut

Thomas Geuder
5. Dezember 2012
Die heutige Leipziger Stadtbibliothek wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Museum für Kunsthandwerk erbaut. (Foto: Torsten Hanke)

Live dabei zu sein, am besten selbst Hand angelegt zu haben – das ist es, was das Kaufen erst so richtig schön macht! Ob im italienischen Restaurant bei Schlangestehen und Live-Cooking oder an der Selbstscan-Kasse im Selbstbedienungsmöbelmarkt: Konsum macht erst richtig Spass, wenn man mittendrin war und durch eigenes Zutun den Wert der erkauften Leitung verstanden hat. Was einmal schlicht als Selbstbedienungstheke betitelt wurde, trägt mittlerweile das Gewand eines Einkaufserlebnises mit Spassgarantie. Und das zum selben Preis, denn was man bekommt, ist nicht nur ein Essen oder ein Möbelstück, sondern quasi gratis obendrauf ein komplettes Lebensgefühl. So gesehen also ein Schnäppchen, diese moderne Selbstbedienungstheke, soll sich Otto Normalkonsument denken!

Einbauten ehemaliger Nutzungen als Bürogebäude wurden im Zuge der Sanierung von kister scheithauer gross Architekten entfernt, wodurch grosszügige Bibliotheksräume entstanden sind. (Foto: Steffen Junghans)

Es gibt aber auch Orte, an denen macht das Zutun des Besuchers nicht nur Spass, sondern auch Sinn. Dazu gehören zum Beispiel öffentliche Einrichtungen wie die städtischen Bibliotheken, in denen das Geld für Buch wie Personal meist leider eher unter­durch­schnitt­lich begrenzt ist. Hier tut es vor allem dem Service in Beratung und Dienst am Bibliotheksbesucher gut, wenn rein organisatorische Arbeiten wie das Verleihen und Zurücknehmen sowie das Sotieren der Bücher nicht mehr von den Bibliothekaren selbst erledigt werden müssen, deren erlerntes Handwerk über solche Verwaltungsarbeiten hinaus geht. Die Kombination bewährter Technologien macht‘s möglich. An Ottos Bibliotheksbesuch hat sich indessen gar nicht so sehr viel geändert: Wie immer schon sucht er sich zunächst seine Bücher zusammen, mit der nötigen Beratung durch den geschulten Bibliothekar. Den allerdings braucht er zum Ausleihen nun nicht mehr, denn seine Bücher sind mit einem RFID-Transponder ausgestattet, die das Verbuchen zum Kinderspiel machen: Otto muss dafür lediglich seinen Stapel Bücher auf die Ablage des Lesegeräts legen und sich mit seiner Kundenkarte identifizieren. Schon werden alle Bücher im System registriert und für den Verleih freigegeben. Eine moderne Stapelverarbeitung, wenn man so will.

In der Treppenhalle befinden sich zwei der vier Terminals zum Ausleihen der Bücher via RFID-Technologie. (Foto: Steffen Junghans)

Noch komfortabler läuft es beim Zurückgeben: Buch für Buch schiebt Otto die ausgeliehenen Werke in das Rückgabefach, das das System (wieder per RFID) erkennt und aus seinem Kundenkonto löscht. Unsichtbar für den Kunden beginnt nun die hausinterne Reise für das Buch, die vollautomatische Sortierung in beliebig definierbare Fächer, etwa für den interbibliothekaren Austausch. Das spart nicht nur die teure Arbeitskraft, sondern gibt dem Bibliothekar das zurück, das seine eigentliche Leidenschaft ist: Die Arbeit am Buch wie auch am Buchkonsumenten, dem Leser.

Selbstverbuchungssyteme sind also sinnvoll und deswegen immer häufiger anzutreffen. So auch in der von kister scheithauer gross Architekten und Stadtplaner umgebauten und sanierten, neuen/alten Stadtbibliothek in Leipzig: Das denkmalgeschützte Gebäude am Wilhelm-Leuschner-Platz wurde in den Jahren 1894 bis 1897 durch den Leipziger Stadtbaurat Hugo Licht als Museum für Kunsthandwerk errichtet. Im Krieg beträchtlich beschädigt, wurde es leider mit nur geringen Mitteln repariert und in den Jahren von 1950 bis 1990 schliesslich als Bürogebäude genutzt. Darauf folgte die Nutzung als Hauptstelle der städtischen Bibliotheken. Der Auftrag für die jüngste Sanierung durch kister scheithauer gross erfolgte im Jahr 2007 und gestaltete sich vor allem beim Abriss als konstruktive wie gestalterische Herausforderung, da immer wieder unerwartete, historische Strukturen zutage traten. Am Ende jedoch ist es den Architekten gelungen, die ursprünglich als Museum geplanten Räumlichkeiten in die neue Nutzung als moderne Stadtbibliothek zu überführen. Entstanden ist ein Ort der Kommunikation, bei dem die Nutzung auch während der Nachtzeiten sowie Print-on-Demand möglich sind. Für die Mitarbeiter bedeutet die neue Bibliothek durch das Selbstverbuchungssystem eine neue Freiheit zugunsten ihrer Profession. Für Otto rückt das Schmökern wieder in den Vordergrund, denn Schlangestehen an den Ausleihe- und Rückgabestationen sind in der neuen Leipziger Stadtbibliothek jetzt so gut wie passé.

Im Raum hinter den beiden unscheinbaren Rückgabestationen befindet sich eine Sortieranlage, der die Bücher für das Bibliothekspersonal vorsortiert. (Foto: ksg / Dave Schröpfer)
In der Stadtbibliothek befindet sich eine 14-fache Sortieranlage, in der unter anderem auch die Bücher für den interbibliothekaren Austausch aussortiert werden. (Beispielbild) (Screenshot aus Imagefilm mk Sorting Systems)
Die Bücher fahren auf einem Laufband durch die Sortieranlage und werden entsprechend ihrer Kennung in die seitlichen Boxen geschoben. (Beispielbild) (Screenshot aus Imagefilm mk Sorting Systems)
Ein Ort der Kommunikation: Im Eingangsbereich befinden sich vielfältige Möglichkeiten, in den eben ausgeliehenen Büchern zu schmökern. (Foto: Steffen Junghans)
In den zentralen Räumen, direkt erreichbar vom Eingang aus befindet sich unter anderem die Zeitschriftenbibliothek. (Foto: Steffen Junghans)
Grundriss Erdgeschoss vor, während und nach dem Umbau. (Animation)
Lageplan
mk Sorting Systems GmbH
Troisdorf, D

Projekt
Stadtbibliothek Leipzig
Leipzig, D

Hersteller-Kompetenz
Selbstverbucher-Terminal per RFID
Rückgabesystem in der Wand
Sortiersystem

Architektur
kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH
Köln und Leipzig, D

Bauherr
Stadt Leipzig
Leipzig, D

Bauherrenvertreter
Stadt Leipzig, Hochbauamt
Abteilung Projektmanagement
Leipzig, D

Fertigstellung
2012

Fotonachweis
Steffen Junghans
ksg / Dave Schröpfer
mk Sorting Systems

Projektvorschläge
Sie haben interessante Produkte und innovative Lösungen im konkreten Projekt oder möchten diesen Beitrag kommentieren?
Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

Andere Artikel in dieser Kategorie