Zurück zur Natürlichkeit

Thomas Geuder
18. Februar 2014
Im büroeigenen 7. Stockwerk haben Schmucker und Partner den Raum per markantem Bodenbelag zoniert. (Foto: Klaus Hackl)

«Biophilie» kann man mit der «Liebe zum Leben» übersetzen, wobei nicht unbedingt das eigene Leben gemeint ist (das wäre dann eher die Egomanie), sondern die instinktive Verbindung zwischen Menschen und anderen lebenden Systemen. Architektur würden man nun nicht unbedingt zu den lebenden Systemen zählen, doch der Mensch hat eine besondere, ja: instinktive Verbindung zum «System Architektur», weil sie ihm letztendlich Behausung und Beschützer vor Wind, Wetter und Feind ist. Insofern könnte man tatsächlich behaupten, der Mensch könne eine biophile Beziehung zur Architektur haben. Zur Natur jedenfalls, die ihm einige wichtige Lebensgrundlagen bietet, pflegt der Mensch ebenfalls besondere Beziehung. Und so liegt es nahe, dass der US-amerikanische Teppichfliesen-Hersteller Interface mit seiner Kollektion «Urban Retreat» denn auch die Natur in die Architektur hinein holen und am Boden den instinktiven Eindruck herstellen will, man laufe in einer Landschaft aus Flechten, Steinen, Moosen, Baumrinde und/oder Gras. Der Designer David Oakey, spezialisiert auf von der Natur inspirierte Designs, hat innerhalb von «Urban Retreat» gleich drei Varianten entwickelt, die allesamt mit starken Texturen, markanten Farben und komplexen Mustern arbeiten. Dieses Bekennen zur Natur ist übrigens Teil der Firmenphilosphie von Interface, wo man sich zum Ziel gesetzt hat, im Jahr 2020 ein vollkommen nachhaltiges Unternehmen mit positivem ökologischem Fussabdruck zu sein – in der Teppich-Branche, in der viel mit künstlichen Materialien wie Nylon gearbeitet wird, durchaus bemerkenswert. So ist «Urban Retreat» der logische Ausdruck dieser Haltung im Design, und der Planer kann damit (guten Gewissens) ein Stück Natur und Natürlichkeit ins Gebäude holen.

Die Fenster sind dreifach isolierverglast und mit aussenliegendem Sonnenschutz ausgestattet. (Foto: Klaus Hackl)

Eine umfangreiche energetische Sanierung bei gleichzeitig grösstmöglichem Erhalt des industriellen Charakters war für die Architekten des Planungsbüros Schmucker und Partner die raumprägende Grundidee bei der Revitalisierung des alten Notgetreidespeichers aus den 1950er-Jahren am Mannheimer Rheinufer. Der stand seit über 30 Jahren leer und wurde nun, da die «Stadt an zwei Flüssen» (so der Slogan) seit einigen Jahren die flussnahen Industrieareale für sich wieder zurückerobert, zu einem Gewerbeimmobilie mit Büroräumen, Hotel und Gastronomie umgebaut. Gut die Hälfte des umbauten Raums, nämlich die teilweise 7 Industriestockwerke hohen Silos, wurden dabei ohne Nutzung belassen. Die Gebäudehülle wurde als hinterlüftete Konstruktion mit 18 cm Wärmedämmung ausgeführt und mit horizontal gewelltem Cor-Ten-Stahl verkleidet. Im Innenraum beliessen die Architekten die raumprägende Bestandsstruktur sowie die Mehrzahl an Oberflächen im Original, betont durch ein bewusst additives Hinzufügen notwendiger Einbauten. Authentizität im Material hinsichtlich der ursprünglichen Nutzung kann man das nennen, die aber auch von einer Natürlichkeit im Umgang mit der Historie eines schroffen Industriedenkmals zeugt. Der Charakter der 1.500 m² grossen Bürofläche im 7. Obergeschoss, quasi dem Dachgeschoss, das Schmucker und Partner selbst bezogen haben, ist dominiert durch grobe Betonoberflächen, markante Holzakzente und den Urban-Retreat-Boden, den man in dieser Umgebung durchaus als Hineinholen von Natur verstehen kann. Diese Koexistenz funktioniert, weil all diesen Materialien Qualitäten wie Echtheit, Authentizität und Natürlichkeit innewohnt. Abgesetzte Blöcke in Grün definieren Ruhebereiche und individuell gesetzte Muster umspielen funktionale Raumpartien. Das grosszügig gestaltete Büro soll so Räume zum Denken, Planen und Kommunizieren eröffnen. Auch in Sachen ökologischer Fussabdruck kann sich das Gebäude jetzt sehen lassen: Die Fassade der Silos ziert eine fassadenintegrierte Photovaltaikanlage, die eine Wärmepumpe für die Heiz-/Kühldecken, -wände und -böden versorgt. Das Wasser hierfür wird zwei Brunnen entnommen und über das ehemalige Pegelbauwerk wieder in den Rhein eingeleitet. So verbinden sich beim Speicher 7 historische Industriearchitektur, Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und Authentizität zu einem stimmigen Gesamtkonzept.

Der «Speicher 7» bildet quasi den baulichen Auftakt zum industriell geprägten Hafengebiet. (Foto: Klaus Hackl)
Vom 7. Stockwerk auf knapp 30 Metern Höhe aus hat man einen spannenden Blick über die Stadt. (Foto: Klaus Hackl)
Die halbhohen Trennwände, die gleichzeitig als Schränke fungieren, versperren nicht den Blick auf die Betonstruktur. (Foto: Klaus Hackl)
Grober Beton, dunkle Holzakzente und ein markanter Boden definieren den Grundcharakter der Büroräume. (Foto: Klaus Hackl)
Das Speichergebäude (hier noch vor der Revitalisierung) befindet sich nur unweit vom Zentrum. Im Hintergrund: Jesuitenkirche und Schloss. (Foto: Klaus Hackl)
Strategisch günstig liegt der «Speicher 7» im Knotenpunkt zwischen Rhein, Innenstadt und Hafen. (Bild: Schmucker und Partner)
Grundriss 7. Obergeschoss (Büro Schmucker und Partner)
Grundriss 2. Obergeschoss (Hotel)
Grundriss Erdgeschoss
Längs- und Querschnitt mit Ansicht
Auch im Hotel wurde der industrielle Charakter konsequent zu grossen Teilen beibehalten … (Foto: Klaus Hackl)
… und der Bestand lediglich mit wenigen, schmucklosen Möbeln ausgestattet. (Foto: Klaus Hackl)
Aber keine Sorge: Nicht alle Hotelzimmer wurden roh belassen. Auch der normale Hotelgast findet hier eine Übernachtungsmöglichkeit. (Foto: Klaus Hackl)
So sah es übrigens vor Revitalisierung und Umbau im «Speicher 7» aus. (Foto: Klaus Hackl)
Die der Stadt zugewandet Silofassade kleidet ein überdimensionales Graffiti. (Foto: Klaus Hackl)
Projekt
Speicher 7
Mannheim, D

Hersteller
Interface Deutschland GmbH
Krefeld, D

Kompetenz
Teppichfliese Urban Retreat One

Architekt
Schmucker und Partner Planungsgesellschaft mbH
Mannheim, D

Bauherr
Rhein-Kai-Speicher GmbH & Co. KG,
Mannheim

Design Möbel/Innenausbau
Schmucker und Partner

Ausführung
Schreinerei Katz
Freinsheim, D

Fertigstellung Revitalisierung
2013

Fotografie
Klaus Hackl


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